[366] Tempus (lat.), 1) Zeit; 2) bes. Abschnitt der Zeit im Allgemeinen u. jede Zeit u. jeder Theil derselben; 3) bei der rechtlichen Zeitberechnung so v.w. Zeitraum, Zeitpunkt. Im Römischen Recht wurde bei dem T. unterschieden: a) das T. continŭum (stete Zeit), die Zeit, bei deren Berechnung alle Tage, sie mögen Werk- u. Gerichts- od. Feiertage sein, mitgerechnet wurden, der Betheiligte mochte nun sein Recht zu verfolgen vermögend u. von den in Frage kommenden Thatsachen u. Rechten unterrichtet gewesen sein od. nicht. Wird der Anfangspunkt einer gewissen Zeit nach dieser Zeitberechnung bestimmt, so heißt der Zeitraum T. continuum ratiōne initĭi; wird der Lauf derselben darnach bestimmt, T cont. ratione cursus; u. wird Anfang u. Fortgang der Zeit so berechnet, T plane continuum (durchaus stete Zeit). Es gestatteten dagegen die Gesetze in gewissen Fällen eine abweichende Berechnung dahin, daß demjenigen, welcher ein Recht innerhalb einer bestimmten Zeit zu verfolgen hat, nur die Tage angerechnet werden, an denen er daran nicht gehindert ist, die er dazu nutzen kann, u. eine so berechnete Zeit ist b) das T. utĭle (zusammengesetzte od. nützliche Zeit). Der Lauf dieser Zeit wird unterbrochen durch jedes gesetzliche Hinderniß der vorzunehmenden Handlung, s. Ehehaften, z.B. Krankheit, Unwissenheit, Abwesenheit, Feiertage etc. Nicht jedes T. utile ist dies vom Anfange bis zu Ende (T. plane utile, durchaus nützliche Zeit), wie z.B. bei der Bonorum possessio; es kann ein Zeitraum vom Anfange nützlich u. im Verlauf stet sein (Tad aliquid utile, z.B. das Beneficium deliberandi, erst von dem Tage der dem Erben gewordenen Nachricht über die Erbschaft an laufend) u. umgekehrt. Dies bildet das T mixtum (gemischte Zeit). Von der nützlichen Zeit muß wohl unterschieden werden die Utilitas temporis, wovon die römischen Juristen bei der Ausnahme von der Regel, daß aus Geschäften des strengen Rechts nicht auf das Interesse geklagt werden kann, sprachen. War nämlich bei Geschäften stricti juris eine Zahlungszeit stipulirt u. diese nicht präcis[366] gehalten worden, so konnte ausnahmsweise auf das wegen dieser Nichteinhaltung der Zahlungszeit begründete Interesse allerdings geklagt werden. T. immensoriale, eine über Menschengedenken hinausgehende Zeit, die Grundlage der sogenannten Immemorialverjährung, s.u. Verjährung. T. judicati, der Zeitraum, binnen dessen der Verurtheilte dem an ihm erlassenen Befehle, die siegreiche Partei klaglos zu stellen, Folge leisten muß u. nach deren Verlauf mit wirklicher Einlegung der Execution verfahren wird. Gemeinrechtlich umfaßt dieser Zeitraum, insofern es sich nicht um Herausgabe einer speciell bestimmten Sache handelt, die sofort geschehen muß, 4 Monate, nach dem neueren partikularen Proceßgesetzen meist nur 3,8 od. 14 Tage Tempus clausum, so v.w. Geschlossene Zeit 1). Tempus vigilantĭae, Wartezeit, die statutarische Frist, welche zum Erwerb geistlicher Ämter od. Domstellen von den Candidaten beobachtet werden muß. 4) Die Zeitform, in welcher eine Thätigkeit dargestellt wird. Da sich eine dreifache Zeit ergibt, in welcher jede Thätigkeit gedacht u. dargestellt werden kann, nämlich als vergangen, od. als gegenwärtig, od. als zukünftig, so ist auch das grammatische T. im Allgemeinen ein dreifaches, u. zwar T praesens (instans, infectum) die Gegenwart, T praeterĭtum die Vergangenheit, u. T. futurum die Zukunft bezeichnend. Mehre Sprachen haben für jedes T. eine bestimmte Form; andere bilden dieselben durch Umschreibung mit Hülfsverbis (s. Verbum). Es zerfällt aber jedes jener Tempora, je nachdem man eine Handlung od. einen Zustand vollendet darstellt, wieder in zwei, u. unvollendete Zustände u. Handlungen der Gegenwart bezeichnet man mit dem Praesens (T. praesers rei imperfectae), z.B. ich schlage, ich blühe; in der Vergangenheit mit dem Imperfectum (T. praeteritum rei imperfectae), z.B. ich schlug, ich blühete; in der Zukunft mit dem Futurum simplex (T. futurum rei imperfectae), ich werde schlagen, ich werde blühen. Dagegen für die vollendet gedachten u. dargestellten Handlungen u. Zustände bedient man sich in der Gegenwart des Perfectum (T. praesens rei perfectae), ich habe gelesen, habe geblüht; in, der Vergangenheit das Plusquamperfectum (T praeteritum rei perfectae), ich hatte gelesen, hatte geblühet; in der Zukunft das Futurum exactum (T. futurum rei perfectae), ich werde geschlagen haben, werde geblüht haben. Zu den Zeitformen der Vergangenheit kommt im Griechischen noch der Aorist (s.d.) als erzählendes T. u. das Paulopostfuturum (s.d.), eine dritte Form des Futuri Passivi. In anderer Hinsicht theilt man die Zeitformen noch ein: in Haupttempora (Tempora absolūta, Tempora simplicĭa), welche einen einzelnen an sich verständlichen Sinn geben, u. zählt dazu das Praesens, Perfectum, Futurum simplex; u. abhängige Tempora (Tempora relatīva, Tempora composĭta), welche erst in Beziehung auf u. in Verbindung mit einem absoluten T. verständlich werden, dazu gehören das imperfectum, Plusquamperfectum u. Futurum exactum. Historisches Tempus heißt dasjenige, welches hauptsächlich in der Erzählung gebraucht wird u. im Lateinischen das Perfectum, im Griechischen das Aoristus, in lebendiger Rede des Präsens ist. Vgl. Kapf, De temporibus gramm., Heilbr. 1830; Herm. Schmidt, Doctrina temporum verbi gr. et lat., Halle 183642,4 Hefte; F. A. Fritsch, Kritik der bisherigen Tempus- u. Moduslehre, Frkf. 1838; Herling, Vergleichende Darstellung der Lehre vom T. u. Modus, Hannov. 1840; G. Curtius, Die Bildung der Tempora u. Modi im Griech. u. Lat., Berl. 1846; Füisting, Theorie der Modi u. Tempora in der Griech. Sprache, Münst. 1850; 5) der Schlaf am Kopfe, gewöhnlich nur im Plural, Tempora, gebraucht.