Amerika

[145] Amerika. Das Festland von Amerika wird im Osten durch den Atlantischen, im Westen durch den Stillen Ozean umgrenzt, im Norden von dem Arktischen, im Süden von dem Antarktischen Polarmeere. Es zerfällt in Nordamerika, Mittelamerika und Südamerika. Mittel- und Südamerika sind durch die schmale Landenge (46 km) von Panama miteinander verbunden. Auf der Ostseite bilden einen Übergang von Nordamerika nach Südamerika die Antilleninseln. Die Länge des gesamten amerikanischen Festlandes wird auf 15.000 km angegeben, der Flächenraum von Nordamerika beträgt 19,812.000 km2, der von Mittelamerika 547.300 km2, der Westindischen Inseln 244.500 km2, von Südamerika 17,732.000 km2.

Die Verkehrsstraßen, die die Personen- und Güterbewegung des Weltteils vermitteln, sind das Meer, die Flüsse, die Binnenseen, die Kanäle, die Landstraßen und die Eisenbahnen. Bei der Herstellung und Entwicklung dieser Verkehrsmittel sind Nordamerika einerseits und Mittel- und Südamerika anderseits scharf zu unterscheiden. Die Landstraßen sind in ganz A. niemals von erheblicher Bedeutung gewesen. Aber während in Nordamerika, vor allem in den Vereinigten Staaten, einzelne schiffbare Ströme, die großen Binnenseen und die Eisenbahnen seit den Zwanzigerjahren des vorigen Jahrhunderts eine immer fortschreitende, glänzende Entwicklung zeigen, sind in Mittel- und in Südamerika die Eisenbahnen erst in dem letzten Jahrzehnt des vorigen Jahrhunderts zu einiger Bedeutung gelangt, in Südamerika dienen die großen Ströme auch als wichtige Verkehrsstraßen. In A. haben die Eisenbahnen schon ziemlich früh die anderen Verkehrsmittel überflügelt und sind die eigentlichen Beherrscher des Verkehrs geworden.

Die Eisenbahnen durchqueren das Festland der Vereinigten Staaten an verschiedenen Stellen und verbinden den Atlantischen mit dem Stillen Ozean. Die älteste dieser Bahnen ist die über den Isthmus von Panama, die schon 1855 eröffnet worden ist, aber wesentliche wirtschaftliche Bedeutung nicht besitzt. Von großer Bedeutung sind dagegen die Überlandbahnen (Pacific Railroads, s.d.), die die Vereinigten Staaten und Canada von Osten nach Westen durchschneiden und deren erste (New York – San Francisco) im Jahre 1869 fertiggestellt worden ist. Die erste Überlandbahn in Südamerika zwischen Buenos Ayres und Valparaiso (die transandinische Bahn; s.d.) ist am 25. Mai 1910 dem Betrieb übergeben worden. Seit Jahren wird an einer ganz A. von Norden (Canada) bis zum äußersten Süden (Patagonien) durchziehenden Bahn gebaut, der sog. Intercontinental Railway (s.d.), wobei es sich wesentlich um Anlage der zwischen dem südlichen Teile von Mexiko und den mittelamerikanischen Staaten sowie Columbien, Bolivien, Chile, Brasilien und Argentinien fehlenden Zwischenstücke handelt. Der Bahn wird politische Bedeutung beigemessen, sie ist wiederholt durch den panamerikanischen Kongreß befürwortet; ob sie von erheblicher wirtschaftlicher Bedeutung sein wird, ist zweifelhaft.

Neben diesen Eisenbahnen kommt als neuer Verkehrsweg der im Bau befindliche Panamakanal in Betracht, der, wie man erwartet, mit den Überlandbahnen im Verkehr zwischen dem Atlantischen und Stillen Ozean in lebhaften Wettbewerb treten wird.

Die ersten kleineren Bahnstrecken wurden in den Vereinigten Staaten schon Ende der Zwanzigerjahre des vorigen Jahrhunderts, also einige Jahre früher als auf dem europäischen Festland, gebaut. Einer der ältesten und bedeutendsten Förderer des Eisenbahnbaues in Deutschland, Friedrich List, hat nachweislich in A. seine ersten Erfahrungen über die Anlage von Eisenbahnen gesammelt und in Deutschland mit bestem Erfolg verwertet. Bis in die Gegenwart hat A. mit den übrigen Weltteilen nicht nur gleichen Schritt im Bau der Eisenbahnen gehalten, sondern die meisten überflügelt. Im Jahre 1910 hatten die Eisenbahnen A.s eine Ausdehnung von 513.824 km (1830–64 km; 1840–4435 km; 1850–13.799 km; 1860–46.561 km; 1870–79.160 km; 1880–150.292 km; 1890–331.779 km; 1900–402.171 km; 1905–460.196 km), die der übrigen vier Erdteile zusammen eine solche von nur 492.924 km. Am dichtesten sowohl im Verhältnis zum Flächeninhaltais im Verhältnis zur Einwohnerzahl ist das Netz der Eisenbahnen der Vereinigten Staaten von A., in denen auf 100 km2 4∙1 km und auf 10.000 Einwohner 43∙5 km Eisenbahnen kommen. Im Verhältnis zur Einwohnerzahl weisen auch die dünnbevölkerten Länder Britisch-Nordamerika (59∙7 km), die Argentinische Republik (52∙1 km), [145] Chile (16 km), Mexiko (16∙6 km) und Brasilien (9∙8 km) erhebliche Längen an Eisenbahnen auf. Die mittel- und südamerikanischen Staaten stehen in der Entwicklung des Eisenbahnbaues den nördlichen Staaten gegenüber zurück, ein Umstand, der durch die gesamte Entwicklung der Kultur, die klimatischen und die Bodenverhältnisse der Länder genügend erklärt wird.

In keinem Teile A.s begegnet der Eisenbahnbau heute noch unüberwindlichen Schwierigkeiten, und die Technik hat sich der Lösung der ihr auf diesem Gebiet zufallenden Aufgaben durchaus gewachsen gezeigt; sie hat es vor allem verstanden, die zur Erschließung gänzlich unkultivierter Landesteile bestimmten, aus politischen und wirtschaftlichen Gründen notwendig gewordenen großen Überlandbahnen zwischen dem Atlantischen und Stillen Ozean unter Aufwendung verhältnismäßig bescheidener Geldmittel und in überraschend kurzer Frist fertig zu stellen. Obgleich einzelne dieser Bahnen hohe Gebirgskämme überschreiten, weisen sie z.B. nur wenige und nicht ungewöhnlich lange Tunnel auf. In Südamerika befinden sich die höchstgelegenen Eisenbahnen der Welt. Die Bahn von Lima nach Oroya führt am Ostabhang der Kordilleren hinauf und ihr höchster Punkt liegt 4760 m ü. M., also fast in gleicher Höhe wie der Montblanc. Ihre Länge beträgt 208 km. Ihr Erbauer ist der amerikanische Ingenieur Meiggs. Noch höher liegt die Antofagasta-Bahn von Antofagasta in Chile nach Oruro in Bolivien deren eine Zweigbahn eine Höhe von 4820 m ersteigt.

Eine ganz eigenartige Aufgabe hatte sich der am 8. März 1887 verstorbene Ingenieur James B. Eads in der Anlage einer Schiffseisenbahn über den Isthmus von Tehuantepek gestellt, deren Plan nach dem Tode von Eads nicht weiter verfolgt worden ist.

Beim Bau der Eisenbahnen hat man sich tunlichst den Bodenverhältnissen angepaßt, und erheblich weniger, als in anderen Ländern auf Einheitlichkeit und Gleichmäßigkeit der Anlagen Bedacht genommen. Schon die Spurweite der Hauptbahnen wechselte vom Anfang an und ist noch heute, selbst in den Vereinigten Staaten, eine verschiedene. Die sog. Normal-(Voll)spur ist auf den amerikanischen Bahnen die gleiche wie auf denen der übrigen Länder (4 Fuß 81/2 Zoll englisch = 1∙435 m). Außerdem finden sich Spurweiten von 1∙678, 1∙525, 1∙474, 1∙449, 1∙068, 0∙915, 0∙763 m; in Canada eine Spurweite von 1∙678 m. In Brasilien hat die große Mehrzahl der Bahnen eine Spurweite von 1 m, doch findet sich auch dort die breite Spur von 1∙65 m und Spuren von 1∙40, 1∙20, 0∙95 m. Auf der Grand Trunk Railway in Canada wurde im Jahre 1873 an einem Tag die Breitspur in die Vollspur umgewandelt. Eine ähnliche technische Leistung ist die Umwandlung der Spur der südlichen Bahnen der Vereinigten Staaten von 1∙525 m auf eine der Vollspur fast gleiche Spurweite (4 Fuß 9 Zoll statt 4 Fuß 81/2 Zoll). Diese Arbeit wurde in der Zeit vom 31. Mai bis 2. Juni 1886 auf 18.500 km Eisenbahnen durchgeführt. Auf der Eriebahn liegen drei Schienen. Sie hat neben der Breitspur von 1∙830 m auch die Vollspur von 1∙435 m.

Das herrschende Eisenbahnsystem A.s ist das der Privatbahnen. In den Vereinigten Staaten besteht dies ausschließlich, in den mittel- und südamerikanischen Staaten, vornehmlich in Brasilien, in Chili und in Argentinien sind viele Bahnen auch im Eigentum und der Verwaltung des Staates, in Britisch-Nordamerika sind einige Staatsbahnen vorhanden und die größeren Privatbahnen sind von der Regierung stark unterstützt worden. In Mexiko hat sich die Regierung durch Erwerb der Mehrheit der Aktien auf einigen der großen Bahnen Einfluß auf die Verwaltung gesichert. Die Privatbahnen werden meist von Aktiengesellschaften betrieben; sie sind von den Regierungen durch Schenkung von Ländereien, Gewährung von Geldbeträgen, Zinsbürgschaften, Übernahme von Aktien und Obligationen vielfach, insbesondere da unterstützt worden, wo nennenswerte Erträge für die ersten Betriebsjahre nicht zu erwarten waren.

Die Anlagekosten der amerikanischen Bahnen sind untereinander sehr verschieden. Durchschnittlich sind sie niedriger als in Europa, was hauptsächlich seinen Grund darin hat, daß der Erwerb von Grund und Boden bei zahlreichen amerikanischen Bahnen gar keine oder nur unbedeutende Kosten verursacht, und daß viele Eisenbahnen einfacher und ohne Luxus gebaut und dürftiger mit Betriebsmitteln ausgestattet sind. Die Anlagekosten der Vereinigten Staaten werden (im Jahre 1909) auf 192∙718 M. für das Kilometer angegeben; für die canadischen betrugen sie 145∙233 M., für die argentinischen 145.636 M.

Die Mittel zum Bau der Bahnen sind nicht allein in Amerika aufgebracht. Der hohe Zinsfuß, den die noch dazu mehrfach staatlich garantierten amerikanischen Prioritäten früher gewährten, und die beträchtlichen Dividenden, die zeitweise von einzelnen Bahnen herausgewirtschaftet wurden, haben deutsche, französische und englische Kapitalisten bestimmt, ihre Gelder in amerikanischen Eisenbahnpapieren anzulegen. Das deutsche Kapital hat[146] sich jedoch mehr von dort zurückgezogen, und während früher für jede nordamerikanische Bahn Geld auf dem deutschen Markt zu haben war, beschränkt man sich neuerdings auf die Beteiligung an Unternehmungen, die Bürgschaft für eine gute Verwaltung und sichere Erträge gewähren. Die europäischen Kapitalisten sind auch bemüht, sich einen gewissen Einfluß auf die Verwaltung zu sichern. Das englische Kapital ist auch stark beteiligt an den südamerikanischen Bahnen, deren einzelne in den Händen von englischen Aktiengesellschaften sich befinden, die in England ihren Wohnsitz haben.

Über die Eisenbahnen in den einzelnen Staaten von A. vgl. die besonderen Artikel: Argentinien, Bolivia, Brasilien, Britisch-Guyana, Britisch-Nordamerika (Canada), Chili, Columbia, Costarica, Cuba, Ecuador, Guatemala, Honduras, Jamaika, Mexiko, Neufundland, Nicaragua, Panama, Paraguay, Peru, Puertorico, San Domingo und Haïti, San Salvador, Trinidad, Uruguay, Venezuela, Vereinigte Staaten von Amerika.

v. der Leyen.

Quelle:
Röll, Freiherr von: Enzyklopädie des Eisenbahnwesens, Band 1. Berlin, Wien 1912, S. 145-147.
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