Board of Trade

[422] Board of Trade, das Handelsamt Großbritanniens, zugleich oberste Eisenbahnaufsichtsbehörde. Die Aufsichtsbefugnisse des B., die anfänglich sehr beschränkt waren, sind im Laufe der Zeit wesentlich erweitert worden,[422] so daß das B. gegenwärtig von immerhin nicht unbedeutendem Einfluß auf Bau, Betriebsführung und Verwaltung der Eisenbahnen ist.

Nach den geltenden gesetzlichen Bestimmungen hat das B. die Konzessionsgesuche zum Bau neuer und zur Erweiterung im Betriebe befindlicher Bahnlinien vor der Vorlage an das Parlament zu begutachten und diesem den Antrag mit den Plänen und Berechnungen zu unterbreiten.

Nach dem Gesetz von 1864 (Railway Construction Facilities Acts) sollte das B. befugt sein, zum Baue neuer Eisenbahnen die Genehmigung auf Grund der Erfüllung der vorschriftsmäßigen Bedingungen selbständig durch ein Zertifikat zu erteilen, vorbehaltlich der stillschweigenden Genehmigung des Parlaments und vorausgesetzt, daß gegen das Projekt keine Opposition geltend gemacht wird. Diese Bestimmung erlangte jedoch, da die letztere Voraussetzung fast niemals zutraf, keine praktische Geltung.

Ein Gesetz vom Jahre 1868 erteilte dem B. bestimmte Befugnisse hinsichtlich der Bewilligung zur Ausführung von Eisenbahnen als »Light Railways«.

Das Gesetz von 1840 (Railway Regulation Act) ermächtigte das B., die Eisenbahn vor und nach der Eröffnung durch seine Beauftragten besichtigen zu lassen. Die Dienstvorschriften der Eisenbahnen, die allgemeines Interesse haben, sollten dem B. zur Genehmigung vorgelegt werden, dasselbe sollte auch die Aufstellung und die Statistik der Betriebsergebnisse überwachen.

Das Gesetz von 1840 gab dem B. die in der Praxis allerdings nicht ausgenützte Vollmacht, die Befolgung der Gesetze (allgemeine und besondere) durch die Eisenbahnen zu überwachen und bei Gesetzesverletzungen eine gerichtliche Belangung der Eisenbahngesellschaft beim Kronanwalt zu veranlassen.

Nach einem Gesetz vom Jahre 1842 hat jede Bahnverwaltung ihre Absicht, eine Eisenbahn für den Personenverkehr zu eröffnen, vor der Inbetriebnahme dem B. anzuzeigen. Das B. hat die Verpflichtung, die Eisenbahn vor der Eröffnung zu besichtigen.

Wenn nach Ansicht des besichtigenden Beamten »die Eröffnung der Eisenbahn von Gefahr für die sie benutzenden Personen begleitet sein würde, weil die Anlage noch nicht fertiggestellt oder die Betriebseinrichtungen ungeeignet sind«, kann die Eröffnung des Betriebs untersagt und zur Beseitigung der Mängel eine Frist von einem Monat gegeben werden.

Das Gesetz ermächtigte auch das B., Bestimmungen aufzustellen, denen eine Eisenbahn genügen muß, wenn ihrer Eröffnung kein Hindernis entgegenstehen soll.

Ein Gesetz vom 14. August 1871 gab in Ergänzung jenes von 1840 dem B. weiter gehende Befugnisse. Während das ursprüngliche Gesetz nur auf neue Bahnen Anwendung fand, wurde nunmehr die Verpflichtung der Eisenbahnverwaltung, die bevorstehende Betriebseröffnung dem B. anzuzeigen, auch auf Erweiterungsbauten, Umgehungs- und Ablenkungsstrecken, Neuanlagen von Bahnhöfen, Verbindungsgleise und Kreuzungen ausgedehnt, die dem Personenverkehr dienen und nach der ersten schon früher vorgeschriebenen Besichtigung der ursprünglichen Anlage erbaut werden.

Der Railway and Canal Traffic Act vom 31. Juli 1873 gab dem B. neuerdings die Vollmacht, eine fertige Eisenbahn vor der Eröffnung zu untersuchen.

Dem B. ist jeder Unfall anzuzeigen, bei dem Personen getötet oder verletzt worden sind, ferner jeder Zusammenstoß, bei dem einer der Züge ein Personenzug ist, jede Entgleisung eines Personenzuges oder Personenzugteiles, und jeder Unfall, bei dem Menschenleben gefährdet worden sind. Durch den Notice of Accidents Act wurde die Verpflichtung zur Anzeige später auch noch auf Unfälle ausgedehnt, die beim Bau von Eisenbahnen vorkommen. Das B. ist berechtigt, über jeden solchen Unfall eine Untersuchung anzustellen, insbesondere, um seine Veranlassung aufzuklären. Zu diesem Zwecke dürfen seine beauftragten Beamten die Eisenbahnanlagen betreten, die Angestellten der Eisenbahnen vernehmen und die Bücher und Akten einsehen. Auf Grund dieser Erhebung erstattet der Beamte dann einen Bericht an das Handelsamt, in dem er die Gründe des Unfalls, soweit sie ermittelt worden sind, darlegt und kritische Bemerkungen daranknüpft.

Im Jahre 1873 wurde ein Gesetzentwurf ausgearbeitet, der die Einführung des Blocksystems und der Verriegelung der Weichen und Signale in Abhängigkeit voneinander erzwingen sollte.

Erst durch das Gesetz vom 30. August 1889 wurde jedoch das B. ermächtigt, von einer Eisenbahngesellschaft die Einführung des Blocksystems auf einer oder allen ihren Strecken, die Herstellung der Abhängigkeit der Signale von den Weichen, die Einführung einer erprobten Kuppelung und durchgehender Bremsen bei Personenzügen, die Anlage von Unter- oder Überführungen oder von Personenübergängen anzubefehlen. Bei Erteilung eines solchen Auftrags hat das B. die Natur und Ausdehnung des Bahnverkehrs zu berücksichtigen. Das B. ist berechtigt, einzelne Erleichterungen zuzugestehen, insbesondere auf kurzen eingleisigen[423] Strecken von der Einführung des Blocksystems, ferner im Ausnahmefall für gemischte Züge, unter gewissen Bedingungen auch für einzelne nicht für Personenbeförderung bestimmte Wagen von der Anwendung durchgehender Bremsen abzusehen. Die Frist, innerhalb der die Bahnen das Blocksystem einzuführen hatten, ist vom B. mit 12 Monaten, jene für vollständige Einführung der durchgehenden und selbsttätigen Bremsen bei Personenzügen mit 18 Monaten festgesetzt worden. Nach Art. III des Gesetzes können die einer Gesellschaft durch Ausführung der gedachten Aufträge erwachsenden Kosten im Weg einer Kapitalsvermehrung aufgebracht werden. Die Höhe bestimmt das B., worauf die Gesellschaft Obligationen oder Prioritätsaktien ausgeben kann, die mit höchstens 5% verzinst werden dürfen.

Das B. kann ferner von jeder Bahn periodische Berichte über die von ihr beschäftigten Personen, denen die Fürsorge für Züge oder Reisende obliegt und die mehr als 12 Stunden hintereinander beschäftigt werden, verlangen (Art. IV); endlich sollen für Reisende ohne Fahrkarte nicht mehr die reglementarischen Bestimmungen der Gesellschaften, sondern gesetzliche Strafen durch das B. eingeführt werden (Art. V).

Der Railway and Canal Traffic Act vom 10. August 1888 traf neue Bestimmungen hinsichtlich des 1873 errichteten Eisenbahngerichtshofes (Railway and Canal Commissioners), sowie der staatlichen Einflußnahme auf die Tarife.

Die durch das genannte Gesetz eingesetzte Eisenbahn- und Kanalkommission besteht aus 2 angestellten und 3 Mitgliedern von Amts wegen (Gerichtspersonen). Die ersteren werden auf Vorschlag des Präsidenten des B. vom König ernannt. Den Kommissaren steht die volle Gerichtsbarkeit und Amtsbefugnis zu, die den Eisenbahnkommissaren auf Grund des Gesetzes von 1873 eingeräumt war (hauptsächlich über Klagen wegen Verletzung des Gesetzes vom 10. Juli 1854, das vorschrieb, daß die Eisenbahnen alle angemessenen Erleichterungen des Verkehres gewähren, keine Personen, Gesellschaften oder Verkehrsarten ungehörig begünstigen oder benachteiligen u.s.w.).

Außer den zunächst Beteiligten können nunmehr auch städtische und andere örtliche Behörden vor dem Eisenbahngerichtshof Klage führen. Eine Beschwerde, bzw. Klage gegen eine Eisenbahn kann vor diesem Gerichtshof erst dann eingebracht werden, wenn das B. in einem Zertifikat hierzu die besondere Erlaubnis erteilt.

Was die Einflußnahme des B. auf die Tarife anbelangt, so prüft das B., dem jede Eisenbahngesellschaft eine neue Güterklassifikation nebst zugehörigem Verzeichnis der höchsten Tarifsätze und sonstigen Gebühren, sowie die erforderlichen Erläuterungen vorzulegen hat, die Vorschläge sowie die dagegen etwa erhobenen Einwände und sucht zwischen den Parteien eine Einigung über die strittigen Punkte herbeizuführen. Wird eine Einigung erzielt, so erläßt das B. eine vorläufige Verordnung (Provisional order) hinsichtlich der vereinbarten Klassifikation und Sätze und erstattet hierüber dem Parlament Bericht. Sodann wird diese vorläufige Verordnung als Gesetzentwurf zur endgültigen Genehmigung vorgelegt. Gelingt eine Einigung nicht, so stellt das B. nach eigenem Ermessen eine Güterklassifikation sowie die Tarifsätze und sonstigen Gebühren fest und erstattet dem Parlament unter ausdrücklichem Hinweis auf die strittigen Punkte Bericht. Die beteiligte Eisenbahn ist aber berechtigt, in der nächstfolgenden Sitzungsperiode des Parlaments durch das B. eine Entscheidung über die einzuführende Klassifikation nebst zugehörigen Höchstsätzen und sonstigen Gebühren zu verlangen. (1891 und 1892 erlangten die vom B. dem Parlamente unterbreiteten 35 vorläufigen Verordnungen über die Klassifikation und die Höchsttarife der einzelnen Bahnen mit mehrfachen Abänderungen Gesetzeskraft.)

Beschwerden über die Erhebung unbilliger und nicht gerechtfertigter Sätze sowie über unangemessene Behandlung in Tarifangelegenheiten sind an das B. zu richten. Dieses prüft die Beschwerde, fordert die Eisenbahn zu einer Erklärung auf und versucht, eine gütliche Beilegung herbeizuführen. Über derlei Beschwerden und das Ergebnis hat das B. Bericht ans Parlament zu erstatten.

Außerdem bleibt es dem B. vorbehalten, von Zeit zu Zeit Vorschriften über die formelle Aufstellung von Klassifikationen und Verzeichnissen, sowie über deren Vorlage, über ihre Festsetzung und Veröffentlichung sowie über jene der vorläufigen Verordnungen, über das gesamte einschlägige Verfahren vor dem B. über die hierfür zu entrichtenden Gebühren u.s.w. zu erlassen, abzuändern oder aufzuheben.

Ein Gesetz vom Jahre 1893, das sich mit den Dienst- und Ruhezeiten der Bediensteten beschäftigt (Hours of Labour Act) bestimmt, das Handelsamt könne einschreiten, wenn ihm Vorstellungen gemacht werden, daß einzelne Eisenbahnangestellte oder bestimmte Gruppen zu lange Arbeitsstunden ohne genügende Ruhepausen und Ruhetage haben. Die Gesellschaften können dann verhalten werden, Dienstpläne vorzulegen und, wenn diese die Berechtigung der Klage ergeben, die Dienstdauer zu verkürzen. Gegen eine solche Entscheidung[424] des B. steht den Eisenbahnverwaltungen die Berufung an die Railway and Canal Commission frei, die auf Grund des Railway and Canal Traffic Act vom 10. August 1888 gebildet wurde.

Die gesetzlichen Vorschriften über die Dauer der Dienstzeit haben einen sehr günstigen Einfluß auf die Regelung der Dienstverhältnisse der Eisenbahnangestellten gehabt; diese sind dadurch erheblich entlastet worden. Eine Entscheidung des Eisenbahn- und Kanalausschusses ist bis jetzt in Angelegenheiten der Dienstdauer noch nicht angerufen worden.

Für Fragen, die die Besoldungen des Eisenbahnpersonals betreffen, ist inzwischen dem B. das Wages Conciliation Board als Vermittlungsamt beigeordnet worden, das als ein wirksames Organ zur Verbesserung des Besoldungswesens der Bahnangestellten angesehen wird.

Das Gesetz vom Jahre 1900, Railway Employment (Prevention of Accidents) Act, bezweckt hauptsächlich den Schutz der Eisenbahnangestellten gegen Unfälle. Das B. hat die Verpflichtung, zur Verhütung und Verminderung der Gefahren, die mit dem Eisenbahnbetriebe zusammenhänge, Vorschriften aufzustellen. Ehe jedoch solche Vorschriften für die Eisenbahnen bindend werden, unterliegen sie der Überprüfung durch den Eisenbahn- und Kanalausschuß. Die Weigerung, vorgeschriebene Sicherheitsmaßnahmen einzuführen oder für unzulässig erklärte Einrichtungen abzuschaffen, zieht eine Strafe von 10 £ für jeden Tag oder von 50 £ im ganzen nach sich. Bis jetzt sind auf Grund dieses Gesetzes Bestimmungen über die Bezeichnung der Eisenbahnwagen, über die Bewegung von Wagen durch Seilzug, über Kraftbremsen auf Lokomotiven, über die Beleuchtung von Bahnhöfen und Nebengleisen, über die Sicherung von Weichen, den Schutz von Wasserstandsgläsern, Mitführung von Werkzeugkasten auf den Lokomotiven, Einstellung von Bremswagen in Züge und für den Schutz der Streckenarbeiter bei Arbeiten im Gleis u.s.w. erlassen worden.

Über die Finanzgebarung und das Rechnungswesen der Eisenbahngesellschaften übt das B. eine mehr statistische Kontrolle aus. Die Gesellschaften haben (Regulation of Railways Act 1871) ihre Bilanzen sowie Jahresausweise, insbesondere über Aufnahme und Verwendung[425] des Kapitals, Verkehrsumfang, Einnahmen, Ausgaben und Gewinne einzureichen, auf Grund deren vom B. die Eisenbahnstatistik aufgestellt wird. Es ist bekannt, daß diese Betriebsangaben der englischen Eisenbahnen hinter denen der Betriebsangaben der anderen europäischen Eisenbahnen zurückstehen, so daß vielfach die Veröffentlichung umfassenderer Angaben verlangt wird. Bisher ist eine Erweiterung der statistischen Unterlagen, namentlich über die Leistungen der Fahrzeuge und die zurückgelegten Personen/km und Güter/tkm nicht erzielt worden, da alle Vorschläge an dem Widerspruche der Eisenbahngesellschaften scheiterten. Zu einer einseitigen Anordnung ist das B. aber nicht befugt. Außer dieser allgemeinen Eisenbahnstatistik wird vom B. alljährlich eine Eisenbahn-Unfallstatistik veröffentlicht.

Literatur: Cohn, Untersuchungen über die englische Eisenbahnpolitik. Leipzig 1875 und 1883. – Hodges, A treatise on the law of Railways. 7. Aufl. 1888, 1. Bd., S. 405–428. – Ulrich, Das englische Eisenbahn- und Kanalgesetz. Arch. f. Ebw. 1889, S. 1. – Acworth (Wittek), Grundzüge der Eisenbahnwirtschaftslehre. Wien 1907. – Brown a. Theobald, Law of Railways. 4. Aufl. 1911. – Wernecke, Einiges über die englische Eisenbahngesetzgebung. Ztg. d. VDEV. 1912, Nr. 6, 7.

Hoff.

Quelle:
Röll, Freiherr von: Enzyklopädie des Eisenbahnwesens, Band 2. Berlin, Wien 1912, S. 422-426.
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