Zugleitung, Zugleiter

[512] Zugleitung, Zugleiter (train dispatcher, train controle; chef du mouvement des trains; capo del movimento dei treni), unmittelbare Leitung des Zugverkehrs durch Telegraph oder Fernsprecher von einer Stelle aus (s. Betriebssystem unter I c). Sie bezieht sich nicht auf die Handhabung der für die Sicherheit der Zugfahrten dienenden Maßnahmen, insbesondere nicht auf das unabhängig von der Z. zu handhabende Zugmeldeverfahren, sondern bezweckt lediglich die Bestimmung der Reihenfolge oder Rangordnung der abzulassenden Züge und auch dieser im allgemeinen nur soweit sie nicht zu den Personenzügen gehören, die Umleitung von Zügen über Entlastungsstrecken oder die Abbeförderung von Gütern und Wagen mit Sonderzügen sowie die Vermittlung von Aushilfeleistungen durch Lokomotiven und Personale. Wie im Aufsatz Fahrdienstleitung unter V näher ausgeführt ist, hatten die preußischen Staatsbahnen die Einrichtung von Z. für den Fall außergewöhnlicher Betriebsverhältnisse vorgesehen (vgl. Ztg. d. VDEV. 1914 S. 89). Die während des Kriegs infolge der außergewöhnlichen Anforderungen eintretenden und nach seiner Beendigung andauernden Verkehrsstockungen (s.d.) zwangen nicht nur die deutschen, sondern auch die österreichischen und andere Bahnen, und zwar sowohl die innerhalb der Landesgrenzen gelegenen als auch die im Kriegsgebiet befindlichen Verwaltungen von der Einrichtung von Z. umfangreichen Gebrauch zu machen. Dabei wurden den Z. in der Regel nicht nur Beamte für die eigentlichen fahrdienstlichen Anordnungen, sondern auch für die Regelung des Lokomotivdienstes und des Zugbegleitungsdienstes zugeteilt (vgl. Ztg. d. VDEV. 1918 S. 1029).


Nach der Dienstvorschrift für Z. auf den deutschen Reichsbahnen (Eisenb. Nachr.-Bl. 1918. S. 71) sind die Z. als Hilfsbetriebsstellen zur Unterstützung der mit der Leitung des Fahrdienstes beauftragten Beamten der Dienststellen, Ämter und Direktionen anzusehen. Sie sollen eingerichtet werden, wenn die Betriebsführung lediglich auf Grund des Fahrplans, der Diensteinteilungen, der Beförderungsvorschriften, Wagenübergangs- und Bahnhofsbedienungspläne nicht mehr gesichert erscheint. Den[512] Z. ist jeder Eingriff in den eigentlichen Zugsicherungsdienst untersagt, dagegen obliegt ihnen die Sorge für die Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung eines geordneten Zugverkehrs. Z. mit geringem Dienstumfang werden als Hilfszugleitungen bezeichnet. Zur Überwachung der Z. eines Direktionsbezirks und zur Verständigung mit den Nachbarbezirken dienen Oberzugleitungen am Sitze der Direktionen. Ihnen obliegt der Ausgleich der Zugpersonale und Lokomotiven. Da sie in enger Verbindung oder als Teil des Betriebsbureaus arbeiten, können sie als dauernde Einrichtung tätig sein, während die Z. nach Bedarf durch die Eisenbahndirektion eingesetzt und wieder aufgehoben werden. Die Z. haben sich über den Zugverkehr auf den ihnen zugeteilten und den benachbarten Strecken dauernd unterrichtet zu halten und zu dem Zweck von Zeit zu Zeit ein Abfragen der Bahnhöfe und benachbarten Z. auf Fernsprecher vorzunehmen und das Ergebnis als Unterlage für ihre Arbeiten aufzuschreiben. Zur Verhütung von Stockungen haben sie erforderlichenfalls die vorübergehende Zurückhaltung, Abstellung, Abspannung und Wiederingangsetzung von Zügen anzuordnen, damit die Strecke bei mangelnder Vorflut nicht planlos voll gefahren wird. Der Oberzugleitung obliegt die dauernde Unterrichtung der Direktion über alle wichtigen Betriebsvorgänge im eigenen und den Nachbarbezirken. Sie steht in enger Verbindung mit dem Betriebsbureau, dem Wagenbureau und dem Verkehrsbureau und erleichtert hierdurch die Vorbereitungen für die Übernahme bevorstehender Leistungen. Bei eintretender Überlastung eines Bahnhofes oder bei Unfällen hat sie die zur Entlastung notwendige Umleitung von Zügen vorzunehmen.

Alle Z. haben etwaigen Stockungen des Zugverkehrs nach Kräften vorzubeugen. Droht eine Bahnhofs- oder Streckenüberlastung, so ist ein Teil des Verkehrs abzulenken. Frachten für gesperrte Strecken sind frühzeitig abzufangen und auszusondern. Besonderer Fürsorge bedarf der Lokomotiv- und Personaldienst bei Zugverspätungen (s.d.), damit volle Ausnutzung erfolgt und unnötiges Warten dienstbereiter Lokomotiven und Personale vermieden wird. Unnötige Leerfahrten von Lokomotiven und Personalen müssen vermieden, diese vielmehr für Züge der Gegenrichtung ausgenutzt werden. Anderseits ist ihrer Überanstrengung durch rechtzeitiges Abspannen wartender oder abgestellter Züge vorzubeugen. Bei ernster Betriebslage ist ferner auf sorgfältige Vormeldung der Züge und ihrer Verspätungen an die Wechselstationen und Z. zu achten, damit für Ablösung und zweckmäßige Weiterverwendung der Lokomotiven und Personale gesorgt werden kann. Die Z. führen ein Tagebuch, eine Nachweisung über das Abfragen der Strecke, eine Übersicht der zu erstattenden Meldungen, ein Verzeichnis der Ankunft und Abfahrt der Züge auf den wichtigeren Bahnhöfen, eine Nachweisung über die abgestellten Züge und Wagen, über die Verwendung der Bereitschaftspersonale und der Lokomotiven. Die für jeden Streckenabschnitt zugelassene Zugzahl und die Abstellungsmöglichkeiten sind in den Ausführungsbestimmungen zur Dienstvorschrift von der Direktion festzusetzen.

Oberzugleitung und Wagenbureau sollen im gegenseitigen Benehmen dafür sorgen, daß bei der Wagenverteilung Leistungsfähigkeit und Wirtschaftlichkeit des Betriebs nicht außer Acht gelassen wird. Die Erfüllung dieser wichtigen Aufgabe macht denjenigen Verwaltungen besondere Schwierigkeiten, die Wagenverteilung und Wagenumlauf den Geschäften des Verkehrs zugeteilt haben. Die mit der Bewältigung der Betriebsschwierigkeiten der letzten Jahre betrauten Betriebsbeamten haben daher auf Grund ihrer Erfahrungen die Zuteilung des Wagendienstes zu den Geschäften der Betriebsleitung gefordert und darauf hingewiesen, daß eine einheitliche straffe Betriebsführung unter Erzielung voller Erfolge nur durch eine solche Geschäftsvereinigung gewährleistet sein würde. Die zwischen Wagenverteilung, Wagenumlauf und Betriebsführung stehenden engen Beziehungen begründen die Forderung. Die Verbindung der Wagenverteilung mit der Betriebsleitung hat eine klare Abgrenzung der Arbeitsgebiete zur Folge, wie sie auch für die übrige Wagenbewegung gefunden wird, wenn die Beförderung der Wagen von ihrer Beladung an bis zur Laderechtstellung auf der Empfangstation uneingeschränkt der Betriebsleitung überlassen wird (vgl. Verkehrstechn. W. 1921, S. 71).


Die Z. können nur erfolgreich wirken, wenn sie über gute Fernsprechverbindungen verfügen. Ihr Vorhandensein oder die Möglichkeit ihrer Herstellung ist maßgebend für die Wahl des Orts einer Z. und für die Streckenzuteilung insbesondere die Streckenlänge. Die Schwierigkeit, die mit der Benutzung des Fernsprechers noch verbunden ist, wenn es sich darum handelt, jederzeit mit zahlreichen weit entfernt gelegenen Stellen schnell in Verbindung treten zu müssen, hat sich im ausgedehnten und verzweigten Netz der deutschen Eisenbahnen während des Kriegs recht fühlbar gemacht. Sie trug dazu bei, daß »Generalbetriebsleitungen« zwischen die betriebsleitenden Eisenbahndirektionen und die in der Betriebsabteilung des Ministeriums bestehende »Oberste Betriebsleitung« eingeschaltet wurden, denen die Einleitung und Überwachung der über die Direktionsgrenzen hinaus sich erstreckenden Kriegs- und sonstigen außergewöhnlichen Verkehrsleistungen oblag. Solche Generalbetriebsleitungen wurden eingerichtet in Essen für die westlichen, in Berlin für die östlichen, in Frankfurt sowie später in Würzburg für die südlichen Bezirke (s. Verkehrsstockungen unter III, B, 3). Die aus der Abwicklung des Friedensvertrags, aus den polnischen Wirren und der schwierigen wirtschaftlichen Lage des Landes sich ergebende Inanspruchnahme der Eisenbahnen hat die Beibehaltung dieser als nützlich erkannten Hilfsstellen, länger als bei ihrer Errichtung angenommen wurde, nötig gemacht.


Nach ihrer Geschäftsanweisung (bekanntgegeben im Reichsverkehrsblatt 1920, S. 9) haben die Generalbetriebsleitungen die Einheitlichkeit des Zugbeförderungsdienstes im Fern- und Durchgangsgüterzugverkehr zu überwachen, sich über die Betriebslage auf Grund des durch Eisenbahn Nachr. Bl. Berlin 1918, S. 37 für die deutschen Reichsbahnen eingeführten Meldeverfahrens unterrichtet zu halten und den Gründen etwaiger Unregelmäßigkeiten im Zuglauf nachzugehen. Die täglich abends oder früh morgens der Obersten Betriebsleitung und nachrichtlich[513] den Generalbetriebsleitungen von den Eisenbahndirektionen zugehenden telegraphischen Meldungen, die durch Anwendung eines bestimmten Musters zahlreiche Abkürzungen zulassen, geben Aufschluß über die Betriebsleistungen auf den hierfür im voraus bezeichneten Strecken in den letzten 24 Stunden, über Rückstände (Zahl der abgestellten Züge und Wagen), alle wichtigen Vorkommnisse und erheblichen Verspätungen in einer mit den Vortagen vergleichsfähigen Form (s. Zugverspätungen und Verkehrsstockungen unter II). Der betriebstechnische Kleindienst und das Sicherungswesen gehören nicht zum Geschäftskreis der Generalbetriebsleitungen. Diese haben im Benehmen mit den Eisenbahndirektionen die zur Verhütung und Behebung von Betriebsschwierigkeiten geeigneten Maßnahmen zu treffen, die Einsetzung von Z., Personal- und Lokomotivausgleichstellen herbeizuführen, die Aushilfe mit Betriebspersonal, vorübergehend auch mit Lokomotiven zu vermitteln, die notwendig werdenden Umleitungen von Last- und Leerzügen, Änderungen in den Zugbildungsaufgaben der Bahnhöfe und der Rangordnung der Güterzüge, ergänzende Bestimmungen zur Regelung des Güterzugdienstes an den Sonn- und Feiertagen, Rückhaltsperren, Annahmesperren u.s.w. im Benehmen mit den zuständigen Stellen anzuordnen oder anzuregen, auf die Einführung aller sonstige Maßnahmen, wie Regelung der Sonntagsruhe, der Leitungs- und Ladevorschriften einschließlich Benutzung der Wasserstraßen, Ergänzung baulicher Anlagen bei den Eisenbahndirektionen hinzuwirken und endlich Sonderaufträge wie die Geschäftsführung bei Güterzugfahrplanberatungen zu übernehmen. Die Generalbetriebsleitungen können von den Eisenbahndirektionen Auskunft und Meldungen innerhalb ihrer Zuständigkeit einfordern. Die Geschäftserledigung haben sie in weitestem Umfang durch Fernsprecher und mündliches Benehmen vorzunehmen.

Breusing.

Quelle:
Röll, Freiherr von: Enzyklopädie des Eisenbahnwesens, Band 10. Berlin, Wien 1923, S. 512-514.
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