[9] Accent. (Redende Künste)
Die Modification der Stimme, wodurch in der Rede oder in dem Gesang einige Töne sich vor andern ausnehmen, und wodurch also überhaupt Abwechslung und Mannigfaltigkeit in die Rede kommen. Wenn alle Sylben mit gleicher Stärke und Höhe der Stimme ausgesprochen würden, so wäre weder Annehmlichkeit noch Deutlichkeit in derselben; sogar die Bemerkung des Unterschieds der Wörter würde wegfallen. Denn daß das Ohr die Rede in Wörter abtheilet, kommt blos von dem Accent her.
Die Accente sind aber von verschiedener Gattung, und haben sowol in der künstlichen Rede oder der Sprache, als in der natürlichen, oder dem Gesange, statt; wir müssen jede Gattung besonders betrachten.[9] Jedes vielsylbige Wort hat auch außer der Rede, wenn es allein ausgesprochen wird, einen Accent, dessen Würkung ist, daßelbe Wort von denen, die vor oder nach ihm stehen könnten, abzulösen und für sich zu einem ganzen zu machen, indem es dadurch eine Erhöhung und Vertiefung, einen Anfang und ein Ende bekommt1 und also zu einem Worte wird. Dieses läßt sich fühlen und bedarff also keiner weitern Ausführung. Diese Gattung wird der grammatische Accent genennet. Er wird in jeder Sprache blos durch den Gebrauch bestimmt, deßen Gründe schwerlich zu entdeken sind. Dieser Accent ist eine der Ursachen, welche die Rede wolklingend machen, indem er sie in Glieder abtheilt, und diesen Gliedern selbst Manigfaltigkeit giebt, da in verschiedenen gleichsylbigen Wörtern der Accent verschieden gesetzt wird. So sind die viersylbigen Wörter Gerechtigkeit, Wolthätigkeit, Philosophisch, Philosophie, gleich große Glieder der Rede, aber von verschiedenem Bau; indem eines den Accent auf der ersten, ein anders auf der zweiten, eines auf der dritten und eines auf der vierten Sylbe hat.
Die nächste Gattung des Accents ist diejenige, welche zu deutlicher Bezeichnung des Sinnes der Rede dienet und den Nachdruk gewißer Begriffe bestimmt; man nennt dieses den oratorischen Accent. Einsylbige Wörter haben keinen grammatischen Accent, sie bekommen den Oratorischen, so bald sie Begriffe bezeichnen, auf welche die Aufmerksamkeit besonders muß geführt werden. In vielsylbigen Wörtern wird der grammatische Accent durch den Oratorischen verstärkt oder verschwächt, oder gar aufgehoben und auf andre Sylben gelegt. In der Redensart: er sey stark oder schwach, daran liegt nichts, bekommen die Wörter stark und schwach kaum einen merklichen Accent: Sagt man aber, ist er auch stark genug? – oder: ist er wol schwach genug? – so bekommen sie durch den Accent einen Nachdruk. In dem Ausdruk: was unmöglich ist, wünscht kein verständiger Mensch, behält das Wort unmöglich seinen grammatischen Accent auf der ersten Sylbe, da in diesem Ausdruk – unmöglich kann mein Freund mich verlaßen! – der oratorische Accent auf die zweite Sylbe des Worts unmöglich kommt. Wer im Zorn sagte – unmöglich, oder möglich, es gilt gleich viel. – der würde den oratorischen Accent auf den grammatischen legen und die Sylbe un verstärken. Eine besondere Art des oratorischen Accents ist der Pathetische, welcher den Oratorischen noch verstärkt. Dieser macht eigentlich das aus, was wir den Ton nennen, davon besonders gehandelt wird.2 Man kann nämlich einerley Reden mit einerley oratorischen Accenten, dennoch so verschieden vorbringen, daß sie ganz entgegen gesetzte Charaktere annehmen.
Von der Beobachtung der Accente hängt ein großer Theil des Wolklangs ab. Der Redner und der Dichter, der seine Worte und Redensarten so zu setzen weis, daß alle Gattungen der Accente sich nicht nur unter dem lesen selbst darbieten, sondern mit den Gedanken selbst so genau verbunden sind, daß sie nothwendig werden, ist unfehlbar wolklingend. Denn daß der Wolklang mehr von den verschiedenen Accenten, als blos von der richtigen Beobachtung der Prosodie herkomme, scheinet eine ausgemachte Sache zu seyn.
Accent in der Musik. Die verschiedene Gründe, aus denen die Nothwendigkeit der Accente in der Sprach erkennt wird, können auch auf die Accente des Gesanges angewendet werden. Der Gesang ist eine Sprache, die ihre Gedanken und ihre Perioden hat. Ohne Verschiedenheit des Nachdruks der einzeln Töne und Mannigfaltigkeit darin, das ist ohne Accente, hat kein Gesang statt. S. ⇒ Gesang. Das Ohr muß bald gereitzt, bald in seiner Spannung etwas gehemmt werden, itzt eine größere, denn eine geringere Empfindung bey einerley Gattung des Ausdruks haben. Die Accente, welche sowol einzele Töne erheben oder dämpfen, als ganzen Figuren mehr oder weniger Nachdruk geben, sind die Mittel jene Würkungen zu erreichen.
Diese Accente sind, wie die in der gemeinen Sprache, grammatische, oratorische und pathetische Accente; sie müssen alle erst von dem Tonsetzer, hernach in dem Vortrag von dem Sänger oder Spieler auf das genaueste beobachtet werden. Die grammatischen Accente in der Musik sind die langen und kräftigen Töne, welche die Haupttöne jedes Accords ausmachen und die durch die Länge und durch den Nachdruk, durch die mehrere Fühlbarkeit, vor den andern, die durchgehende, den Accord nicht angehende Töne sind, müssen unterschieden werden. Diese Töne fallen auf die gute Zeit des Takts. Es ist aber schlechterdings [10] nothwendig, daß sie in Singestüken mit den Accenten der Sprache genau übereintreffen.
Die oratorischen und pathetischen Accente des Gesanges werden beobachtet, wenn auf die Wörter, welche die Hauptbegriffe andeuten, Figuren angebracht werden, die mit dem Ausdruk derselben überein kommen, weniger bedeutende Begriffe aber mit solchen Tönen belegt werden, die blos zur Verbindung des Gesanges dienen; wenn die Hauptveränderungen der Harmonie auf dieselben verlegt werden; wenn die kräftigsten Ausziehrungen des Gesanges, die nachdrüklichsten Verstärkungen oder Dämpfungen der Stimmen, an die Stellen verlegt werden, wo der Ausdruk es erfodert.
In Singestüken muß demnach der Tonsetzer zu voderst die Accente seines Textes genau studiren, weil die seinigen nothwendig damit übereinstimmen müßen. Erst alsdenn, wenn er sich seinen Text mit allen Accenten, dem Ohr vollkommen eingepräget hat, kann er auf seinen Gesang denken. Da aber der Lauf des Gesanges durch die Harmonie und den Takt ungemein vielmehr eingeschrenkt ist, als der Lauf der Rede, so findet freylich der Tonsetzer starke Schwierigkeiten, diese beyden Dinge mit dem Accent zu verbinden. Er hat aber auch wieder Mittel sich heraus zu helfen; die Pausen der Singestimme, da inzwischen die Instrumente seine Periode vollenden; die Wiederholung einiger Wörter und andre ihm eigene Kunstgriffe kommen ihm zu Hülffe, wenn es ihm nur nicht an Genie fehlt, selbige recht anzuwenden.
Die Musik hat unendlich mehr Mittel, als die Sprache, ein Wort und eine Redensart verschiedentlich vor andern zu modificiren, das ist, sie hat eine Mannigfaltigkeit oratorischer und pathetischer Accente, da die Sprache nur wenige hat. Dieses ist einer der vornehmsten Gründe der vorzüglichen Stärke der Musik über die bloße Poesie. Aber desto mehr Schwierigkeit hat auch der Tonsetzer, diese Accente mit den übrigen wesentlichen Eigenschaften des Gesanges so zu verbinden, daß er nirgend, weder gegen die Harmonie noch gegen den äußerst genau abgemessenen Gang des Gesanges, anstosse.
Auch der Tanz hat seine Accente, ohne welche er ein bloßer Gang, oder eine unordentliche Folge von nicht zusammenhangenden Schritten oder Sprüngen seyn würde. So sind z. E. der Stoß oder frappé, die Beugung der Knie, oder das plié, der Sprung ohne Fortrükung, in dem Tanz, das, was die grammatischen Accente der Sprache sind. Das Figürliche des ganzen Schrittes, mit allem was dazu gehört, kommt mit dem oratorischen, oder nach Beschaffenheit auch mit dem pathetischen Accent überein. Man begreift aber, daß diese Accente nicht nur alle Schwierigkeiten der musicalischen Accente, sondern noch andre dem Tanz besondere zu überwinden haben.
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