Aeschylus

[18] Aeschylus.

Der älteste von den drey griechischen Trauerspieldichtern, von denen einige ganze Stücke übrig geblieben sind. Die Nachrichten von seinem Leben sind etwas zweifelhaft. In der griechischen Lebensbeschreibung, die seinen Werken insgemein vorgesetzt wird, heißt es; er sey ein Zeitverwandter des Pindars gewesen, und in der 40 Olympias gebohren. So viel ist gewiß, daß er zur Zeit des ersten persischen Krieges gelebt, und als ein tapferer Bürger bey Marathon für das Vaterland gefochten hat. Daß er ein Mann von erhabenem Muth, von einer freyen und kühnen Denkart gewesen, läßt sich aus seinen Werken nicht undeutlich schliessen. Nach seinem eigenen Vorgeben1 ist er durch einen Traum ermuntert worden, ein tragischer Dichter zu werden; denn als er bey Bewachung eines Weinberges eingeschlafen, hat ihm Bachus im Traum befohlen, Trauerspiele zu schreiben.

Von seinen Trauerspielen sind sieben ganz übrig geblieben. In allen herrscht, nach dem Geständnis aller alten und neuen Kunstrichter, eine ungewöhnliche Größe der Schreibart und der Gedanken. Phrynichus nennt ihn των τραγιχων μεγαλο-Φωνοτατον, und damit kommen die Urtheile des Horaz und Quintilians überein. Ersterer sagt von ihm:


Et docuit magnumque loqui nitique Cothurno 2


und dieser urtheilt er sey sublimis & gravis & grandiloquus saepe usque ad vitium.3 Es scheinet, er habe sich in seinen Trauerspielen zur Regel vorgeschrieben, was er dem Prometheus in den Mund legt:


Σεμνοςομος γε ηαὶ Φρονηματος πλεως

μνθος εςιν4


Sein Ausdruk ist neu, kühn, voll ungewöhnlicher Metaphern, und erfodert eine starke und volle Stimme. Er kömmt darinn unter allen Griechen der Kühnheit der morgenländischen Sprachen am nächsten. Seine Ausdrüke sind weder von dem Wiz noch von der Ueberlegung gewählt; sondern von der Empfindung eingegeben. Er sucht vielmehr das Ohr mit starken Schlägen zu erschüttern, als ihm mit sanften Tönen zu schmeicheln.

Alle seine Trauerspiele sind in dem Plan sehr einfach, vielweniger aus Wahl, als aus der Gewohnheit seiner Zeit: wenig Handlung und mäßige Verwiklungen: bisweilen hat er ausser dem Chor nur drey redende Personen. Mit diesen wenigen Anstalten reizet er die Aufmerksamkeit, und unterhält sie vom Anfang bis zum Ende. Man wird weder im Auftritt auf die Bühne, noch im Weggehen von derselben, den geringsten Zwang wahrnehmen: alles geschieht auf die natürlichste und einfacheste Weise. Da die Menge der Begebenheiten uns nicht zerstreuet, so wenden wir alle Aufmerksamkeit auf die Personen.

Die Reden derselben sind allezeit groß und kühn. Man wird selten denken, daß die Personen in ihren Umständen und nach ihren Charakteren anders hätten reden können. Jedes Wort dienet uns für oder gegen sie, nach der Absicht des Dichters, einzunehmen: darinn verfehlt er seinen Endzwek niemal, und zeiget sich als den stärksten Redner. Er läßt uns im guten und bösen, nach der Moral seiner Zeit, nur grosse Charaktere sehen: das zärtliche und sanft reizende hat er entweder gar nicht gekennt, oder zum Trauerspiel nicht für schiklich gehalten. Doch kann man vermuthen, daß er im Stande gewesen wäre, ihm einen eben so hohen Schwung zu geben, als Shakespear unter den Neuern gethan hat. Von Liebe ist keine Spuhr in seinen Werken: er wollte nur Schreken und Bewunderung erweken. Die diesen Dichter nicht kennen, mögen aus folgenden Proben sich einigen Begriff von ihm machen.

Der Charakter seines Prometheus ist groß und äußerst kühn. Dieser ist der größere Cato unter den Göttern. Man urtheile hievon aus folgenden Reden. Er war bereits an den Caucasus angeschmiedet, und Merkur mußte ihm noch mit härtern Straffen vom Jupiter drohen, in Hofnung, sein unbezwingbares Herz zu gewinnen. Dabey fallen unter andern folgende Reden vor:

Prom. Meinest du etwa, daß ich mich für diesen neuen Göttern fürchte, oder daß ich [18] mich ihnen unterwerfen werde? Davon bin ich gänzlich entfernt. Du – kehre eilig dahin zurücke, woher du gekommen bist? Denn von allem, worüber du mich ausfragen willst, wirst du nichts erfahren.

Merk. Durch solch hartnäkiges Großthun hast du dich eben in dies Elend gestürzt.

Prom. Merke dir dieses. Gegen deine Dienstbarkeit wollte ich mein Elend niemals vertauschen. Ich halte es für beßer diesem Felsen zu dienen, als ein Dienstbote deines Vaters Zevs zu seyn. – – So muß man gegen Stolze stolz seyn!

Merk. Du scheinest dich an deinem Elend zu ergetzen.

Prom. Das thue ich – Möchten sich meine Feinde eben so ergetzen – Dich zähle ich mit darunter.

Merk. Also beschuldigest du auch mich wegen deines Falles?

Prom. Kurz und gut: Ich hasse alle Götter; sie haben alle gutes von mir genoßen5 und vergeltens mir mit Bösem.

Kurz, hierauf preßt der heftige Schmerz dem Prometheus ein klägliches O wehe mir aus; darauf sagt

Merk. Ein solches Wort hört man vom Jupiter niemal.

Prom. Die kommende Zeit wird alles lehren.

Merk. Ach! du hast noch nicht gelernt klüger zu seyn?

Prom. Sonst würde ich ja mit dir Sclave nicht reden.6

Eben so groß und kühn ist im zweyten Trauerspiel, die sieben Helden von Theben betitelt, der Charakter des Eteokles, wovon folgendes zur Probe dienen kann. Als man in Theben bereits das Geraßel der feindlichen Waffen vor den Mauren der Stadt hörte, eilet ein Trup Frauen zu den Altären und Bildern der Götter, um sie um Rettung der Stadt anzuflehen. Eteokles, der keine Furcht kennt, kann auch nicht einmal an dem schwächern Geschlecht ein ängstliches Betragen ausstehen. Er treibt sie zornig von den Altären weg, und befiehlt ihnen zu Hause ihre Geschäfte zu bestellen. »Dienet das zur Rettung der Stadt, daß ihr vor den Bildern der Götter niederfällt, ein Geheul und Jammern macht, welches beherzten Männern unleidlich ist? Müßt ihr durch euer ängstliches Hin- und Herlaufen die Krieger muthlos machen? – Wird der Steuerman sein von Wellen geängstigtes Schiff retten, wenn er das Steuer verläßt, und ans Vordertheil (zu den Bildern der Götter) läuft? Könnet ihr durch Beten machen, daß unsre Türmer die feindlichen Waffen von selbst zurück treiben? – – Wenn ihr werdet Verwundete und Todte sehen, so hütet euch ihnen entgegen zu heulen. Im Kriege gehts nicht anders

Ein Kundschafter berichtet ihm, daß Tydäus im Begrif ist, auf eines der Tohre zu stürmen. Er beschreibt zaghaft sein fürchterliches Ansehen und seine schrekliche Waffen. Eteokles antwortet ganz kaltsinnig: »Für der Rüstung fürchte ich mich nicht, die Wapen der Schilder werden uns nicht verwunden, und die Federbüsche stechen uns nicht.« Als man ihm sagt, sein Bruder Polynices stehe zum Angriff des siebenden Tohrs fertig, und der Chor ihm abrahten will, sich gegen ihn zu stellen, aus Furcht, der Fluch ihres Vaters (nach welchem beyde Brüder einander umbringen sollten) würde da in Erfüllung kommen, antwortet er voll Wuth: »Weil denn eine Gottheit diese Sache ernstlich treibet, so möge das dem Phöbus so verhaßte Geschlecht des Lajus mit schnellem Winde auf den Wellen des Cocytus zur Hölle fahren,« und eilt den Fluch erfüllt zu sehen.

Dieses sind meines Erachtens Meisterzüge zu Schilderung großer Charaktere. Aristophanes sucht ihn zwar wegen einer übertriebenen Strengigkeit in den Charaktern lächerlich zu machen; aber was war groß genug, um diesem Spötter verehrungswürdig zu seyn? Die Scholiasten merken an, daß die Rede der Cassandra in dem Agamemnon von den Alten für das vorzüglichste Stük in seinen Trauerspielen gehalten worden.

Wir wollen indessen nicht in Abrede seyn, daß unser Dichter nicht bisweilen die Sachen übertrieben haben In seiner Niobe, einem verlohrnen Stüke, ließ er diese unglükliche Mutter bis an den dritten Tag mit verhülltem Gesichte und ohne ein Wort zu reden, auf dem Grabmal ihrer Kinder sitzen. In den Eumeniden drükt er die Wuth der Furien durch die ekelhaftesten und fürchterlichsten Töne [19] aus. Man sieht überhaupt durchgehends, daß er seine Zuschauer recht hat erschüttern wollen, und es läßt sich merken, daß Gedanken, Wörter, Töne und ein heftiger Vortrag übereingestimmt haben, diese Absicht zu unterstützen.

Seine Chöre bestunden aus einer großen Menge Personen, ihre Gesänge sind lang, und sowol im Inhalt, als im Ausdruk und dem Ton der Worte, feyerlich oder wild. Es ist zu vermuthen, daß er die Sänger zu einem etwas übertriebenen Vortrag angehalten habe. Zum Beyspiel dessen dienet eine Stelle in den Danaiden,7 dergleichen man sonste bey keinem Dichter findet. Man sagt, es habe ein Aufzug des Chores in seinen Eumeniden das Volk in solches Schreken gesetzt, daß einige Kinder in Ohnmacht gesunken, und Schwangere unzeitig gebohren haben. Dieses ist gar nicht unglaublich.

Aeschylus hat sich eben so sehr um die gute Vorstellung seiner Trauerspiele, als um deren Verfertigung bekümmert. Die Alten berichten, daß er den Bau und die Auszierung der Schaubühne sehr verbessert habe. In den ersten Zeiten ward sie nur von Baumreisern gemacht, hernach bauete man Hütten mit verschiedenen Abtheilungen. Aeschylus ließ prächtige Schaubühnen bauen, und die wahren Oerter der Scene durch Gemälde und Maschinen nachahmen. Vitruvius meldet,8 Agatharchus habe zuerst in Athen eine ordentliche Bühne für den Aeschylus gebaut, und eine Abhandlung davon geschrieben. Dieser wußte wol, daß das Trauerspiel niemals seine ganze Würkung thut, wenn nicht alles Aeußerliche mit dem Inhalt übereinstimmt. Horaz schreibt ihm die Erfindung der erhabenen Bühne und der Masken zu.


- - - Personæ pallæque repertor honestæ

Æschylus & modicis instravit pulpita tignis.9


Es zeuget übrigens von keiner gemeinen Bescheidenheit, daß ein Mann von dieser Größe seine Trauerspiele Ueberbleibsele von den herrlichen Mahlzeiten des Homers genennt hat.10 Eine andre Probe seiner Bescheidenheit ist es, daß er es sich für einen höhern Ruhm geschätzt, zu dem Sieg bey Marathon etwas beygetragen, als durch sein Genie andre übertroffen zu haben: wenn anders die Grabschrift, die man ihm gesetzt, wie Athenäus vorgiebt,11 von ihm selbst ist.

Von meinem nicht unrühmlichen Muthe, wirst du marathonischer Wald zeugen, und du dikbehaarter Meder, der ihn erfahren hat.

Was könnte man auf die Gräber unsrer meisten neuern Dichter setzen, wenn ihrer poetischen Arbeiten darauf nicht erwähnt werden dürfte?

1Pausan. in Attic.
2de Arte 280.
3Instit. Orat. L. X.
4vs. 952. Die Reden sind voll Hoheit und dreister Zuversichtlichkeit.
5Ihm hatten die Götter hauptsächlich den Sieg über die Titanen zu danken.
6Prometh. vs. 958-980.
7ΙΚΕΤΙΔΕΣ. vs. 867. u. s. f. Σὺ δὲ ναΐ, ναΐ Βάση τάχα etc.
8Lib. VII.
9de Arte vs. 278.
10Athenæus Lib. VIII.
11Athen. L. XIV.
Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 1. Leipzig 1771, S. 18-20.
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