Da wir hier das Falsche blos in Absicht auf die schönen Künste betrachten, so können wir, ohne uns in tiefsinnige metaphysische Betrachtungen des Wahren und Falschen einzulassen, die Begriffe desselben festsetzen. Wir nennen nur dasjenige falsch, was uns als würklich vorhanden vorgestellt wird, ob es gleich den Empfindungen oder Vorstellungen, die wir gewiß und ungezweifelt haben, widerspricht. Die Dinge, deren Würklichkeit wir fühlen, sind entweder Vorstellungen oder Empfindungen, das ist, Begriffe von der Beschaffenheit der Sache, Urtheile, die aus den Begriffen entstehen, oder angenehme oder unangenehme Eindrüke, und Zuneigung oder Abneigung, woraus unsre Entschliessungen folgen. Hieraus läßt sich jede Art des Falschen bestimmen.
Falsche Begriffe sind solche, die uns die Beschaffenheit einer Sache auf eine Art vorstellen, die den Begriffen, die wir würklich haben, widerspricht. Man sagt von dem Mahler, er habe falsch gezeichnet, wenn in der Größe, oder in den Verhältnißen, oder in der Form der gezeichneten Dingen etwas ist, das den in uns vorhandenen Begriffen widerspricht; man sagt in der Musik von einem Spieler, er habe falsch gegriffen, wenn die Töne, die er angiebt, denen, die wir haben erwarten können, widersprechen. Man schreibt dem Redner und Dichter falschen Witz zu, wenn seine Anspielungen, Vergleichungen und Bilder keine würkliche Aehnlichkeit mit den Sachen haben, die er uns dadurch bezeichnen will; man sagt, er habe falsche Begriffe, wenn er uns Sachen als vorhanden, oder als geschehen erzählt, die dem, was klar in unsrer Vorstellung liegt, widersprechen. Ein falscher Gedanken ist ein Urtheil, das als der Erfolg von solchen Begriffen angegeben wird, die in unsrer Vorstellung einen ganz andern Erfolg haben.
Wie nun das Wahre große ästhetische Kraft haben kann1, und also ein Gegenstand der schönen Künste ist, so muß das Falsche als etwas, das in den Künsten auf das sorgfältigste zu vermeiden ist, angesehen werden; denn der Widerspruch, den wir bey dem Falschen fühlen, beleidiget und macht, daß wir unsre Vorstellungskraft von dem falschen Gegenstand, und dem, was damit verbunden ist, abziehen. [365] Die Werke der Kunst stellen uns meistentheils Gegenstände, die des Künstlers Phantasie geschaffen hat, als würklich vorhanden dar; die Würkung, die sein Werk auf uns haben soll, kommt großentheils von der Täuschung her, die uns den erdichteten Gegenstand als würklich vorstellt: Bemerken wir hier und da etwas Falsches, so empfinden wir, daß der Gegenstand nicht würklich ist. Der lyrische Dichter bildet uns Empfindungen vor, die gewiße Gegenstände in ihm rege gemacht haben, und dadurch reizt er uns, daß wir uns in dieselben Empfindungen setzen; so bald wir aber etwas Falsches entdecken, es sey in dem Gegenstand oder in seinen Empfindungen, so verschwindet die Täuschung, und wir bleiben kalt.
Darum muß in den Werken der Kunst alles wahr, alles nach unsern Vorstellungen und Empfindungen möglich, und, wenn es die größte Kraft haben soll, natürlich, oder gar nothwendig seyn.
Dieses erreicht nur der Künstler, dessen Genie stark genug, und dessen Kenntnis und Erfahrung groß genug ist, seinen Vorstellungen und Empfindungen den Grad der Klarheit und der Ausdähnung zu geben, daß er alles, was zur Beschaffenheit der Dinge gehört, klar und bestimmt sieht oder empfindet.
Liegt das Falsche in dem Wesentlichen des Werks, so wird das ganze Werk schlecht und unbrauchbar; liegt es aber nur in Nebensachen, so bekömmt es dadurch Flecken und Fehler, die seinen Werth und den Eindruck, den es machen soll, vermindern. Das Falsche kömmt entweder aus einem Mangel des Genies, oder der Aufmerksamkeit her. Wer nicht vermögend ist, seinen klaren Vorstellungen eine hinlängliche Ausdähnung zu geben, um das einzele darin richtig zu sehen, oder wer zu nachläßig ist, in besondern Fällen dieses zu thun, der läuft allemal Gefahr, falsch zu fassen, oder falsch zu empfinden.
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