Gegensatz

[440] Gegensatz. (Schöne Künste)

Wir drüken mit diesem Wort aus, was man sonst mit dem französischen Wort Contrast bezeichnet, nämlich die Erhebung, oder lebhaftere Würkung eines Gegenstandes, in so fern sie aus der Vergleichung desselben, mit einem Gegenstand der ihm unähnlich ist, entsteht. Der Gegensatz ist also einigermaaßen das Gegentheil der Vergleichung. Diese bewürkt die Lebhaftigkeit der Vorstellung durch Aehnlichkeit; der Contrast bewürkt dieselbe durch Unähnlichkeit. Wenn man einen brutalen Menschen neben einem kaltsinnigen und gelassenen zugleich sieht, so wird unsre Vorstellung von der Heftigkeit des einen durch das gelassene Wesen des andern lebhafter. Es ist eine bekannte Regel, daß entgegengesetzte Dinge, neben einander gestellt, sich wechselsweise heben. Opposita juxta se posita magis elucescunt. Denn durch die Gegeneinanderhaltung bekömmt man nicht allein ein Maaß, wonach man die Größe der Gegenstände schätzet, sondern man bekömmt zugleich auch einen Begriff von den nicht vorhandenen oder negativen Eigenschaften der Dinge. In dem vorher angeführten Fall des Gegensatzes würde man nicht nur die Größe der Heftigkeit des einen Menschen, aus dem großen Abstand von dem Kaltsinn des andern, lebhafter fühlen, sondern auch das, was dem heftigen Menschen mangelt, läßt sich aus dem Betragen des sanftmüthigen erkennen.

Hieraus läßt sich überhaupt abnehmen, daß der Gegensatz eines von den ästhetischen Mitteln sey, gewisse Vorstellungen lebhafter zu machen. Alle Künste bedienen sich desselben, wiewol auf verschiedene Weise.

Es giebt dreyerley Arten des Gegensatzes. Die erste Art stellt Gegenstände von entgegengesetzter, einander widerstreitender Beschaffenheit neben einander. Dieses thun dramatische Dichter sehr ofte, da sie Personen von entgegengesetzten Charaktern zugleich auf die Bühne bringen. Von dieser Art ist der Gegensatz der Elektra und Chrysothemis in der Elektra des Sophokles; der Antigone und Ismene in dem Trauerspiel Antigone desselben Verfassers; und in dem Misantrope des Moliere der gefällige Charakter des Cleantes, und der strenge, etwas mürrische des Alcests. Eines der vollkommensten Beyspiele dieser Art des Contrasts hat uns Graun in dem Duetto der Opera Cinna gegeben. Dieser Römer wirft der Aemilia mit Heftigkeit das Unglück vor, in welches sie ihn durch ihre Hitze gestürzt hatte, diese aber bittet ihren Fehler auf das Zärtlichste ab: er singt Allegro, sie aber Largo.

Zu dieser Art des Gegensatzes rechnen wir auch zwey auf einander folgende, entgegengesetzte Zustände einer einzigen Person; wie die glänzende Glükseeligkeit [440] des Oedipus in Theben im Anfange des Trauerspiels, und sein schmählicher Zustand am Ende desselben. Der letztere muß auf jeden Zuschauer um so viel mehr würken, je lebhafter er im Anfang die Herrlichkeit dieses Königs gesehen hat. Hieher gehört auch der ausnehmende Contrast in Thomsons Tancred und Sigismunda, da Tancred den Vater seiner Geliebten, den er kurz vorher mit aller ersinnlichen Zärtlichkeit geliebet und auf das kindlichste verehret hatte, ietzo auf das heftigste mißhandelt. Durch diesen Gegensatz wird die Scene äusserst tragisch. Eben diese Würkung thut ein Gegensatz von gleicher Art in der Hekuba des Euripides. Man sieht im Anfange des Trauerspiels diese gefangene Königin auf das äusserste gegen den Agamemnon erbittert; sie verabscheuet ihn, als den Mörder ihrer Tochter: bald hernach aber, und nachdem ihre Tochter würklich geopfert worden, nimmt sie zu diesem verabscheueten Mann ihre Zuflucht, sie nennt ihn ihren Erretter, und flehet ihn um Hülfe gegen den Polymestor an, der ihren Sohn auf die schändlichste Weise umgebracht hatte.

Nicht weniger vollkommen, und von derselben Art ist der Gegensatz, den Graun in obbemeldter Oper in der Arie O numi consiglio angebracht hat. Man sieht die Aemilia anfänglich halbrasend über die Gefahr ihres Geliebten. Sie fängt nach einem heftigen Recitativ in voller Wuth an zu singen und die Götter um Hülfe anzuflehen: aber plötzlich entfällt ihr aller Muth, die Hitze legt sich, und verwandelt sich im andern Theile der Arie in eine schmachtende Angst.

Die zweyte Gattung des Gegensatzes besteht in der Nebeneinanderstellung solcher Gegenstände, die nicht entgegengesetzte, sondern in derselben Art unähnliche Eigenschaften haben. Dazu gehören die beständigen Gegensätze der Helden des Homers. Alle sind tapfer, aber ihre Tapferkeit ist von sehr verschiedener Art. Diomedes hat eine ganz andere Tapferkeit, als Ajax, Achilles ist ein Held von einer andern Art, als Hektor; und eben so hat es Milton mit seinen gefallenen Engeln gemacht. Alle sind von teuflischer Boßheit, aber einer anders als der andre; jeder hebt den andern, wenn man sie neben einander stellt. Dieses ist die Gattung des Gegensatzes, welche den Mahlern vorzüglich empfohlen wird, wenn man ihnen rathet, die Stellungen, Bewegungen und Charaktere ihrer Figuren abzuändern, und insonderheit, die so nächst an einander stehen, in ihrer Art verschieden zu machen.

Die besondere Würkung dieses Gegensatzes besteht in der Vermehrung der Mannigfaltigkeit und Vermeidung der ermüdenden Einförmigkeit. Hiernächst aber heben sich auch die entgegengesetzten Dinge wechselsweise. Eines bestimmet die Beschaffenheit des andern näher, man unterscheidet jeden einzeln Umstand besser, da man bey gleichen Wesen eine Ungleichheit in den zufälligen Stüken bemerkt. So hebt die ansehnliche Gestalt und die sanfte Farb der Lilie, die feurige Schönheit der Tulpe, und die Weintraube mit den vielfältigen Grupirungen ihrer Beeren, erhebt die einfache Gestalt des Apfels. Das schönste Beyspiel dieses Gegensatzes giebt uns die corinthische Säule, wo alle Theile zwar regelmäßig, gegen einander wol abgemessen, und schön sind; aber die beständige Abwechslung, des Ekigten mit dem Runden, des Flachen mit dem Gebogenen, des Glatten mit dem Geschnitzten, des Einfachen mit dem Verzierten, eine vollkommen angenehme Würkung thut.

Die dritte Art des Gegensatzes setzt Dinge von einer Art, die nur in Graden von einander verschieden sind, neben einander, um den höchsten Grad, der über den Ausdruk wäre, fühlbar zu machen. Dieses Kunstgriffs hat sich Homer in Absicht auf den Achilles bedienet. Er hat die Tapferkeit andrer Helden, des Ajax, Diomedes, Hektors und andrer so beschrieben, daß es schweer oder gar unmöglich war, den Achilles unmittelbar größer zu schildern. Was konnte er von ihm sagen, das stärker war, als er von jenen schon gesagt hatte? Er fiel also darauf, sie gegen einander zu setzen. Bey den größten Thaten, welche die Griechen thun, sehnen sie sich nach dem Achilles. Diesen Haupthelden bringt er uns immer, bey den größten Thaten, vor das Gesicht, als einen, der noch weit größere Dinge thun würde. Diese Gattung des Gegensatzes bringt ofte das Erhabene hervor. Man stellt uns das Größte vor, das gedacht werden kann, und setzt noch etwas daneben, das weit größer ist. So stellen uns ofte die heiligen Scribenten die fürchterliche Macht der Elemente des Sturmwindes, des brausenden, alles überwältigenden Meeres vor, und ein einziges Wort, oder einen einzigen Wink der Allmacht dagegen, dadurch jene fürchterliche Macht auf einmal zu Boden geschlagen wird. Von dieser Art ist auch das Erhabene [441] durch den Gegensatz beym Virgil, da Neptun durch ein Wort das gräuliche Brausen der Sturmwinde legt.

Der Gegensatz ist ein Mittel die Sachen zu vergrössern oder zu verkleinern, oder überhaupt ihnen Nachdruk zu geben. Er kann einen höhern Grad des Traurigen, und des Lustigen oder Lächerlichen hervorbringen, und so gar das Erhabene würken. Dieses fühlt man, wenn Horaz von der Europa sagt:


Nuper in pratis studiosa florum et

Debitæ Nymphis opifex coronæ,

Nocte sublustri nihil astra præter

Vidit et undas.1


Von dem Nachdruk und der Vergrösserung durch Gegensätze kann auch folgende Stelle desselben Dichters2 uns zum Beyspiel dienen. Er will die übertriebene Pracht und den unvernünftigen Aufwand der Römer, in Absicht auf ihre Landgüter, Gebäude und Lustgärten lebhaft vorstellen, und bewürkt den größten Nachdruk durch beständige Gegensätze.


Jam pauca aratro jugera regiae

Moles relinquent. –– –– ––

–– –– Platanusque celebs

Evincet ulmos: tum violaria et

Myrtus et omnis copia narium,

Spargent olivetis odorem

Fertilibus domino priori.


Er stellt das Pflügen der fruchtbaren Felder, der Verderbung derselben durch ungeheuere Gebäude, das Pflanzen des unnützen und unfruchtbaren Platanus, dem mit Weinreben beladenen Ulmenbaum, die bloßen dufthauchenden Gärten, den fruchtbaren Baumgärten entgegen, und giebt dadurch seinen Gedanken von der übertriebenen Ueppigkeit einen großen Nachdruk. Eben so bedienet sich Virgil eines Gegensatzes, um die Hoheit und Würde der Römer über andre Völker desto lebhafter fühlen zu machen:


Excudent alii spirantia mollius æra

Credo equidem; vivos ducent de marmore vultus:

Tu regere imperio populos Romane memento;

Hæ tibi erunt artes.3


Wie der Gegensatz das Tragische verstärke, haben wir schon oben an einigen Beyspielen gesehen: folgende verdienen noch besonders überlegt zu werden. In dem Philoktet des Sophokles merkt der Chor, aus der Nähe einer seufzenden Stimme, daß dieser unglükliche Held, den er sucht, nicht fern seyn könne, und sagt deswegen: Er kömmt; aber nicht wie die Schäfer, deren Ankunft der Ton der Flöte verkündiget – ihn meldet ein schmerzhaftes Stöhnen, als wenn er sich an einen Stein gestoßen hätte. Durch diesen Gegensatz, da dem Philoktet, der eine einsame Insel bewohnte, Schäfer entgegen gestellt werden, deren freudigen Aufzug man von weitem durch den lieblichen Ton der Flöte vernimmt, da er hingegen seine Ankunft durch Seufzen und Stöhnen verräth, wird sein Zustand weit trauriger. Eben diese Würkung zur Vermehrung des Tragischen hat Euripides in der Iphigenia in Aulis, durch eine ganz besondere Art des Gegensatzes erhalten, da er dem würklichen Elende der Iphigenia, die es noch nicht wußte, ihre vermeinte Glückseligkeit entgegen setzt. Als Clytemnestra mit ihrer Tochter in Aulis ankömmt und aus dem Wagen steigt, wird sie von der Menge glüklich gepriesen. Der Zuschauer aber ist schon von dem Elend, das auf sie wartet, unterrichtet, und fühlt es durch diesen Gegensatz desto lebhafter. Man sieht die liebenswürdige Iphigenia ankommen, um eine Stunde hernach ein Schlachtopfer des Ehrgeizes ihres Vaters zu werden. Der Chor bewillkommet sie mit folgenden Worten:

O wie herrlich ist das Glük der Großen! Sehet die fürstliche Iphigenia, meine Königin, und die Clytemnestra aus dem vornehmsten Geblüte. Aus was für hohem Stamme beyde entsprossen, und was für lange daurendem Glüke sie entgegen gehen! Bey diesem Freudengesang sieht der Zuschauer schon das Elend dieser so glüklich gepriesenen Personen, und dieses macht einen sehr hohen Grad des Tragischen. Wie wunderbar tragisch ist folgende Vorstellung;


–– –– und andre

Machten Strik' aus ihren goldfarbigten langen Loken,

Doch zu weit anderm Gebrauch, als der Liebe.4


Man kann aus diesen Beyspielen hinlänglich sehen, daß glükliche Gegensätze in leidenschaftlichen Gegenständen die höchste Rührung hervorbringen können.

Durch den Gegensatz aber kann eine Sache auch Lächerlich und Poßierlich werden; denn die Vergleichung des Großen mit dem Kleinen ist eine von den Quellen des Lächerlichen, wovon wir in seinem Artikel Beyspiele gegeben haben. [442] Man kann aber den Gebrauch des Gegensatzes auch leicht übertreiben, und dadurch ins Gezierte fallen. Die Redner und Dichter, die in dem Wahn stehen, man könne keinen Charakter, und kaum einen einzeln Gedanken vortragen, ohne ihm einen Gegensatz zu geben, fallen dadurch leicht ins Abgeschmakte. Man muß ihn mit eben der wirthschaftlichen Klugheit gebrauchen, wie andre Würzen der Rede. So wenig man Gleichnisse und mahlende Bilder häufen muß, so wenig soll dieses mit dem Gegensatz der Gedanken und Begriffe geschehen. Er ist nur da nützlich, wo viel darauf ankömmt, daß einzele Gedanken oder Begriffe vollkommen lebhaft oder deutlich werden.

Also müssen Redner und Dichter mit der Figur, die man Antithesis nennt, und die eine blos zur Schreibart gehörige Gattung des Gegensatzes ist, behutsam umgehen.

Dieser Gegensatz ist von dem beschriebenen fast so unterschieden, wie die Metapher von dem Gleichniß. Denn wie in dem Gleichniß, so wol das Bild, als das Gegenbild, jedes besonder beschrieben, in der Metapher aber beyde in einen Gegenstand vereiniget werden, so werden im Gegensatz, den wir beschrieben haben, beyde Gegenstände besonders dargestellt, in der Antithese aber werden sie in einen einzigen Gedanken verbunden, oder der Gegensatz wird gleichsam nur im Vorbeygang berührt. Ein solcher Gegensatz liegt in folgenden Worten: Volvitur ille vomens calidum de pectore flumen frigidus,5 da die Wörter calidum und frigidus einander entgegengesetzt werden. Die ganze Schreibart mit solchen kleinen Gegensätzen gleichsam zu verbrämen, wie so viele französische Schriftsteller thun, ist eine dem guten Geschmak ganz zuwiderlaufende Sache. Die Menge kleiner Gegensätze macht, daß man nicht Zeit hat, auf den Zusammenhang der Gedanken Achtung zu geben; indem die Aufmerksamkeit offenbar von der Hauptsach abgezogen, und nur auf einzele Redensarten gelenkt wird.

Mit Verstand und am rechten Ort angebracht, thut diese Figur fürtreffliche Würkung, wie z. B. in dieser Stelle des Horaz


–– qui fragilem truci

Commisit pelago ratem.


Man findet so gar, daß bisweilen eine ganze Reyhe solcher Gegensätze von großen Meistern gebraucht werden, wovon folgendes zum Beyspiel dienen kann. Conferte hanc pacem cum illo bello; hujus prætoris adventum cum illius imperatoris victoria; hujus cohortem impuram cum illius exercitu invicto; hujus libidines, cum illius continentia: ab illo, qui cepit, conditas, ab hoc, qui constitutas accepit, captas dicetis Syracusas.6 Aber selbst Cicero ist hier nicht ohne Tadel. Bey einer so ernsthaften Sache, als die wovon hier geredet wird, sollte der Redner nicht Zeit haben, so viel Antithesen an einander zu hängen. Es würde dem Tone, der hier herrschen sollte, weit angemessener gewesen seyn, wenn nicht das Einzele dem Einzeln, sondern das Ganze dem Ganzen wär entgegen gesetzt worden, wie hier: Quam (legem) non didicimus, accepimus, legimus, verum ex natura ipsa arripuimus, expressimus, hausimus.

1L. III. od. 27.
2Od. II. 15.
3Aen. L. VI.
4Noah. IX Ges.
5Aen. IX. 414.
6Cicero in Verrem Or. IV.
Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 1. Leipzig 1771, S. 440-443.
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