[558] [558] Instrumentalmusik.
Die Musik deren Gesang blos aus unartikulirten Tönen besteht, und die keine Wörter braucht, um das, was sie ausdrüket verständlich zu machen: sie wird deswegen der Vocalmusik entgegen gesetzt, welche verständliche Worte singt. Die ganze Musik gründet sich auf die Kraft, die schon in unartikulirten Tönen liegt, verschiedene Leidenschaften auszudrüken1; und wenn man nicht ohne Worte die Sprache der Empfindungen sprechen könnte, so würde gar keine Musik möglich seyn. Es scheinet also, daß die Instrumentalmusik bey dieser schönen Kunst die Hauptsache sey. Man kann in der That bey Tänzen, bey festlichen Aufzügen und kriegerischen Märschen, die Vocalmusik völlig missen; weil die Instrumente ganz allein hinreichend sind, die bey solchen Gelegenheiten nöthigen Empfindungen, zu erweken und zu nähren. Aber wo die Gegenstände der Empfindung selbst müssen geschildert, oder kennbar gemacht werden, da hat die Musik die Unterstützung der Sprache nöthig. Wir können sehr gerührt werden, wenn wir in einer uns unverständlichen Sprache, Töne der Traurigkeit, des Schmerzens, oder des Jammers, vernehmen; wenn aber der Klagende zugleich verständlich spricht, wenn er uns die Veranlasung und die nächsten Ursachen seiner Klage entdeket, und die besondern Umstände seines Leidens erkennen läßt, so werden wir weit stärker gerühret. Ohne Ton und Klang, ohne Bewegung und Rhythmus, werden wir, wenn wir die Klagen einer vor Liebe kranken Sappho lesen, von Mitleiden gerühret; aber wenn tief geholte Seufzer, wenn Töne, die der verliebte Schmerz von der leidenden erpreßt, wann eine schwermerische Bewegung in der Folge der Töne, unser Ohr würklich rühret, und die Nerven des Körpers in Bewegung setzet; so wird die Empfindung ungleich stärker
Hieraus lernen wir mit völliger Gewißheit, daß die Musik erst ihre volle Würkung thut, wenn sie mit der Dichtkunst vereiniget ist, wenn Vocal- und Instrumentalmusik verbunden sind. Man kann sich hierüber auf das Gefühl aller Menschen berufen: das rührendste Duet, von Instrumenten gespielt, oder von Menschenstimmen, deren Sprache wir nicht verstehen, gesungen, verliehrt in der That den größten Theil seiner Kraft. Aber da, wo das Gemüth blos von der Empfindung muß gerührt und unterhalten werden, ohne einen besonders bestimmten Gegenstand vor sich zu haben, ist die Instrumentalmusik hinlänglich. So hat man zu den Tänzen und festlichen Aufzügen keinen Vocalgesang nöthig, weil die Instrumente allein hinreichend sind uns in die Empfindung zu setzen.
Dadurch wird der Gebrauch der Instrumentalmusik ihrer Natur nach vornehmlich auf die Tänze, Märsche und andre festliche Aufzüge eingeschränkt. Diese sind ihre vornehmste Werke. Hiernächst kann sie auch bey dem dramatischen Schauspiel ihre Dienste thun, indem sie den Zuschauer zum voraus durch ⇒ Ouvertüren oder ⇒ Symphonien zu dem Hauptaffekt, der in dem Schauspiel herrscht vorbereitet. Zum bloßen Zeitvertreib aber, oder auch als nützliche Uebungen, wodurch Setzer und Spiehler sich zu wichtigern Dingen geschikter machen, dienet sie, wenn sie ⇒ Concerte, ⇒ Trio, ⇒ Solo, ⇒ Sonaten und dergleichen hören läßt.
Einige dieser Stüke haben ihre festgesetzten Charaktere, wie die Ballette, Tänze und Märsche, und der Tonsetzer hat an diesen Charakteren eine Richtschnur, nach welcher er bey Verfertigung derselben zu arbeiten hat; je genauer er sich an den Charakter jeder Art hält, je besser wird sich sein Werk ausnehmen. Einigermaaßen hat man auch bey Ouvertüren und Symphonien, die zum Eingang eines Schauspiels dienen, noch etwas vor sich, worauf die Erfindung sich gründen kann, weil sie den Hauptcharakter des Schauspiels, für welches sie gemacht sind, ausdrüken müssen. Aber die Erfindung für Concerte, Trio, Solo, Sonaten und dergleichen Dinge, die gar keinen bestimmten Endzwek haben, ist fast gänzlich dem Zufall überlassen. Man begreift noch, wie ein Mann von Genie auf Erfindungen kommt, wenn er etwas vor sich hat, daran er sich halten kann; wo er aber selbst nicht sagen kann, was er machen will, oder was das Werk, das er sich zu machen vorsetzt, eigentlich seyn soll, da arbeitet er blos auf gutes Glük. Daher kommt es, daß die meisten Stüke dieser Art nicht anders sind, als ein wolklingendes Geräusch, das stürmend oder sanft in das Gehör fällt. Dieses zu vermeiden, thut der Tonsetzer wol, wenn er sich allemal den Charakter einer Person, oder eine Situation, eine Leidenschaft, bestimmt vorstellt, und seine Phantasie so lang anspannt, bis er eine in diesen Umständen sich befindende Person, glaubt reden zu hören. Er kann sich [559] dadurch helfen, daß er pathetische, feurige, oder sanfte, zärtliche Stellen, aus Dichtern aussucht und in einem sich dazu schikenden Ton declamirt, und alsdenn in dieser Empfindung sein Tonstük entwirft. Er muß dabey nie vergessen, daß das Tonstük, in dem nicht irgend eine Leidenschaft, oder Empfindung sich in einer verständlichen Sprach äußert, nichts, als ein bloßes Geräusch sey.
Man hat aber bey dem Instrumentalsatz außer der Sorge den Stücken einen bestimmten Charakter und richtigen Ausdruk zu geben, noch verschiedene besondere Dinge wol zu überlegen. Es ist nothwendig, daß der Tonsetzer, die Instrumente, für welche er setzt, selbst wol kenne und genau wisse, was auf denselben zu leisten möglich sey; denn sonst kann es ihm begegnen, daß er Dinge setzt, die dem Umfang des Instruments, oder der Art, wie es muß gespielt werden, entgegen sind. Man muß immer bedenken, nicht nur, ob das, was man für ein Instrument setzt, auch auf demselben möglich, sondern ob es leicht zu spielen sey, und mit der Natur des Instruments übereinkomme. Eine besondere Vorsicht ist nöthig, wo zwey Stimmen von einerley Instrumenten sollen gespielt werden, als von der ersten und zweyten Violin. Denn, weil es da ofte geschieht, daß die Stimmen in Anhören verwechselt werden, daß man das, was die zweyte Violin spielt, der ersten zuschreibt, und umgekehrt; so kann es sich leichte treffen, daß man verbothene Quinten und Octaven höret, wo der Setzer keine gemacht hat. Wenn z. B. zwey ziemlich gleichklingende Violine folgendes spielten,
so könnte es klingen, als wenn es so geschrieben wäre:
welches sehr wiedrig seyn würde.
Eben so sorgfältig hat man auch darauf zu sehen, daß man nicht Instrumente, die in Ansehung der Höhe gar zu sehr auseinander sind, ohne die nöthigen Mittelstimmen, gerade unter einander bringe, wie wenn man Violinen von einem Violoncell, ohne Bratsche wollte begleiten lassen. Denn dadurch würden die Stimmen weiter aus einander kommen, als die Natur der guten Harmonie es verträgt2. Endlich hat man auch hier, wie in allen andern Sachen des Geschmaks auf die angenehme Mannigfaltigkeit der Instrumente zu sehen; die Töne müssen sich gut gegen einander ausnehmen, aber einander doch nicht entgegen seyn.
Unter allen Instrumenten, worauf leidenschaftliche Töne können gebildet werden, ist die Kehle des Menschen ohne allen Zweifel das vornehmste. Darum kann man es als eine Grundmaxime ansehen, daß die Instrumente die vorzüglichsten sind, die am meisten fähig sind, den Gesang der Menschen Stimme, nach allen Modificationen der Töne nachzuahmen. Aus diesem Grund ist die Hoboe eines der vorzüglichsten.
Buchempfehlung
Inspiriert von den Kupferstichen von Jacques Callot schreibt E. T. A. Hoffmann die Geschichte des wenig talentierten Schauspielers Giglio der die seltsame Prinzessin Brambilla zu lieben glaubt.
110 Seiten, 4.40 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.
444 Seiten, 19.80 Euro