Lebendiger Ausdruk

[680] Lebendiger Ausdruk. (Redende Künste)

Der Klang der Rede, in so fern er ohne den Sinn der Worte etwas Leidenschaftliches empfinden läßt, wie die meisten Ausrufungswörter; (Interjektionen) daher man diesen Ausdruk eigentlicher den leidenschaftlichen Ausdruk nennen würde. Einige Kunstrichter rechnen auch den mahlerischen Klang hieher, der die natürliche Beschaffenheit körperlicher Gegenstände ausdrükt, wie der bekannte Vers des Virgils:


Quadrupedante putrem sonitu quatit ungula campum.


Durch dessen Klang der Dichter das Galoppiren eines Pferdes habe schildern wollen.

Man könnte dieses den schildernden Ausdruk nennen; weil der bloße Ton der Wörter den Gegenstand den sie bedeuten, zu erkennen giebt. Wahrscheinlicher Weise sind die ersten Grundwörter aller Sprachen der Welt ursprünglich schildernde Töne gewesen, wie im Deutschen die Wörter Tonner, Wind, Säuseln, Rieseln, Fließen u.s.f. denn woher sollten sonst die Erfinder der Namen die Wörter hergenommen haben, als aus Nachahmung des Tones, den die Sachen hören lassen?1 Ehe die Menschen [680] eine Sprache hatten, deren Wörter durch den Gebrauch bedeutend wurden, mußten sie sich nothwendig solcher schildernden Töne bedienen, die izt vollkommen überflüßig sind. Indem der Grieche das Wort ἀνεμος höret, denkt er eben so geschwind und eben so bestimmt an die Sache, die es ausdrükt, als der Engländer, dem durch das Wort Wind, die Sache selbst geschildert wird.

In ausgebildeten Sprachen haben dergleichen schildernde Wörter, wenn man blos bestimmt sprechen will, keinen, oder doch einen sehr geringen ästhetischen Werth; weil man ohne sie sich sehr bestimmt und verständlich ausdrüken kann. Ganz anders aber verhält es sich, wenn man auf die Empfindung würken will; denn da muß auch der bloße Ton der Worte das Seinige zu Erreichung des Endzweks beytragen. Wer andre durch Erzählung einer Schandthat in Zorn und Entrüstung setzen will, muß nicht einen sanften Ton annehmen, auch nicht sanftklingende Wörter brauchen; denn dieses würde dem Zuhörer anzeigen, daß der Erzähler selbst nichts dabey fühlet. Wie also der Ton der Rede überhaupt das Gepräge der Empfindung, die man erweken will, haben muß, so müssen auch die Wörter und der Gang der Rede, oder das rhythmische darin, demselben angemessen seyn. Dieses verstehen wir hier durch den lebendigen Ausdruk. Hingegen halten wir das meiste, was so vielfältig von dem schildernden Ausdruk gerühmt wird, für Kleinigkeiten, die der Aufmerksamkeit des Redners oder Dichters entweder nicht werth sind, oder gar, wenn sie würklich gesucht worden, zu tadeln wären.

Daher kommt es mir seltsam vor, daß ein so scharfsinniger Mann, als Clarke, den Homer so ofte des schildernden Verses halber lobt, wo ich ihn tadeln würde, wenn ich mich bereden könnte, daß er diese Schilderung gesucht hätte. So findet er diesen Vers


᾽Οιδ᾽ ἐπι δεξια, ὀιδ᾽ ἐπ᾽ ἀριςερα νωμῆσαι βῶν,

᾽Αζαλεην.2


fürtreflich; weil er seiner Meinung nach durch den Fall der Worte die schnellen Wendungen der Bewegungen im Zweykampf schildern soll.3 Der Dichter beschreibet an diesem Orte den Zweykampf zwischen Hektor und Ajax. Diese Helden sind im Begriff den Streit anzufangen. Ajax fodert seinen Feind auf, alle seine Kräfte gegen ihn anzuwenden. Dieser voll ruhigen Muthes antwortet ihm in einen gelassenen, aber sehr zuversichtlichen Tone. »Denke nicht Ajax, daß du einen unerfahrnen Jüngling, oder einen weichlichen Knaben vor dir habest: ich bin mit dem Streit und mit tödlichen Streichen wol bekannt, weiß auch den Schild zur Vertheidigung fertig, rechts oder links vorzuhalten.« Wer bey Lesung dieser Stelle seine Empfindung erforschet, wird die Gemüthsfassung worin Hektor dieses sagt, so voll Würde und so voll Ernst finden, daß ihm schwerlich dabey einfallen wird, der Held habe durch den Ton der Worte die schnellen Bewegungen des Schildes bald rechts, bald links, schildern wollen. Warum soll denn der Dichter dieses im Sinne gehabt haben? Kurz vorher beschreibet er, wie Ajax sich bewaffnet, wie er hierauf gleich dem mächtigen Kriegesgott hervortritt, und höhnisch fürchterliche Blike wirft. Denn thut er hinzu:


᾽Ηϊε, μακρα βιβας, κραδαων δολιχοσκιον ἐγχος.


Er trat einher mit mächtigem Schritt, seinen gewaltigen Speer leicht schwenkend. Daß in diesem Vers etwas hochtrabendes und majestätisches ist, [681] kommt genau mit der Empfindung überein, die der Dichter hier gehabt, und die jeder Leser haben wird.

Eine einzige Anmerkung bestimmt alles, was sich über den lebendigen Ausdruk sagen läßt. Der Ton und Fall des Verses ist nicht für den Verstand, sondern für das Herz. Dieses beschäftiget sich blos mit seinen Empfindungen; es hat kein Aug zum sehen, erkennet nicht, sondern fühlt nur. In der Empfindung geben wir blos auf unsern innern Zustand Achtung, nicht auf die Beschaffenheit des Gegenstandes; was also im lebendigen Ausdruke nicht Gefühl ist, gehört nicht zur Sprache des Herzens, und kann poßirlich oder gar abgeschmakt werden. Sehen wir nicht in einigen niedrig comischen Operetten, daß gerade dergleichen Schilderungen am besten das poßirliche ausdrüken; wie wenn ein Mensch im Schreken das Pochen des Herzens durch Vers und Gesang nachahmet?

Die ungeschikteste Anwendung des schildernden Ausdruks wird da gemacht, wo man den Gegenstand der uns in Empfindung sezet, gerade gegen die Empfindung schildert; wie es bisweilen sehr unüberlegt in der Musik geschieht. Ein Mensch, der vom Ueberdruß des Lebens durchdrungen, sich nach der ewigen Ruhe sehnet, muß von seinem nahen Tode nicht in dem ängstlichen Ton des Menschen sprechen, der diesen Schritt mit Schreken thut. Es wäre völlig ungereimt, wenn ein Dichter ihm eine Red in den Mund legte, die durch den Ton und den Fall der Worte das Schrekhafte des Sterbens, und das Fürchterliche der Ewigkeit schilderte.

Also muß kein Gegenstand nach seiner Beschaffenheit; sondern nach dem Eindruk den er auf das Herze macht, durch den Ton geschildert werden. Wer einen Sturm beschreibet, um andern etwas von der Angst fühlen zu lassen, die er dabey ausgestanden hat, erreicht allerdings seinen Endzwek besser, wenn auch der Ton der Worte das Heulen und Brausen des Windes nachahmet; würde er aber in einem lehrenden Vortrag die Gewalt des Windes beschreiben, da er als ein Naturforscher davon spricht, so würd' es sehr frostig herauskommen, wenn er die Grade der Stärke des Windes durch seinen Vortrag zu empfinden geben wollte; ganz lächerlich aber würd' es seyn, wenn man, da des Sturms nur beyläufig Erwähnung geschiehet, ihn so schildern wollte. Wer noch voll Schreken die Gefahr übergeritten zu werden, erzählte; würde der nicht lächerlich werden, wenn er das Galoppiren des Pferdes durch seine Rede schilderte? Da überhaupt der lebendige Ausdruk den Charakter der Musik an sich hat, so muß sich der Geschmak desselben auch nach den Grundsäzen des Ausdruks der Musik richten.4

Den lebendigen Ausdruk därf man nicht mühesam suchen; er biethet sich insgemein von selbst an. Der Dichter därf nur sich seiner Empfindung überlassen, sie wird ihn auf Töne, Wörter, Sylbenmaaß und Rhythmus leiten, die sich am besten dazu schiken; sein Ausdruk wird lebendig werden, ohne daß er es gesucht hat. Ist er durch die Empfindung selbst darauf geleitet worden, so wird sein Ausdruk um so viel kräftiger seyn. Mich dünkt, daß unter den Dichtern, die mir bekannt sind, Euripides darin am glüklichsten gewesen sey; eine einzige Stelle soll zur Probe dienen, wie nachdrüklich er die Leidenschaft durch den Ton der Worte zu schildern gewußt hat. In seinem Orestes steht Elektra vor der Thüre des Saales, in welchem ihr Bruder mit dem Pylades die Helena ermorden wollen. Als sie da das Schreyen der Helena höret, ruft sie ihren Freunden durch die Thüre zu.


Φονευετε, καμνετε, θεινετε, ὀλλυτε.

Διπτυχα, διςομα, φασγανα πεμπετε,

Εκχειρος ἰεμενοι ταν

Λειποπκτορα, λειπογαμον – –5


Mich dünkt, daß der Ton dieser Verse den heftigen Affekt der Elektra sehr lebhaft mahle. Der erste drükt die hizige Eil, in der der Mord begangen werden soll, durch die schnellen Daktylen aus; tödtet sie, stechet sie, mordet, zernichtet sie. Die Heftigkeit der mördrischen Streiche scheinet durch die folgenden zwey Verse, fühlbar, und der vierte ist völlig in dem Tone des Scheltens.

Es muß uns nothwendig rühren, wenn Horaz, da er von dem Sterben eines glüklichen und durch manches angenehme Band an das Leben angehefteten Mannes in dem beweglichen Ton spricht, den der folgende Vers so gut ausdrükt:


Linquenda tellus et domus et placens,

Uxor.


Und wir empfinden die Hoheit der Juno in ihren Worten:


–– quæ Divum incedo Regina.


Eben so fühlt man ein Schaudern durch alle Glieder wenn man bey Virgils Beschreibung der feyerlichen[682] Anstalten, welche die Dido zu ihrem Tode macht, auf folgende Verse kommt:


Stant aræ circum, et crines effusa sacerdos,

Tercentum tonat ore Deos, Erebumque chaosque

Tergeminamque Hecaten ––6


Aber gewiß hat der Dichter den feyerlichen Klang dieser Verse nicht gesucht; er ist ihm von seiner eigenen Empfindung eingegeben worden.

Dergleichen leidenschaftliche Schilderungen machen einen ganz andern Eindruk, als wenn ohne Leidenschaft natürliche Dinge geschildert werden. Uebrigens verdienet über diesen Artikel die schöne Abhandlung des Hr. Schlegels von der Harmonie des Verses nachgelesen zu werden.7

1Hieraus würde folgen, daß alle Sprachen der Welt gar viel gemeinschaftliche Grundwörter haben müssen. Davon bin ich auch überzeuget. Nur muß man bedenken, daß nicht jedes Ohr die natürlichen Töne gleich bestimmt höret, und nicht jeder Mund sie gleich bestimmt nachahmet; einer glaubte das Brüllen des Stieres gut durch das Wort Ochs, der andre durch das Wort βος nachzuahmen; beyde Wörter sind im Grund einerley. So sehen wir täglich, daß ein Deutscher, ein Franzos, und ein Engländer, ein und eben dasselbe ihm unbekannte, z. E. Polnische oder Rußische Wort, jeder nach seiner Art, nachspricht Hätten alle Menschen dasselbe Gehör und dieselben Werkzeuge der Sprache, so würden die Stammwörter aller Sprachen der Welt genau mit einander übereinkommen. In den abgeleiteten Bedeutungen, zeiget sich ein noch grösserer Unterschied. Ein Mensch wurd bey dem Stier durch die Größe gerühret, und machte daher von dem Worte βος eine Ableitung um etwas Großes auszudrüken; einen anderen rührte bey demselben Thier die plumpe Dummheit, und dieses bewog ihn einen grobdummen Menschen einen Ochsen zu nennen. Diese beyden Anmerkungen sind schon hinlänglich den großen Unterschied zwischen den Sprachen der Völker, die ursprünglich aus Nachahmung eben derselben Töne entstanden sind, zu erklären. Hätten alle Menschen gleiche Sinnesart, so würden auch die abgeleiteten Bedeutungen der Wörter in allen Sprachen einerley seyn.
2Il. VII 238.
3Motus concitos, reciprocos et celeriter agigatos optime depingunt hujus versus numeri. Clarcke.
4S. Musik; Mahlerey in der Musik.
5Euripid. Orest. vs. 1305.
6Aeneid. L. IV.
7Im zweyten Th. seiner Uebersezung des Batteux.
Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 2. Leipzig 1774, S. 680-683.
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