Pracht

[922] [922] Pracht. (Schöne Künste)

Man lobt gewisse Werke der schönen Künste, wegen der sich darin zeigenden Pracht. Deswegen scheinet das Prächtige eine ästhetische Eigenschaft gewisser Werke zu seyn, und wir wollen versuchen, den Begriff und den Werth desselben hier zu bestimmen. Ursprünglich bedeutet das Wort ein starkes Geräusch; deswegen man in dem eigentlichsten Sinn dem Donner einer sehr stark besezten und feyerlichen Musik, Pracht zuschreiben würde. Hernach hat man es auch auf sichtbare und andere Gegenstände, die sich mit Größe und Reichthum ankündigen, angewendet; daher man einen Garten, ein Gebäude, Aussichten auf Landschaften, Verziehrungen, prächtig nennt, wenn das Mannigfaltige darin groß, reich, und die Vorstellungskraft stark rührend ist. Es scheinet also, daß man izt überhaupt durch Pracht mannigfaltigen Reichthum mit Größe verstehe, in so fern sie in einem einzigen Gegenstand vereiniget sind; eine Mannigfaltigkeit solcher Dinge, die die Sinnen, oder die Einbildungskraft durch ihre Größe stark einnehmen.

Wahre Größe mit mannigfaltigem Reichthum verbunden, findet man nirgend mehr, als in der leblosen Natur, in den erstaunlichen Aussichten der Länder, wo hohe und große Gebürge sind. Daher nennt auch jedermann diese Aussichten vorzüglich prächtig. So nennt man auch den Himmel, wenn die untergehende Sonne verschiedene große Parthien von Wolken mit hellen und mannigfaltigen Farben bemahlt. Gegenstände des Gesichts sind überhaupt durch die Menge großer Formen, und großer Massen, darin aber Mannigfaltigkeit herrscht, prächtig. Gemählde sind es, wenn sie aus großen, mit kleinern untermengten Gruppen, und eben solchen Massen von Hellem und Dunkelen bestehen, die dabey dem Aug einen Reichthum von Farben darbiethen. Ein Gebäude fällt von außen mit Pracht in das Aug, wenn nicht nur das Ganze in Höhe und Weite die gewöhnlichen Maaße überschreitet; sondern zugleich eine Menge großer Haupttheile ins Auge fällt. Denn es scheinet, daß zu einer solchen Pracht etwas mehr, als die stille, einfache Größe solcher Massen, wie die ägyptischen Pyramiden sind, erfodert werde.

In der Musik scheinet die Pracht, sowol bey geschwinder, als bey langsamer Bewegung statt zu haben; aber ein gerader Takt von 4/4 oder 1/2 scheinet dazu am schiklichsten, und kleinere Schritte des Taktes scheinen der Pracht entgegen. Dabey müssen die Stimmen sehr stark besezt seyn, und besonders die Bäße sich gut ausnehmen. Die Glieder der Melodie, die Ein- und Abschnitte müssen eine gewisse Größe haben, und die Harmonie muß nicht zu schnell abwechselnd seyn.

In den Künsten der Rede scheinet eine Pracht statt zu haben, die nicht blos aus der Größe und dem Reichthum des Inhalts entsteht, sondern auch von der Schreibart, oder der Art, die Sachen vorzutragen, herkommt. Prächtige Gegenstände können gemein und armseelig beschrieben werden. Die Pracht hat immer etwas feyerlich veranstaltetes, und es scheinet, daß ohne einen wol periodirten und volltönenden Vortrag, einen hohen Ton, vergrößernde Worte, keine Rede prächtig seyn könne. Vornehmlich aber trägt die Feyerlichkeit des Tones, und der Gebrauch solcher Verbindungs- und Beziehungswörter, wodurch die Aufmerksamkeit immer aufs neue gereizt wird, das meiste zur Pracht bey. Also, sagt er – Izt erhebt er sich – Nun beginnt das Getümmel – u. d. gl.

Außerdem bekommt die Rede Pracht, wenn die Hauptgegenstände, von denen die Größe herrühret, erst jeder besonders mit einigem Gepränge vors Gesicht gebracht worden, ehe man uns die vereinigte Würkung davon sehen läßt. So ist Homers Erzählung von dem Streit des Diomedes gegen die Söhne des Dares im Anfange des V Buchs der Ilias. Ein gemeiner Erzähler würde ohngefehr so angefangen haben. »Darauf trat Diomedes voll Muth und mit glänzenden Waffen gegen die Söhne des Dares heraus; sie auf Wagen, er zu Fuße« u.s.f. Aber der Dichter, um die Erzählung prächtig zu machen, und uns Zeit zu lassen, die Helden, ehe der Streit angeht, recht ins Gesicht zu fassen, und uns in große Erwartung zu sezen, beschreibet erst umständlich und mit merklicher Veranstaltung den Diomedes. »Aber dem Diomedes, des Tydeus Sohn gab izt Pallas Athene Kühnheit und Muth, u.s.w.« Nachdem wir diesen Helden wol ins Auge gefaßt haben und seinethalber in große Erwartung gesezt worden, läßt er nun seine Gegner ebenfalls feyerlich auftreten. »Aber unter den Trojanern war ein gewisser Dares – Dieser hatte zwey Söhne u.s.w.« [923] Von dieser Pracht in dem Vortrag ist die, welche in der Materie selbst liegt, verschieden. Der Inhalt der Rede bekommt seine Pracht von der Größe und dem Reichthum der Dinge, die man uns vorstellt, und darin übertreffen die redenden Künste die übrigen alle. Welcher Mahler würde sich unterstehen, in einem Gemählde auch nur von weitem die unendliche Pracht der großen und reichen Scenen in der Meßiade nachzuahmen? Denn alles Große, das der Verstand und die Einbildungskraft nur fassen mögen, kann durch die Rede in ein Gemählde vereiniget werden.

Die unmittelbareste Würkung der Pracht ist Ehrfurcht, Bewundrung und Erstaunen. Die schönen Künste bedienen sich ihrer mit großem Vortheil, um die Gemüther der Menschen mit diesen Empfindungen zu erfüllen. Bey wichtigen, politischen und gottesdienstlichen Feyerlichkeiten, ist die Pracht nothwendig; weil es wichtig ist, daß das Volk nie ohne Ehrfurcht und Vergnügen an die Gegenstände gedenke, wodurch jene Feyerlichkeiten veranlasset werden. Da aber der Eindruk, den die Pracht bewürket, wenig überlegendes hat; so ist es freylich mit der bloßen Pracht nicht allemal gethan. Pracht in den Worten, ohne wahre Größe des Inhalts, ist was Horaz fumum ex fulgore nennt. Wenn man bey feyerlichen Anlässen gewisse bestimmte und zu besondern Endzwek abziehlende Vorstellungen zu erweken sucht; so muß man mit der Pracht dasjenige zu verbinden wissen, was diese besondere Vorstellungen mit gehöriger Klarheit zu erweken vermögend ist. Man ließt in der Geschichte der mosaischen Gesezgebung, daß durch Donner und Bliz das Volk zu Anhörung des Gesezes vorbereitet worden. So muß die Pracht die Gemüther zu den wichtigen Vorstellungen, die man bey gewissen Gelegenheiten erweken will, vorbereiten.

Pracht ohne wahre Größe, ist bloßes Gepräng, das so gar ins Lächerliche fallen kann. Auch die Pracht, die man bey mittelmäßiger Größe durch überhäuften Reichthum gleichsam erzwingen will, thut nur schlechte Würkung. In Venedig sieht man eine Kirche, die den Namen Sta. Maria Zobenigo hat, wo an der Außenseite alles entweder Säule, oder Bilderblinde mit Statuen, oder Felder mit Schnizwerk ist. Dies ist ein erzwungener Reichthum, der blos ermüdet, und nie die Würkung der wahren Pracht haben kann.

Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 2. Leipzig 1774, S. 922-924.
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