Schatten. (Mahlerey)
Wenn ein Körper von einem unmittelbar auf ihn fallenden Licht, es sey das Sonnen- oder das Tages- oder irgend ein anderes Licht, hinlänglich erleuchtet wird, daß man seine Farbe erkennen kann, so sind immer Stellen an demselben, die das Licht nicht in dem vollen Maaße genießen, entweder, weil ihre Fläche nicht gerade gegen das Licht gekehrt ist, oder weil eine andre Ursach einen Theil desselben auffängt.1 Wenn nun gleich ein solcher Körper durchaus gleich gefärbt wäre, so muß er wegen des hellern und schwächeren Lichtes an den verschiedenen Stellen, andere Farben zeigen, und an den Stellen, worauf gar nichts von merklichem Lichte fällt, finster, oder schwarz seyn. So lange nun das Licht in seiner Verminderung noch stark genug ist, uns die Farbe des Körpers in ihrer Art, obgleich immer etwas dunkeler zu zeigen, so kann man nicht eigentlich sagen, daß die Stellen, die diese geschwächte [1013] Farbe zeigen, im Schatten liegen; aber die Farben derselben sind schattirt2; eben so wenig nennt man die völlig finstern Stellen, wo gar nichts von Farbe (Schwarz ausgenommen) zu erkennen ist, Schatten. Hiedurch wird der eigentliche Begriff vom Schatten bestimmt. Wir verstehen nämlich die Stellen eines erleuchteten Körpers darunter, wo das Licht so schwach ist, daß die Art der auf denselben liegenden Farben, nicht mehr bestimmt ist, sondern in eine andere Farbe übergeht, wo z. E. das Schwefelgelbe, wegen Mangel des Lichtes nicht mehr schwefelgelb ist, wo das Meergrün aufhört meergrün zu seyn; wo das Weiße aufhört weiß zu seyn.
Von Licht und Schatten hangen nicht blos die Farben ab, mit denen ein Körper ins Gesicht fällt, sondern auch ein Theil seiner Bildung, in so fern wir diese bemerken. Also hänget in einem gemahlten Gegenstand, Schönheit, Lieblichkeit und Harmonie der Farben, wie auch zum Theil Schönheit und Feinheit der Gestalt, von der Behandlung der Schatten ab, und sie macht einen höchst wichtigen Theil der Kunst des Mahlers aus: vielleicht ist die Behandlung der Schatten der schweereste Theil der ganzen Farbengebung.
Man kann füglich alles, was der Mahler bey Behandlung der Schatten zu beobachten hat, auf zwey Hauptpunkte bringen: 1. Auf die beste Wahl der Stärke und Schwäche derselben und 2. auf ihre Art und Farbe.
Wie wichtig der erste Punkt sey, ist gar leicht einzusehen. Man kann flaches Schnizwerk, Schaumünzen, auch ganz runde Figuren von Gips oder Erz, so sezen, oder halten, daß die Schatten ganz schwach und an vielen Stellen kaum merklich sind: Alsdenn verliehren die schönsten Werke dieser Art einen großen Theil ihrer Schönheit. Sezet man sie so, daß alle Schatten sehr stark, und fast völlig schwarz sind; so heben sich zwar die hervorstehenden Theile, die im Licht sind ungemein, aber das Ganze verliehret ebenfalls sehr viel von seiner Schönheit. In beyden Fällen bleiben sehr viel feinere Erhöhungen und Vertiefungen unbemerkt; im erstern an den hellen Stellen wegen Mangel des Schattens, im andern an den dunkelen Stellen, wegen Mangel des Lichts.
Der Mahler der solche Fälle mit Beurtheilung beobachtet hat, wird daraus den Schluß ziehen, daß die zu mahlenden Gegenstände allemal in einen gewissen Grad der Stärke der Schatten, ihre größte Vollkommenheit erhalten, und dieses wird ihn überzeugen, wie wichtig ein unabläßiges genaues Beobachten der Natur in diesem Punkt sey. So wie die Physik sich gänzlich auf Beobachten und Experimente gründet, so giebt es auch eine Experimentalmahlerey, die dem Mahler so wichtig ist, als die Experimentalphysik dem Naturlehrer. Und es ist zu bedauren, daß diese Experimentalmahlerey, wozu L. da Vinci vor mehr als 200 Jahren bereits einen so vortreflichen Grund gelegt hat, nach ihm nicht mit dem gehörigen Eyfer ist fortgesezt worden. Wie der Philosoph, um den Menschen im Grunde kennen zu lernen, auf alles, was er im Umgange mit andern hört und sieht, genau Acht hat, so muß es auch der Mahler machen. Ich würde ihm rathen, einige Gips und Wachsbilder, nebst verschiedenem Schnizwerk an einem dazu besonders bestimmten Orte, wo das einfallende Licht gar mancherley Veränderungen unterworfen ist, täglich vor Augen zu haben, und die verschiedenen Würkungen der Schatten genau daran zu beobachten, damit ihm die kleinesten Vortheile des Schattens bekannt würden. Ich weiß wol, daß gute Mahler dergleichen Beobachtungen täglich machen; aber es ist zu wünschen, daß sich auch solche fänden, die sich die Mühe nicht verdrießen ließen, ihre Beobachtungen, wie da Vinci, aufzuschreiben, und bekannt zu machen, damit weniger scharfsinnige, oder weniger fleißige, zu dieser so nüzlichen Art zu studiren, aufgemuntert würden.
Die Wahl der stärkern oder schwächern Schatten ist aber nicht blos in Rüksicht auf die Schönheit der Formen, und des Herausbringens der kleinern Schönheiten derselben, sondern auch in Rüksicht auf das Colorit wichtig. Einigen Farben geben sehr sanfte und schwache, andern stärkere Schatten die größte Annehmlichkeit. Darum muß der vollkommenste Colorist jeden Einfluß der Schatten auf jede Farbe genau beobachten. Wir können aber auch hierüber nichts mehr thun, als ihm die fleißige Beobachtung solcher durch Schatten bewürkter Veränderungen der Farben empfehlen. Dadurch kommt er in Stand zu bestimmen, welche Gegenstände, in Absicht auf die Schönheit des Colorits mit schwachen, und welche mit stärkern Schatten wollen behandelt seyn. [1014] Wir merken über den Punkt der Stärke der Schatten nur noch überhaupt an, daß durch fleißiges und nachdenkendes Beobachten, der Mahler zu einer beynahe vollkommenen Kenntnis der hieher gehörigen Dinge kommen könne.
Weit größere Schwierigkeiten hat der zweyte Punkt, nämlich die Art und Farbe der Schatten. Es ist eine zuverläßige Bemerkung, daß die Gemählde die beste Harmonie, und wenn das übrige gleich ist, das angenehmste Colorit haben, deren Schatten durchaus einerley Art der Farbe und des Tones haben, das ist, ins gelblichte, grünlichte, oder bräunlichte u.s.f. fallen, wenn nur bey diesem durchgehends herrschenden Ton die Schatten nicht durchaus einfärbig sind. Sie müssen nothwendig, wenn sie nicht kalt, schweer oder troken seyn sollen, eben so gut ihre Mittelfarben haben, wie die hellen Stellen. Wie ein großer Flek von Roth auf einem Gesichte, das nicht hinlänglich durch Mittelfarben schattirt ist, unangenehm und hart wird; so ist es auch ein durchaus ohne Mittelfarben brauner, oder gelblichter Schatten. Das Warme und Leichte der Schatten kann nicht anders, als durch Mittelfarben und zum Theil durch hineinspielende Wiederscheine erhalten werden. Dieses möchte wol der schweerste Theil des Colorits seyn. Denn da würde der Mahler, nachdem er den reichesten Vorrath von Beobachtungen aus der Natur gesammelt hat, noch wenig gewonnen haben. Er muß in der Ausübung wol erfahren seyn. Es läßt sich wol bemerken, wie in der Natur angenehme und warme Schatten entstehen; aber die Farben zu finden, wodurch sie auch im Gemählde so werden, erfodert erstaunliche Uebung, oder ein besonders glükliches Gefühl. Vieles kann ein aufmerksamer Beobachter aus den Werken der vornehmsten Coloristen lernen. Wer viel wol erhaltene Gemählde eines Van Dyk und andrer großen Niederländer studiren kann, wird manchen Vortheil über diesen Punkt entdeken. Aber denn bleibet doch immer noch die Schwierigkeit übrig, daß man gar oft die ursprünglichen Farben, die sie gebraucht haben, schweerlich errathen kann. Denn die Zeit selbst trägt sehr viel dazu bey, durch gewisse Veränderungen, die die Farben dadurch erlitten haben, die Schatten weicher, oder härter zu machen.
Hr. Cochin hat aus fleißiger Beobachtung vieler Werke einiger Welschen Mahler Anmerkungen gezogen, die hier wesentlich sind. An den Gemählden des Luc. Giordano sind die Schatten bräunlich, und haben eine Hauptfarbe, die mit dem braunen der Umbra übereinkommt, Pet. da Cortona hat dazu durchgehends ein gräuliches Braun genommen; Baccino hat gelblichte Schatten; Paul von Verona hat sie ins Violette gemacht; Guercin bläulicht; der französische Mahler La Fosse braunroth.3 Derselbe Ton der Schatten muß der guten Harmonie halber bey allen Farben gebraucht werden, sie mögen in den Lichtern roth, blau, grün oder andrer Art seyn. Hiebey kann eine wichtige Bemerkung nicht übergangen werden, die schon da Vinci gemacht hat, und die in unsern Zeiten von dem berühmten Hrn. von Buffon, als eine merkwürdige Erscheinung angemerkt, und von Hr. Beguelin nach ihrer wahren Ursach erklärt worden ist.4 Da Vinci sagt, er habe oft an weißen Körpern rothe Lichter und blaue Schatten gesehen. Und im Jahr 1743 kündigte der Hr. v. Buffon der Academie der Wissenschaften in Paris als eine besonders merkwürdige Beobachtung an, daß bey auf und untergehender Sonne die Schatten allemal eine bestimmte Farbe haben, und bald grün, bald blau seyen. Wie dieses zugehe, hat der scharfsinnige da Vinci schon überhaupt angemerkt; aber eine nähere Untersuchung und vollständige Erklärung der Sache hat Hr. Beguelin gegeben, auf die ich den Leser, Kürze halber verweise.
Von den Schlagschatten sprechen wir in einem besondern Artikel.
Buchempfehlung
Camilla und Maria, zwei Schwestern, die unteschiedlicher kaum sein könnten; eine begnadete Violinistin und eine hemdsärmelige Gärtnerin. Als Alfred sich in Maria verliebt, weist diese ihn ab weil sie weiß, dass Camilla ihn liebt. Die Kunst und das bürgerliche Leben. Ein Gegensatz, der Stifter zeit seines Schaffens begleitet, künstlerisch wie lebensweltlich, und in dieser Allegorie erneuten Ausdruck findet.
114 Seiten, 6.80 Euro
Buchempfehlung
Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.
468 Seiten, 19.80 Euro