Septime

Septime. (Musik)

Ein Intervall von sechs diatonischen Stufen, oder der nächste Ton unter der Octave. Sie ist nach Beschaffenheit des Grundtons und der Tonart dreyerley, groß, klein und vermindert. Nämlich in der harten Tonart ist sie auf der Tonica und Unterdominante groß, auf den übrigen Stufen klein. In der weichen Tonart ist sie auf der Terz und der Sexte groß, auf den übrigen Stufen klein. Die verminderte Septime hat einen besondern Ursprung, wie hernach soll gezeiget werden. In der Umkehrung wird die große Septime zur kleinen, die kleine zur großen, und die verminderte Septime zur übermäßigen Secunde1.

Da die Septime gegen der Octave des Grundtons eine Untersecunde ausmacht, so ist sie ihrer Natur nach dissonirend2, und muß in der Harmonie als Dissonanz behandelt werden. Sie hat aber vor allen andern Dissonanzen das voraus, daß sie nicht blos als ein Vorhalt zur Verzögerung der zu erwartenden Consonanz, sondern zu einem wesentlich dissonirenden Grundaccord gebraucht wird, um eine Veränderung des Tones anzukündigen.

Wir wollen sie ersilich als einen Vorhalt betrachten. In dieser Absicht kann sie anstatt der Sexte vorkommen, und über denselben Baßton aufgelöset werden. Z.B.

Septime

Sie wird hier blos durch eine Bindung aufgehalten, um so gleich in die Sexte zu treten, die erwartet wird, und in die sie bey der zweyten Hälfte der Baßnote würklich übergeht.

[1064] Die große Septime kann auch als ein Vorhalt der Octave vorkommen und bey ihrer Auflösung über sich gehen, in folgendem Fall:

Septime

Sie unterscheidet sich alsdenn von der wesentlichen Septime dadurch, daß ihr Grundton bey ihrer Auflösung liegen bleibt, anstatt daß bey der Auflösung der wesentlichen Septime ihr Grundton, wenigstens ihr Fundamentalton3, nothwendig in einem andern Ton fortschreiten muß, bey welchem sie einen Grad unter sich tritt.

Endlich kommt auch die verminderte Septime als ein Vorhalt vor. Eigentlich ist sie von dem wahren Grundton die zufällige None, die statt der Octave steht, oder von ihrem Baßton gerechnet, steht sie allezeit statt der Sexte, worin sie entweder gleich übergeht, oder ihre Auflösung bis auf die folgende Harmonie verzögert, wie in diesem Beyspiehl:

Septime

Diese Septime kann nie den wesentlichen Septimenaccord ausmachen, weil bey ihrer Auflösung der Baßton weder in den Dreyklang der Quinte fallen, noch überhaupt anders, als in den Dreyklang des nächsten halben Tones, dessen Subsemitonium er ist, fortschreiten kann. Da das Subsemitonium allezeit seine Unterterz zum Fundamentalton hat, so ist die verminderte Septime die None dieses Tones.

Nunmehr wollen wir die wesentliche Septime betrachten, die in ihrem Gebrauch von der zufälligen ganz verschieden ist. Diese nimmt neben den Dreyklang ihre eigene Stelle, nicht wie jene, die Stelle einer Consonanz ein. Sie wird dem Dreyklang zur Zerstörung des Consonirens noch beygefüget, und geht erst auf der folgenden Harmonie in eine Consonanz über, wie in diesem Beyspiehl zu sehen ist.

Septime

Hier entsteht also zuerst die Frage, in welcher Absicht man dem Dreyklang zu Zerstörung seines Wolklanges die Septime beyfüge. Diese Frage haben wir bereits im Artikel Dissonanz beantwortet4. Wir merken hier nur noch überhaupt an, daß man das Consoniren eines Accords in gar keiner andern Absicht durch Hinzufügung einer Dissonanz zerstöhren könne, als damit das Gehör nun eine neue Harmonie, die ganz consonirend sey, erwarte. Tritt nun hierauf ein consonirender Accord ein, so verursachet diese Befriedigung des Gehöres einen Ruhepunkt, oder eine Cadenz in der Harmonie, die durch die blos vorgehaltene Septime, die sich auf derselben Harmonie auflöset, nicht bewürket werden kann.

Hieraus ist also offenbar, daß die dem Dreyklang beygefügte wesentliche Septime eine andere Absicht und eine andere Würkung habe, als die blos vorgehaltene. Deswegen wird sie auch in der Auflösung ganz anders behandelt. Bey der vorgehaltenen giebt sich die Auflösung von selbst, weil die Septime über denselben Baßton in die Consonanz übergeht, deren Vorhalt sie war. Die wesentliche Septime aber bringt eine neue consonirende Harmonie in Erwartung, auf welcher ihre Auflösung geschehen kann. Diese Fortschreitung der Harmonie wird nun mehr oder weniger befriedigend, nachdem man den Ruhepunct mehr oder weniger vollkommen haben will. Hierüber werden die untenstehenden Beyspiele die nöthigen Erläuterungen geben.

Man siehet leicht ein, daß die Septime, die kein Vorhalt ist, bey der Auflösung nur in die Octav, oder Sext, oder Quint, oder Terz des folgenden Baßtones übergehen könne. Wir wollen die Würkung aller dieser Fortschreitungen näher betrachten.

Die Fortschreitung der Septime in die Octave des folgenden Baßtones kann zwar bey verschiedentlichen Harmonien geschehen, wie unten bey a zu [1065] sehen ist; sie hat aber allezeit etwas hartes und unharmonisches: außerdem wird in allen diesen Fällen nur ein schwacher Ruhepunkt erwekt5, bey welchen man nicht stehen bleiben kann, weil das Gehör von einer neuen Tonleiter eingenommen wird, und also noch eine Folge erwartet. Aus eben dieser Ursache sind die Fortschreitungen bey b, wo die Septime in die Sexte des folgenden Baßtones übergeht, wenig befriedigend, obgleich brauchbarer. Bey a A und b B liegen zwar beyde Accorde in derselben Tonleiter; da aber der lezte Accord kein vollkommener Dreyklang, sondern nur eine Verwechslung desselben ist, so befriediget uns diese Fortschreitung doch nicht so sehr, daß wir nicht noch etwas folgendes erwarten sollten. Die dritte Art der Fortschreitung, s. c. bey welcher die Septime in die Quinte des folgenden Baßtones übergeht, führt zwar zu einem Dreyklang, der ohne Verwechslung statt findet; aber er bringet ebenfalls das Gefühl einer neuen Tonart ins Gehör, folglich wird hiedurch auch keine gänzliche Ruhe bewürkt, sondern nur ein kleiner Ruhepunct, nach welchem wir eine fernere Fortsezung erwarten.

Nun bleibet nur noch die vierte Art der Fortschreitung übrig, bey welcher die Septime in die Terz des folgenden Grundtones übergeht, in dem der Baß um eine Quinte fällt, oder um eine Quarte steigt, wie aus den Beyspiehlen d, e und f zu sehen ist. Hier kommen nun zwey ganz verschiedene Würkungen heraus, nachdem die Septime groß oder klein ist. Im erstern Falle, nämlich bey d, ist klar, daß die Septime nicht in die Tonleiter des Grundtones der folgenden Harmonie liegt, es sey denn, daß dieser Ton die verminderte Quinte des vorhergehenden sey, wie bey e. Also führen diese beyden Fälle auch auf eine neue Tonleiter, und dienen, wie alle bisher angeführte Behandlungen der wesentlichen Septime in der Mitte eines Tonstüks zu unvollkommenen und vermiedenen Cadenzen, kurzen Ruhepunkten, oder blos zu Verbindungen einzeler Säze, wozu auch noch folgende Fortschreitungen bey g, wo statt einer neuen consonirenden Harmonie, eine andere dissonirende folgt, und die Erwartung noch höher getrieben wird, gut zu gebrauchen sind. Hingegen wird im zweyten Falle, nemlich, wenn die Septime klein ist, durch diese Behandlung, wie sie bey f vorgestellet wird, eine vollkommene Ruhe erhalten, weil der neue Dreyklang in eben der Tonleiter liegt, aus welcher der vorhergehende Septimenaccord genommen ist, und weil noch überdem die Terz des vorhergehenden Accords das Subsemitonium der neuen Tonica ist. Diese Fortschreitung sowol der Septime als der ganzen Harmonie führt also unmittelbar zum Schluß, und läßt nichts folgendes mehr erwarten.

Septime
Septime

[1066] Wir müssen nun noch anmerken, daß diese Septime in den verschiedenen Verwechslungen des Septimenaccords bald zur Quinte, bald zur Terz, bald zur Grundnote werde. Davon wird in dem folgenden Artikel gesprochen werden.

Auch ist bey der wesentlichen Septime noch anzumerken, daß, da sie neben dem Dreyklang einen für sich bestehenden Grundaccord formiret, ihre Vorbereitung nicht so strengen Gesezen unterworfen ist, als bey den zufälligen Dissonanzen. Sie kann, wenn nur ihr Grundton liegt, frey eintreten; sie kann auch mit ihm zugleich eintreten; nur klingt sie alsdenn härter, und noch härter, wenn sie mit der Octave des Grundtones als eine Secunde frey angeschlagen wird. Geschieht dies in einer Tonart, dessen Tonleiter mit der Tonleiter der vorhergehenden Tonart absticht, so wird sie unerträglich hart, und die Vorbereitung wird alsdenn nothwendig. Die Auflösung dieser Septime ist zwar allezeit nothwendig; sie kann aber doch, wo es darauf ankömmt, den Zuhörer zu frappiren, unter gewissen Einschränkungen übergangen werden.6

Da die zufälligen Dissonanzen Vorhalte wichtiger Töne sind, die ein gutes Taktgewicht haben müssen, so kann die zufällige Septime nur auf eine gute Taktzeit vorkommen; die wesentliche hingegen kann sowol auf einer guten, als schlechten Taktzeit angebracht werden.7

1S. Dissonanz.
2S. Consonanz; Dissonanz. Secunde.
3S. Fundamentalbaß.
4S. 265 u. 266.
5S. Cadenz.
6S. Den folgenden Art.
7S. Zeiten.
Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 2. Leipzig 1774.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Aristophanes

Die Vögel. (Orinthes)

Die Vögel. (Orinthes)

Zwei weise Athener sind die Streitsucht in ihrer Stadt leid und wollen sich von einem Wiedehopf den Weg in die Emigration zu einem friedlichen Ort weisen lassen, doch keiner der Vorschläge findet ihr Gefallen. So entsteht die Idee eines Vogelstaates zwischen der Menschenwelt und dem Reich der Götter. Uraufgeführt während der Dionysien des Jahres 414 v. Chr. gelten »Die Vögel« aufgrund ihrer Geschlossenheit und der konsequenten Konzentration auf das Motiv der Suche nach einer besseren als dieser Welt als das kompositorisch herausragende Werk des attischen Komikers. »Eulen nach Athen tragen« und »Wolkenkuckucksheim« sind heute noch geläufige Redewendungen aus Aristophanes' Vögeln.

78 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon