Wolklang

[1275] [1275] Wolklang. (Redende Künste)

Es ist schon an mehrern Stellen dieses Werks angemerkt worden, daß das Gehör weit lebhafter und nachdrüklicher empfindet, als das Gesicht; daß angenehme und wiedrige Töne stärker auf uns würken, als dergleichen Farben und Figur. Hierauf gründet sich die Nothwendigkeit den Werken der redenden Künste Wolklang zu geben. Schon die gemeine Rede des täglichen Umganges verliehret einen großen Theil ihrer Kraft, wenn sie nicht wenigstens mit einer gewissen Leichtigkeit fließt, und sie wird sehr unangenehm und wiedrig, wenn sie alles Wolklanges beraubt ist. Wo das Ohr sich beleidiget fühlt, da merkt man nicht auf den Sinn der Rede. Man kann, angenehme, so gar wichtige Sachen sagen, und doch, wenn es in einem holperigen Ausdruk geschieht, damit dem Gehör, das gar sehr empfindlich ist, beschwerlich fallen1. Der Wolklang räumt nicht nur jeden Anstoß des Gehöres, der die Aufmerksamkeit auf den Sinn der Rede stöhren würde, aus dem Wege, sondern verursachet, daß man die Rede mit Lust höret, und daß die empfindsame Lage des Gemüthes, die den Eindruk sehr befördert, unterstüzt und verstärkt wird. Dieses haben wir bereits an andern Stellen dieses Werks außer Zweifel gesezt.2

Der Wolklang ist demnach in Werken des Geschmaks nicht blos als eine Annehmlichkeit, sondern als ein zur Unterstüzung der in der Rede liegenden Kraft anzusehen. Es ist bekannt genug, daß Vorstellungen und Gedanken von mittelmäßiger Kraft durch einen höchstwolklingenden Ton, besonders durch ein gutes Sylbenmaaß, sehr große Rührung hervorbringen können. Wenn Haller sagt:


O selig! wen sein gut Geschike

Bewahrt vor großem Ruhm und Glüke,

Der, was die Welt erhebt, verlacht.


so macht der Wolklang des Ausdruks, daß die Gedanken desto lebhafter rühren, und leicht im Gedächtnis bleiben; daß der, der dieselben Gedanken schon oft mag gehört, oder selbst gehabt haben, ohne sonderlich davon gerührt zu werden, izt ihre volle Kraft empfindet. Mancher Vers des Homers, dessen Inhalt wenig Aufmerksamkeit würde nach sich gezogen haben, ist durch den Wolklang zu Würde eines Denkspruchs oder gar eines wichtigen Sprüchworts erhoben worden.

Was ein schönes und lebhaftes Colorit in der Mahlerey, das ist der Wolklang für die Werke der redenden Künste. Für das Gedicht insbesonder ist er so wesentlich, daß der Mangel desselben allein es von dem Gebieth der Poesie ausschließt. Ist er nicht die erste und wichtigste Eigenschaft der Werke der Beredsamkeit und Dichtkunst, so ist er doch eine nothwendige; denn die besten Gedanken können, durch übel klingenden Ausdruk ihre Kraft verliehren.

Darum ist es sehr wichtig, daß Redner und Dichter besondern und ernstlichen Fleis darauf wenden, ihre Werke wolklingend zu machen.

Ohne große Weitläuftigkeit, und ohne sehr schweerfällig zu werden, läßt sich nicht alles, was zur Erreichung des Wolklanges gehört, anzeigen3. Wir müssen uns nur auf das allgemeineste und wichtigste dieser Materie einschränken. Das meiste hängt ohne dem mehr von einem feinen Gehör und einer fleißigen Uebung im Hören, als von theoretischen Kenntnissen ab. Deswegen giebt auch Quintilian dem angehenden Redner den Rath, sich fleißig im mündlichen Vortrag zu üben, und andern aufmerksam zuzuhören. Man glaubt ofte nicht übelklingend geschrieben zu haben, bis man versucht, das geschriebene gut vorzutragen. Da zeiget sich dann gar ofte, daß man nur zu sehr gefehlt habe.

Der Wolklang hängt, wie Cicero wol angemerkt hat, vom Klang und dem Numerus ab.4 Den Klang geben die einzelen Sylben und die aus diesen zusammengesezten Wörter, die an sich mehr oder weniger wolklingend sind; und ihre Stellung. Denn dieselbe Sylbe und dasselbe Wort klingt voller, besser, nachdrüklicher, nachdem seine Stellung neben den übrigen ihm Nachdruk oder Flüchtigkeit [1276] giebt, seine Aussprach erleichtert, oder schweerer macht. Der Redner macht die Wörter nicht, er muß sie nehmen, wie sie ihm von dem eingeführten Gebrauche gegeben werden. Doch bleibet ihm in gar viel Fällen die Wahl derselben. Giebt es nicht gänzlich gleichgültige Wörter, so verstattet doch die Wendung, die einem des bessern Klanges halber gewählten Worte, die gesuchte Bedeutung giebt, gar oft eine Wahl. Und wenn auch diese gar nicht statt hätte, wenn ein minder wolklingendes Wort aus Roth zu wählen wäre, so kann es allemal so gestellt werden, daß es dem guten Klang keinen merklichen Schaden thut.

Man muß sich nur dafür in Acht nehmen, daß nicht Wörter vom schlechtem Klange, da stehen, wo der oratorische Accent liegt, sondern da, wo der Ton sinkt, und die Bewegung leicht und schnell ist. Man muß sich hüten, harte Sylben auf harte folgen zu lassen. Ist irgendwo eine Sylbe von harter oder schweerer Aussprach unvermeidlich, so geht es doch fast allemal an, die Aussprache derselben durch eine vorhergehende, oder nachfolgende schikliche Sylbe so zu erleichtern, daß das rauhe oder schweere fast unmerklich wird.

So viel möglich ist, muß man sich dafür hüten, daß der Accent nicht auf Sylben von schlechtem Klang falle. Und meistentheils kann dieses vermieden werden; denn wir haben eine Menge blos einsylbiger Wörter, die vor oder nach einem zweysylbigen gesezt, in diesem den Accent verändern. Mehr einsylbige Wörter, deren jedes einen Accent hat, hintereinander gesezt, würden einen sehr übeln Klang machen; aber zwey oder drey lassen sich ofte so stellen, daß eines den Accent allein auf sich zieht, und daß sie zusammen, wie ein einziges Wort klingen.

Wir können uns aber nicht in alle Kleinigkeiten einlassen, wodurch der Klang der Wörter im Zusammenhange mit andern kann verbessert werden, ob wir gleich wünschten, daß jemand sich die Müh gäbe, sie zu sammeln. Es ist keine Sprache, in der nicht sehr viel Abweichungen von den gewöhnlichen grammatischen Regeln, blos des Wolklanges halber vorkommen. Man dürffte nur alle diese Fälle sammeln, so würde man sehen, wie vielerley Mittel es giebt den Uebelklang einzeler Wörter zu verbessern. Hieher gehört auch, was wir über den Klang der Wörter, und über das unangenehme Zusammenstoßen einiger Buchstaben anderswo angemerkt haben.5

Eine zu öftere Wiederholung derselben, oder ähnlich klingender Wörter, besonders gleicher Endungen, ist des Wolklanges halber so viel möglich zu vermeiden. Erfodert es die Nothwendigkeit ein Wort in einem kurzen Umfang der Rede mehrmale zu brauchen, so muß man darauf sehen, daß das Unangenehme der Wiederholung durch die Mannigfaltigkeit des Rhythmischen in den verschiedenen Säzen, da es vorkommt, verbessert werde.

Wir müssen aber nicht unbemerkt lassen, daß der Klang nicht, wie es doch scheinet, von dem bloßen Schall der Wörter allein abhängt, sondern durch den Sinn derselben merklich unterstüzt wird. Ist dieser leicht, und sind die Gedanken angenehm, so findet man auch einen mittelmäßigen Klang gut, hingegen würde der vollkommenste mechanische Bau der Rede nicht wolklingend scheinen, wenn der Sinn schweer zu fassen, oder wann sonst etwas beleidigendes oder anstößiges darin wäre. Wie eine mittelmäßige Farbe auf einem Gesichte von großer Schönheit angenehm ist, hingegen das schönste Colorit auf einem häßlichen Gesicht, wenig gefällt, so verhält es sich auch mit dem Wolklang der Rede. Den besten Klang giebt allemal ein reizender Gedanken, wenn nur der Ausdruk desselben nichts anstößiges, oder holpriges hat.

Der andere Hauptpunkt, worauf es bey dem Wolklang ankommt, ist der Numerus, oder das Rhythmische des Ganges. Von diesem sprechen wir in einem besondern Artikel. Wir merken hier nur als eine Hauptsach an, daß erst denn die Rede recht wolklingend wird, wenn ihr Gang dem Inhalt derselben vollkommen angemessen ist. Die genaueste Ueberlegung des inneren Tones, oder der Stimmung des Gemüthes, in der sich der redende befindet, muß die Art des Ganges der Rede bestimmen. Das Sittliche und Leidenschaftliche dieser Gemüthslage, der Grad desselben, das Gelassene, das Lebhafte, das Zärtliche und das Strenge, oder was sonst das ἠθος und das παθος das in der Rede herrscht, näher bestimmt, muß dem Ausdruk die wahre Bewegung, und den rechten Ton geben.

Für so nothwendig wir den Wolklang halten, so wünschten wir doch nicht, daß er als die vornehmste Eigenschaft der Werke redender Künste angesehen würde. Man muß ihn immer wie ein Kleid [1277] betrachten das nur denn etwas gilt, wenn die Person unsre Aufmerksamkeit verdienet. Wer die größte Schönheit im Wolklange sucht, läuft Gefahr wichtigere Fehler zu begehen, als wer ihn ganz versäumt. Man kann ihm wol etwas von dem Sprachgebrauch aufopfern, aber ihm zu gefallen, soll man nie den Gedanken schwächen, oder auf andre Weise verstellen. Auch muß man seinen Werth nicht so hoch sezen, daß man ihn für hinlänglich hielte, die Werke des Geschmaks schäzbar zu machen. Wer alles dem guten Klang aufopfert, wird nie etwas wichtiges schreiben. Man muß das Ohr nicht zu sybaritischer Weichlichkeit gewöhnen. Eine ernsthafte von wichtigen Dingen angefüllte Rede könnte durch übertriebenen Wolklang verdorben werden. Wie die Mahler ernsthafte Gegenstände nicht mit der höchsten Lieblichkeit der Farben mahlen, und wie sie einen Athleten nicht mit so sanften und verfließenden Umrissen zeichnen, die der weiblichen Schönheit eigen sind; so muß man es auch mit dem Wolklang machen, der allemal mit dem Inhalt übereinstimmend seyn muß.

1Quamvis enim suaves, gravesque sententiæ, tamen, si inconditis verbis efferuntur, offendent aures, quarum est judicium superbissimum. Cic. Orat.
2S. Klang, Ton, Rhythmus. Metrisch.
3De verbis componendis, syllabis, propemodum dinumerandis et dimetiendis loquemur, quæ etiam si sunt necessaria, tamen fiunt magnisicentius, quam dicuntur. Cic. in Orat.
4Duæ sunt res, quæ permulceant aures, sonus et numerus. l. c.
5S. Klang; Lüke (Dichtkunst).
Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 2. Leipzig 1774, S. 1275-1278.
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