Nassauer

* Das ist ein Nassauer.

So nennt man in Berlin jeden, der auf anderer Leute Kosten lebt, wenn er damit ein argloses fröhliches Wesen, Leichtsinn und Keckheit eines geweckten Jungen verbindet. Der » Potsdamer« (s.d.) steht zwar dem Berliner aus praktischen Gründen höher als der »Nassauer;« wenn er aber lediglich seinem Naturell folgte, so würde er sich umgekehrt entscheiden, da seinem Herzen der lustige und frivole »Nassauer« mehr zusagt, als der ehrbare »Potsdamer,« den er sich mehr oder weniger als ein unangenehmes, rüpelhaftes Wesen denkt. Der berliner Nassauer nimmt übrigens einen viel höhern Standpunkt ein als der gemeine Schmarotzer. In dem Bewusstsein, dass er selbst, wenn er nur erst etwas besässe, stets bereit sein würde, mit Bedürftigen zu theilen, betrachtet er es als selbstverständlich, dass die mit Gütern gesegneten Mitmenschen in gleicher Bereitwilligkeit ihm entgegenkommen. Bei Landpartien, Gesellschaftsbowlen und andern in Gesellschaft genossenen Freuden übernimmt es der »Nassauer,« die Kosten auf die einzelnen Theilnehmer zu repartiren und legt der Berechnung die sogenannte Radtheilung für seine Person zu Grunde, was in der Regel stillschweigend gutgeheissen wird. Der Nassauer gibt auch Feste; es sind aber stets nur Pickenicks, zu welchen jeder der Geladenen ein so reichliches Quantum mitbringt, dass der Gastgeber noch eine Woche nachher an den Resten zu zehren hat. Die Berliner Börsenzeitung (1864) enthält eine ausführliche Schilderung der beiden erwähnten berliner Gestalten und nach ihr die Allgemeine Modezeitung, Leipzig 1864, Nr. 26, S. 206. »Nein, billig muss der Schacher bleiben, Nassauer ist er aus Princip.« (Kladderadatsch, 1871, Nr. 12, Beibl. 1.)

Quelle:
Karl Friedrich Wilhelm Wander (Hrsg.): Deutsches Sprichwörter-Lexikon, Band 3. Leipzig 1873, Sp. 966.
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