[5] Sachsen. Man würde nicht wenig gegen die Geschichte verstoßen, wenn man das alte Herzogthum Sachsen, wovon heut zu Tage alle Sächsische Fürsten, vom erstern bis zum letztern, ja sogar alle apanagirten Prinzen der Chur- und herzoglichen Linie, den Titel führen, in denjenigen Landen suchen wollte, welche dieselben gegenwärtig besitzen. Keins von den Ländern, die jetzt das Churfurstenthum Sachsen und die fürstlich Sächsischen Besitzungen ausmachen, gehörte ehedem zu dem Herzogthum Sachsen, sondern sie waren die Besitzungen der Marggrafen von Meißen und der Könige (in der Folge der Zeit der Landgrafen) von Thüringen. Wir glauben, da Sachsen in vielen Rücksichten merkwürdig ist, und sogar dem Deutschen Kaiserthrone einige der besten Regenten gegeben hat, manchem unserer Leser gefällig zu sein, wenn wir vor allen Dingen geschichtlich zeigen, aus welchen Landen eigentlich das alte Herzogthum Sachsen bestanden, wie deren Regenten ursprünglich geheißen, woher selbst die alten Sachsen stammen u. dgl.
Nach der Meinung der meisten Geschichtschreiber waren die alten Sachsen ursprünglich eine Nordische Nation, welche im dritten Jahrhundert nach Christi Geburt in dem heutigen Herzogthum Holstein und der dasigen Gegend sich niederließ; und einige behaupten geradezu, sie wären um diese Zeit aus Norwegen nach Deutschland herüber gekommen, und hätten sich zuerst in Holstein, Dithmarsen und Stormarn niedergelassen. Die Hauptbeschäftigung dieser alten Sachsen aber war nicht die edelste; denn anstatt das Land zu bauen, anstatt irgend eine Art von nützlicher Beschäftigung zu wählen, trieben sie bloß Seeräuberei. Sie breiteten sich gar bald dieß- und jenseits der Elbe, bis an den Rhein und die Schelde, aus, drangen in das alte Königreich Thüringen ein, und setzten sich in demjenigen Theile desselben fest, der ihnen am nähesten lag, das heißt in Nordthüringen. Nach und nach theilten sie sich in Stämme, und erwählten sich ihre Vorsteher, welche Anführer (Duces) hießen, von welchen sie sich im Kriege commandiren und zu Friedenszeiten beherrschen ließen. Natürlich wählten sie hierzu die Tapfersten [5] und Verwegensten, ohne dabei an irgend eine Erblichkeit zu denken. Weil nun diese Sachsen auch im Auslande als ein sehr kriegerisches Volk gar bald bekannt geworden waren, so wurden schon in der Mitte des fünften Jahrhunderts mehrere ihrer Stämme von den Engländern, die bisher von ihren Nachbarn, den Pikten und Skoten (Schotten), unaufhörlich beunruhigt worden waren, nach England gerufen, um diese besiegen zu helfen. Zwei Bruder, Hengist und Horsta, die in der Folge als verwegen Krieger bekannt geworden sind, stellten sich an die Spitze der Sachsen; und es ist gewiß, daß zu den Siegen der Engländer über ihre Feinde die Sachsen das Meiste beitrugen. Aber anstatt daß sie nach hergestellter Ruhe England vertragsmäßig wiederum hätten verlassen sollen, blieben sie vielmehr, zum größten Verdruß der Engländer, dort, vereinigten sich nach und nach in sieben Stämme, und stifteten in dem heutigen Britannien (Schottland und Irland abgerechnet) sieben kleine Königreiche, welche unter dem Namen der Angelsächsischen Heptarchie in der Geschichte bekannt sind. Zum Unterschiede von ihren in Deutschland zurückgebliebenen Brüdern wurden sie von dieser Zeit an Angelsachsen genannt.
Jene alte Sächsische Nation nun, durch den Abgang ihrer Brüder nach England an der Zahl zwar sehr geschwächt, war doch immer noch stark genug, ihre Deutschen Nachbarn zu beunruhigen: ja, sie ersetzten was ihnen an der Anzahl abging durch ihre persönliche Tapferkeit und Kühnheit; kurz, sie überwanden, was ihnen widerstand, so, daß sie nicht nur alle und jede Länder, die gegenwärtig noch den Westphälischen Kreis diesseit des Rheins ausmachen, sich unterwarfen, sondern auch den größten Theil des Niedersächsischen Kreises, ja sogar das nördliche Thüringen, mithin sogar etwas von dem heutigen Obersächsischen Kreise, den Sorben-Wenden abnahmen. Jetzt aber nannten sich ihre Obern (Duces) nicht mehr bloße Anführer sondern Herzöge. Jeder Stamm hatte seinen Herzog, welcher im Kriege commandirte und in Friedenszeiten Regent und Richter war, doch so, daß das Volk sowohl an der Regierung als an der Justizpflege Antheil hatte. An Erblichkeit war auch jetzt noch nicht zu denken.
[6] Nachdem nun solchergestalt die Sachsen vom dritten bis zum Anfange des achten Jahrhunderts in einem nicht unbedeutenden Theile Deutschlands sich ausgebreitet hatten, und den schon damahls allgewaltigen Franken auf ihren Zügen nach Italien behülflich gewesen waren, so war bei diesen die Eifersucht eine sehr natürliche Folge, so, daß sie sich um ihrer eigenen Ruhe und Sicherheit willen für hinlänglich berechtigt hielten, ihre Bundesgenossen, die Sachsen, in etwas einzuschränken. Zwar trat der Fränkische König, Pipin, einen Theil des von ihnen eroberten Königreichs Thüringen an sie ab, jedoch unter der Bedingung eines jährlich an ihn zu entrichtenden Tributs. Weil aber die Sachsen in der Folge diesen Tribut den Franken verweigerten, so blieb kein anderes Mittel übrig, als durch die Waffen sie dazu zu nöthigen, welches endlich unter dem Sohne Pipins, Karl Martell, geschah, indem dieser die Sachsen aus den Fränkischen Staaten vertrieb, in welche sie bei diesem Kriege nach und nach eingedrungen waren. Endlich nachdem Karl der Große, nach Absterben seines Bruders Karlomanns, das ganze Fränkische Reich vereinigt hatte, wurde im Jahr 772 sogar auf dem Reichstage zu Worms der Krieg wider diese Sachsen beschlossen, welcher zu ihrem Nachtheile ausfiel, so, daß sie sich den Franken unterwerfen mußten. Indeß, auch jetzt war die Ruhe von keiner Dauer: denn da die damahligen Zeitumstände Karln nach Italien nöthigten, so fielen auch die Sachsen, welche sich durch den von Pipin ihnen aufgelegten Tribut entehrt hielten, und überhaupt mit der Fränkischen Abhängigkeit unzufrieden waren, von neuem in die Fränkischen Staaten ein; kurz, es verstrichen 33 Jahre, während welcher die Sachsen zehnmal besiegt werden mußten, ehe Karl sie als eine völlig besiegte Nation ansehen konnte. Nicht zu verschweigen, daß nach dem letztern Kriege, beim Friedensschlusse 804, Karl ihnen sogar versprechen mußte, sie bei ihren Gewohnheitsrechten zu schützen, auch jenen Tribut ihnen zu erlassen und ihnen, seinen Franken gleich, die Reichstagsfähigkeit zu geben. Die Hauptanführer der Sachsen in diesem Zeitraume aber waren Wittekind und Albion, welche zuletzt die christliche Religion annahmen.
[7] Ob nun wohl von der Besiegung Wittekinds und Albions und von deren Uebergang zur christlichen Religion, hauptsächlich aber von der Einrichtung mehrerer Bisthümer in den von den Sachsen bewohnten Ländern, die Ruhe großen Theils abhing: so wagte Karl es doch noch nicht, den verschiedenen Sächsischen Stämmen jetzt ordentliche Herzöge zu geben; denn eben diese waren es gewesen, die ihn so sehr beschäftigt hatten, und um derer willen er so viele Menschen hatte aufopfern müssen. Er gab ihnen nur Grafen, in der Meinung daß diese weniger schaden würden, und daß, falls dieselben sich künftig widerspenstig bezeigten, er sie absetzen könnte. Inzwischen können diese Grafen doch schon unter Karln als Stände des Fränkischen Deutschen Reichs betrachtet werden, indem sie bei Reichsversammlungen oder Reichstägen schon zu erscheinen und an den Reichsbeschließungen Theil zu nehmen befugt waren.
Kaiser Ludwig, mit dem Beinamen der Deutsche, setzte endlich wieder den ersten Herzog in Sachsen, Ludolph, jedoch unter Einschränkungen, ein: weit unumschränkter aber durfte in der Folge Otto der Erlauchte (der dritte Sächsische Herzog) unter der Regierung des erstern Salischen Kaisers, Konrads I. herrschen; denn dieser, da er, nach Erlöschung der Fränkischen Kaiser, die ihm angetragene Kaiserkrone zu Gunsten Konrads ausgeschlagen hatte, erwarb sich nicht nur die Liebe des Kaisers in einem sehr hohen Grade, sondern es wurde ihm auch vergönnt, seine Besitzungen zu erweitern. Minder nachsichtig aber bezeigte sich eben derselbe Konrad gegen den Sohn Ottoʼs, Heinrich, dessen Größe. Macht und Klugheit er fürchtete: denn nicht nur der ganze Westphälische und Niedersächsische Kreis nebst Friesland, sondern auch ganz Thüringen – mithin ziemlich der dritte Theil des Obersächsischen Kreises – war in seiner Gewalt; ja sogar von dem heutigen Franken gehörte ihm schon vieles. Um Heinrichen wenigstens Thüringen und Franken abzunehmen, fing Konrad Krieg an: aber – jener behauptete seine ganzen Länder; ja er flößte Konraden endlich so viel Ehrfurcht ein, daß dieser auf seinem Sterbebette Niemand andern als seinen muthigen Gegner, den Herzog [8] Sachsens, Heinrichen, der Deutschen Nation als seinen Nachfolger in der Kaiserwahl empfahl, überzeugt, daß das Deutsche Reich, wegen der beständigen Unruhen und der Einfälle der Ungarn, jetzt mehr als jemahls eines muthigen Herrn benöthigt, solchen in der Person Heinrichs finden würde. Sobald Konrad gestorben war, wählten die Stände den Herzog Heinrich einstimmig und ohne daß er sich selbst darum bewarb, unter dem Namen Heinrich der Erste, zu ihrem Kaiser, oder besser zum Deutschen Könige (denn Italien, worauf eigentlich die Kaiserkrone haftet, war jetzt seit Erlöschung des Fränkischen Stammes von Deutschland getrennt). Dieser Heinrich erwarb sich nun um das Deutsche Reich unendliche Verdienste; denn gleich nach Antritt seiner Regierung sicherte er dasselbe gegen die beständigen Einfälle der Ungarn auf immer, indem er mit der größten Entschlossenheit und mit bewundernswürdigem Muthe gegen sie stritt und nicht eher ruhte, bis er diese ungebetenen Gäste gänzlich und vollständig besiegt hatte. Aber auch Sachsen insbesondere hat ihm, sowohl in Rücksicht auf Cultur als auf gute Ordnung und häusliche Glückseligkeit, sehr viel zu danken; er beförderte die Wissenschaften so gut es damahls möglich war, legte Städte an, setzte, als beständige Zweige der bürgerlichen Nahrung, gewisse Gewerbe ausschließend für sie fest, munterte aber auch den Fleiß des Landmanns zu Bestellung seiner Felder kräftigst auf. Anstatt aber daß jetzt Heinrich, als Oberhaupt des Reichs, seine Länder hätte abgeben sollen, behielt er solche vielmehr bei seinem Hause; ein Mittel, welches, obwohl es wider die Reichsverfassung war, ihn um so mehr in den Stand setzte, des Reichs sich anzunehmen und solches gegen seine Feinde zu vertheidigen. Gleich großen, wo nicht noch größern, Dank verdient Heinrichs Sohn, der nachmahlige Deutsche König, Otto I. – Dieser, so tapfer als gütig, bringt Italien durch Kriege an das Deutsche Reich, und verbindet die Kaiserwürde mit dem Deutschen Königreiche, bei welchem dieselbe von nun an beständig und unzertrennlich geblieben ist. Dagegen vergab er aber, weil ihn die Regierung des Reichs zu sehr beschäftigte, hauptsächlich aber weil es wider seine Würde war, Kaiser und [9] Vasall in einer Person zu sein, im Jahr 960 das Herzogthum Sachsen an einen vornehmen und mächtigen Dynasten, Hermann von Billungen oder Billingen, der schon bereits das heutige Lüneburg besaß, und bei dessen Familie dasselbe auch bis zu ihrer Erlöschung 1014 geblieben ist. Nach Magnus, des letzten Herzogs aus diesem Stamme, Tode gab Kaiser Heinrich V. das Herzogthum Sachsen Lotharn, Grafen von Supplinburg und Querfurth, welcher nach Heinrichs Tode sogar noch Kaiser ward, und der wegen seiner hohen Würde sein Herzogthum nun an seiner Tochter Mann, Heinrich den Großmüthigen, Herzog von Baiern, vergiebt. In diesem Zeitraume nun, als so lange Sachsen und Baiern vereinigt waren, ist eigentlich die Größe Sachsens zu suchen. Nur Schade, daß diese Größe nicht lange dauerte! Schon mit Heinrichs des Großmüthigen Sohne, Heinrich dem Löwen, hörte sie auf, indem Kaiser Friedrich I. im Jahr 1180 fast alle seine Länder nahm, und ihm bloß das heutige Herzogthum Braunschweig, welches damahls noch freies Eigenthum (allodium) war, übrig ließ. Da aber der Kaiser diese eingezogenen Länder nicht selbst behalten konnte, so vertheilte er sie folgender Gestalt: nehmlich Philipp, Erzbischof von Cöln, erhielt Engern und Westphalen, Bernhard, Graf von Askanien, aber das heutige Herzogthum Lauenburg, als das eigentliche Herzogthum Sachsen, zusammt der Chur und allen darauf haftenden Rechten.
Aus diesem Askanischen Hause nun, welches an die 242 Jahre in Sachsen regierte, zählt die Geschichte acht Churfürsten. – Nach dem Tode Albrechts III. des letztern Churfürsten Askanischen Stammes, sollte nun nach der Nähe des Geblüts der damahls regierende Herzog von Sachsen-Lauenburg, Erich V. in der Chur Sachsens succediren: weil jedoch nach Sächsischem Lehnrecht die Lehnfolge nicht durchs Geblüt allein sondern vielmehr durch die Mitbelehnschaft (simultanea investitura) erlangt wird, Erich aber an Erlangung und Erneuerung dieser Mitbelehnschaft sich versäumet und dagegen der Marggraf von Meißen, Friedrich der Streitbare, nicht lange vor Albrechts Tode, von dem Kaiser Sigismund [10] auf die Chur Sachsen eine Expectanz sich hatte geben lassen; so belehnte jetzt der Kaiser, eingedenk seines Versprechens sowohl als der wichtigen Dienste Friedrichs gegen die Hussiten, diesen, den er auch als einen so tapfern Fürsten zum Freunde behalten wollte, mit der Chur Sachsen und dem mit ihr verbundenen Lande, dem jetzigen Churkreise, oder, wie man dazumahl sich auszudrücken gewohnt war, mit dem Lande Wittenberg. Friedrich heißt nun unter den Churfürsten Sachsens, aus dem marggräflich Meißnischen Hause, Friedrich I.
Wir führen hier noch, und hoffentlich mit der Zufriedenheit der Leser, diejenigen Lande auf, welche die Marggrafen von Meißen zu der Zeit besaßen, als die Chur Sachsens an sie kam: 1) Die ganzen Meißnischen Lande, wie solche noch heutiges Tages der Churfürst von Sachsen besitzt, nebst dem Churkreise oder dem so genannten Wittenberger Lande, ingleichen dem heutigen Fürstenthume Querfurth und dem ganzen Saalkreise bis unter Magdeburg; 2) derjenige Theil des Osterlandes, der das heutige Fürstenthum Altenburg ausmacht (das übrige Osterland war schon mit in den Meißnischen Landen begriffen); 3) die heutigen Sächsischen Fürstenthümer Coburg, Saalfeld und Hildburghausen, ingleichen dasjenige, was sämmtliche Sächsische Häuser gegenwärtig im Fränkischen Kreise an der gefürsteten Grafschaft Henneberg besitzen, welche Friedrich der Strenge, Marggraf zu Meißen und Landgraf in Thüringen, schon im Jahr 1347 sich erheirathet hatte, und seit dieser Zeit bei Sachsen beständig geblieben ist; 4) die ganze Landgrafschaft Thüringen, wie solche gegenwärtig von dem Churfürsten und den herzoglichen Häusern besessen wird.
Freilich waren diese sämmtlichen Länder zu Zeiten Friedrichs I. zwischen ihm, seinen zwei Brüdern und seinen beiden Oheimen getheilt; aber schon unter seinen beiden Enkeln, Ernsten und Alberten, erfolgte eine Vereinigung. Diese beiden Prinzen besaßen und regierten die vorher genannten Sächsischen Lande den größten Theil ihres Lebens in Gemeinschaft, bloß mit dem Unterschiede, daß der ältere, Ernst, vermöge des in der goldenen Bulle eingeführten Primogenitur-Rechts, [11] den Churkreis und die darauf haftende Churwürde voraus hatte und allein behauptete. Da jedoch während ihrer gemeinschaftlichen Regierung manche Mißhelligkeit unter ihnen vorgefallen war: so theilten sie im Jahr 1485 ihre gesammten Länder, wobei Ernst, als der ältere Prinz, vermöge des Primogenitur-Rechts den Churkreis und die Churwürde vorzugsweise erhielt; und so gern er die Thüringischen Lande genommen hätte, so wählte doch Albert vermöge jenes in Sachsen geltenden Kührrechtes (welches man mit folgenden Worten auszudrücken gewohnt ist: der ältere theilt und der jüngere wählt oder kiest) die Meißnischen Lande, so, daß sein Bruder mit den Thuringtschen sich begnügen mußte. Aber nicht bloß die Meißnischen Lande und die davon abhängenden Reyenuen erhielt Albert durch diese Theilung, sondern auch die darauf haftende Reichsstandschaft und die vollkommenste Landeshoheit; kurz, beide Bruder wurden durch diese Theilung alleinige Regenten und Herren ihrer Lande.
Mit diesen beiden Prinzen Sachsens, – welche schon in ihrer frühesten Jugend durch den an ihnen auf dem Schlosse zu Altenburg (der damahligen Residenz ihres Vaters, Friedrichs II. des Sanftmüthigen) durch Kunz von Kauffungen und einige andere Mitverschworne vollzogenen Prinzenraub die größte Aufmerksamkeit durch ganz Deutschland erregt hatten, – fängt sich in der Sächsischen Geschichte eine neue Periode an, die gegenwärtig noch in ihren Folgen fortdauert; es leiten sich nehmlich von diesen beiden Prinzen zwei Hauptlinien in dem Hause Sachsen, die Ernestinische und Albertinische, oder die Chur- und herzogliche Linie, ab. Jene zählt in allem vier Churfursten, welche 62 Jahr regiert haben, und diese vier Herzöge. Denn nach der unglücklichen Schlacht bei Mühlberg an der Elbe 1547 nahm Kaiser Karl V. dem Churfürsten, Johann Friedrichen, und seiner Linie die Chur, und gab sie seinem Vetter, dem damahls regierenden Herzoge Sachsens, Moritz, und allen Agnaten der Albertinischen Linie, bei welcher sie gegenwärtig noch ist; und nur erst nach deren gänzlicher Erlöschung kann sie wieder auf die Ernestinische Linie kommen.
[12] So kurz auch der Zeitraum von 1485 bis 1547 – von der Theilung Ernstens und Alberts an gerechnet – war, so thatenreich erscheinen in der Geschichte diese 62 Jahre. Schon unter den Stiftern der beiden Linien fielen Mißhelligkeiten jeder Art vor, noch mehrere aber unter ihren Nachkommen – Mißhelligkeiten, die auf die Unterthanen den größten Einfluß hatten. Außerdem fällt in diesen Zeitraum die Stiftung der Universität Wittenberg 1502 durch Churfürst Friedrich III. mit dem Beinamen des Weisen, und deren schnelles Emporkommen durch die von ihrem Stifter selbst dahin gezogenen Lehrer – ferner die von Luthern auf der Universität Wittenberg 1517 zufällig veranlaßte Reformation, wozu der unverschämte Leipziger Dominicanermönch, Johann Tezel, mit seinem ärgerlichen und die gesunde Vernunft empörenden Ablaßkram die nächste Veranlassung gab – und endlich der nach Luthers Tode 1546 erfolgte Religionskrieg, der zwar am Ende für die Menschheit die wohlthätigsten Wirkungen hervorbrachte, für das Churhaus Sachsen Ernestinischer Linie aber äußerst nachtheilig war, indem dasselbe die Chur und die demselben gehörenden Länder verlor, und nur erst nach mehrern Jahren diejenigen Besitzungen wieder erhielt, die gegenwärtig die verschiedenen herzoglichen Häuser noch besitzen.
Wir fügen jetzt das, was noch zur Ergänzung des gegenwärtigen Artikels fehlt, nach den verschiedenen bestehenden Häusern Sachsens bei, und machen, sowohl dem Range als der Wichtigkeit der Besitzungen zu Folge, mit dem Churhause den Anfang.
Die Besitzungen des jetzigen Churhauses Sachsen sind folgende: 1) Das ganze Marggrafthum Meißen, bis auf das Fürstenthum Altenburg, welches ehedem einen Theil des Osterlandes ausmachte, gegenwärtig aber dem Hause Sachsen-Gotha gehört; 2) ein großer Theil der Landgrafschaft Thüringen, worüber der Churfürst auch den Titel führt; 3) die drei Bisthümer oder Hochstifte Meißen, Merseburg und Naumburg, welche, obwohl sie in den Meißnischen und Thüringischen Landen liegen, in mehr als einer Rücksicht abgesondert werden müssen; 4) der größte Theil [13] des Voigtlandes; 5) das Fürstenth. Sachsen-Querfurth, weßwegen der Churfürst das Recht ausübt, einen Kammergerichts-Assessor zu präsentiren, und welches die vier Districte Querfurth, Jüterbogk, Dahme und Heldrungen begreift; 6) Der Schleusingische Antheil an der Grafsch. Henneberg im Fränkischen Kreise, welcher von der dem ganzen Hause Sachsen zugefallenen Portion fünf Zwölftheile ausmacht; 7) drei Fünftheile der Grafschaft Mansfeld, welche seit 1573 von Chursachsen zu Lehne gingen, seit 1780 aber, nach Erlöschung des ganzen gräflich Mansfeldischen Hauses, an den Churfürsten als ein Reichs-Afterlehn zurückgefallen sind; 8) die beiden Lausitzen, und zwar die Obere ganz, die Niedere aber größtentheils, bis auf den Cottbussischen Kreis mit Peitz, welcher dem Churhause Brandenburg gehört, und seit dem Berliner Frieden 1742 der Neumark mit einverleibt ist, so, daß seit dieser Zeit der Böhmische Lehnsnexus mit Brandenburg über diesen Theil der Niederlausitz gänzlich aufgehört hat.
Diese beiden Lausitzen, welche zwei besondere Länder ausmachen, und unter dem Namen Marggrafthümer Ober- und Niederlausitz bekannt sind, auch besonders regiert werden müssen, hat der Churfürst von Sachsen als Böhmische Lehne. Sie kamen 1623 an Sachsen, und zwar anfangs als ein Pfand, indem der Kaiser Ferdinand II. als König von Böhmen, sie dem Churfürsten, Johann Georg I. wegen der von Oesterreich als Kriegskosten zu fordern habenden 72 Tonnen Goldes, als ein Pfändlehn einräumte und ihn damit belehnte, 12 Jahre später aber beim Prager Frieden (1635) dieselben als Böhmisches Mannslehn, nebst der Landeshoheit, ihm und allen Nachkommen seiner Linie eigenthümlich abtrat, auch ihn damit belehnte, sich jedoch das Recht vorbehielt, daß, wenn die churfürstliche und die damahls lebende Altenburgische Linie, als welcher der Kaiser die Mitbelehnschaft darauf gab, in der männlichen Descendenz erlöschen sollte, gegen Erstattung jener dem Hause Sachsen schuldigen 72 Tonnen Goldes, beide Marggrafthümer an Böhmen wieder zurückgebracht werden könnten. Da nun aber jene alte Altenburgische Linie längst schon ausgestorben ist; so würden, wenn dereinst das jetzige [14] Churhaus auch aussterben sollte, diese beiden Lausitzen wieder an Böhmen fallen müssen, wenn nicht inzwischen Oesterreich zu einem gegenseitigen Vertrage zu vermögen sein sollte.
Die sämmtlichen Besitzungen des Churfürsten aber theilt man juristisch – wiewohl nicht ganz adäquat – I. in die Chur- und Erblande, II. in incorporirte und III. in vereinigte Lande.
Die erstern sind in den sieben Kreisen enthalten, nehmlich 1) in dem Churkreise, 2) im Meißnischen, 3) im Thüringischen, 4) im Leipziger Kreise (wozu in weltlichen Dingen auch das Unterstift Wurzen gehört), 5) im Erzgebirgischen, 6) im Voigtländischen und 7) im Neustädtischen Kreise.
Zu den incorporirten Landen gehören die drei Hochstifte Meißen, Merseburg und Naumburg, ingleichen die Schönburgischen Herrschaften und die drei Fünftheile der Grafschaft Mansfeld. Zwar gilt in diesen die Sächsische Gesetzgebung eben so, wie in den Chur- und Erblanden, doch genießen sie vor diesen mehrere Befreiungen und werden in mauchen Stükken etwas anders bemessen.
Zu den vereinigten Landen endlich gehören die beiden Lausitzen und der Chursächsische Theil an der Grafschaft Henneberg. In diesen ist sowohl die Gesetzgebung als die Justizpflege verschieden.
Alle diese dem Churhause Sachsen gegenwärtig zustehenden Länder aber sind theils unmittelbare Reichslehen, theils Reichs-Afterlehen, theils Reichs-Allodien, theils Böhmische und Bambergische Lehen, worüber ehedem der Churfürst von den verschiedenen Lehnsherren sich wirklich belehnen ließ: denn so sind die so genannten Chur- und Erblande großen Theils Reichslehen; die drei Fünftheile von der Grafschaft Mausfeld sind als Reichs-Afterlehen eröffnet zurückgefallen; der größte Theil des Voigtlandes, ingleichen mehrere einzelne Orte, Städte und Aemter in den Meißnischen Landen, so wie die beiden Lausitzen, sind Böhmische Lehen; die Stadt und das Schloß Wittenberg, ingleichen die Stadt Mühlberg und mehrere Dörfer da herum sind Bambergische Lehen; die Graf- und Herrschaft Rochlitz ist freies Reichs-Allodium, in welcher Qualität der Marggraf [15] von Meißen, Konrad I. solche von dem Kaiser Konrad III. im Jahre 1143 geschenkt erhielt.
Wenn man bedenkt, daß alle diese dem Churhause Sachsen gehörigen Besitzungen nicht mehr als 718 Quadratmeilen Flächeninhalt betragen, und doch gegen 2 Millionen Menschen enthalten, so muß man gewiß über diese große Masse erstaunen, und diese Staaten als die volkreichsten in Deutschland ansehen. Aber welche herrliche Lage haben diese Länder! welchen fruchtbaren und ergiebigen Boden! wie und mit welcher Geschicklichkeit läßt sich der fleißige, emsige Einwohner Sachsens die Bestellung desselben angelegen sein! Man kann zuverläßig annehmen, daß in einem Zeitraume von etwa 30 Jahren der jährliche Ertrag, gegen die vorigen Zeiten gehalten, um ein Sechstheil gestiegen ist. – Eben so und in gleichem Verhältnisse ist der Viehzustand erhöhet und z. B. die Schaafzucht seit dem siebenjährigen Kriege von dem Landmanne vermehrt und veredelt worden. Wie schön sind Sachsens Manufacturen und Fabriken jeder Art! welche Anzahl Menschen findet dadurch ihren Unterhalt, z. B. bei den vielen und großen Tuch- und Leinwandfabriken in der Oberlausitz, bei den Baumwollen-Fabriken in dem Erzgebirgischen Kreise und den Schönburgischen Landen, und bei den andern vielen Fabriken jeder Art! Welche Wohlhabenheit herrscht überhaupt unter den Einwohnern Sachsens! Es würde uns zu weit führen, wenn wir hier alle und jede Zweige besonders angeben wollten, welche diese große Wohlhabenheit veranlaßt haben und für die Zukunft wahrscheinlich noch mehr erhöhen werden.
Brockhaus-1809: Moritz, Graf von Sachsen · Sachsen · Der Churfürst von Sachsen · Moritz, Churfürst von Sachsen
Brockhaus-1837: Sachsen-Meiningen-Hildburghausen · Sachsen-Weimar-Eisenach · Sachsen-Koburg-Gotha · Sachsen · Sachsen-Altenburg
Brockhaus-1911: Sachsen-Meiningen · Sachsen-Merseburg · Sachsen-Hildburghausen · Sachsen-Lauenburg · Sachsen-Weißenfels · Sachsen-Zeitz · Sachsen-Teschen · Sachsen-Weimar-Eisenach · Sachsen-Gotha · Sachsen [2] · Sachsen [3] · Marschall von Sachsen · Sachsen · Sachsen-Coburg-Gotha · Sachsen-Coburg-Kohary · Sachsen [4] · Sachsen-Altenburg
DamenConvLex-1834: Maria Anna Leopoldine, Königin von Sachsen · Charlotte Amalie, Herzogin von Sachsen-Meiningen · Sachsen · Maria Antoinette Friederike Auguste Anna, Herzogin von Sachsen-Koburg-Gotha · Auguste Maria Nepomucena, Prinzessin v. Sachsen · Amalie Therese, Erbprinz. v. Sachsen-Altenburg · Amalie Maria Friederike Auguste, Prinz. v. Sachsen · Anna von Sachsen · Anna Amalia, Herzogin v. Sachsen-Weimar
Eisler-1912: Albert von Sachsen
Herder-1854: Sachsen-Koburg-Gotha · Sachsen-Altenburg · Sachsen-Weimar-Eisenach · Sachsen-Meiningen-Hildburghausen · Sachsen [2] · Sachsen [1] · Sachsen [4] · Sachsen [3]
Meyers-1905: Sachsen [1] · Sachsen [2] · Galantes Sachsen · Marschall von Sachsen
Buchempfehlung
Nach Caesars Ermordung macht Cleopatra Marcus Antonius zur ihrem Geliebten um ihre Macht im Ptolemäerreichs zu erhalten. Als der jedoch die Seeschlacht bei Actium verliert und die römischen Truppen des Octavius unaufhaltsam vordrängen verleitet sie Antonius zum Selbstmord.
212 Seiten, 10.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.
434 Seiten, 19.80 Euro