Criminalrecht

[485] Criminalrecht (peinliches) oder Strafrecht ist die Wissenschaft von den Verbrechen und Strafen. Man unterscheidet das philosophische Criminalrecht von dem positiven und versteht unter ersterm die Wissenschaft von den möglichen Rechten des Staats aus Strafgesetzen, unter letzterm die von den wirklichen Rechten eines bestimmten Staats. Das deutsche Criminalrecht ist entweder gemeines, in ganz Deutschland gültiges, oder particulares, d.h. nur in einem einzelnen deutschen Staate eingeführt. Der Form nach kann es zwar seit Auflösung des deutschen Reichs eigentlich kein gemeines deutsches Criminalrecht mehr geben, dem Inhalte nach besteht indeß ein solches fortwährend und wird in denjenigen Ländern, welche kein eignes Criminalgesetzbuch haben, mit verschiedenen, von den Umständen gebotenen Abänderungen, zur Anwendung gebracht. Die Wissenschaft des positiven peinlichen Rechts stellt in ihrem allgemeinen Theile die Grundsätze über Bestrafung rechtswidriger Handlungen überhaupt und im besondern Theile die besondern Bestimmungen der positiven Gesetze über die Bestrafung einzelner Arten rechtswidriger Handlungen dar. Die Lehre von der Art, wie der Staat gesetzmäßig seine Rechte aus Strafgesetzen geltend macht, nennt man den Criminalproceß, welcher zwar gewöhnlich mit dem Criminalrechte verbunden wird, aber eigentlich ein Theil der Lehre von dem gerichtlichen Verfahren überhaupt ist. Man unterscheidet dabei hauptsächlich das öffentliche und das mündliche Verfahren, wie es in England und seit der Revolution in Frankreich, auch in einigen deutschen Ländern am Rheine üblich ist, wo die franz. Gesetzgebung gilt. Ein Kronanwalt erhebt hier die Anklage (s.d.), liefert die Beweise und stellt den Antrag auf Bestrafung, der Beklagte aber sucht den Beweis durch seine Vertheidigung zu entkräften, und endlich sprechen die Geschworenen (s.d.) das Schuldig oder Nichtschuldig über ihn aus. Dagegen ist bei dem fast ganz inquisitorischen deutschen Criminalprocesse das Absehen des Richters dahin gerichtet, den Beklagten zum Geständniß der That zu bringen, was er durch Verhöre, Zeugen und Erweckung der innern Stimme des Gewissens zu erreichen sucht. Die Criminalgerichtsbarkeit verleiht das Recht, begangene Verbrechen zu untersuchen und die gesetzlichen Strafen dafür auszusprechen, und wird von den Criminalgerichten, d.h. von den zu diesem Zwecke vom Staate eingesetzten Behörden, ausgeübt. Diese müssen aus einem Richter, welcher die gerichtlichen Handlungen leitet, einem Actuarius, welcher sie aufzeichnet, und wenigstens zwei Schöppen bestehen, welche heutzutage nur noch als Zeugen figuriren. Die Quellen des gemeinen deutschen Criminalrechts sind, außer der Philosophie desselben, welche die allgemeinen Principien an die Hand gibt und zur Anwendung kommt, wo die positiven Gesetze schweigen, das röm. und kanonische Recht und die Reichsgesetze, insonderheit aber Kaiser Karl V. sogenannte Carolina oder peinliche Halsgerichtsordnung (s.d.), welche zwar in Berücksichtigung der damaligen Zeit und der guten Absicht des Gesetzgebers alles Lob verdient, indeß an vielen Unvollkommenheiten leidet und den Anfoderungen der Gegenwart nicht mehr entspricht. Unter den neuern deutschen Criminalgesetzbüchern, welche in mehren Ländern an die Stelle des gemeinen Rechts getreten sind, zeichnen sich aus: das preuß., das östr., das bair., das oldenburg., das hanöv. u.s.w., und fast überall ist man damit beschäftigt, zeitgemäße Criminalordnungen, deren Bedürfniß sehr dringend gefühlt wird, ins Leben zu rufen. Zu den Männern, welche sich in neuerer Zeit um diese Wissenschaft, von deren Resultaten die höchsten Güter des Menschen, Leben, Freiheit und Ehre, abhängen, verdient gemacht haben, gehören: der 1833 verstorbene Joh. Paul Anselm von Feuerbach, der 1834 verstorbene Karl Aug. Tittmann, der badische Geheimrath und Professor in Heidelberg, Karl Jos. Amon Mittermaier, der Kanzler der Universität Tübingen, Karl Georg Wächter und mehre Andere.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 1. Leipzig 1837., S. 485.
Lizenz:
Faksimiles:
Kategorien:
Ähnliche Einträge in anderen Lexika