Fatum

[14] Fatum (das) war nach dem Glauben der alten Griechen und Römer die unerforschliche, Alles überwältigende [14] Macht des Schicksals, dem Götter und Menschen mit unvermeidlicher Nothwendigkeit unterworfen waren. Während die griech. Götter menschliche Schwächen und Leidenschaften hatten, war das Fatum mit einem heiligen, unabwendbaren Ernste bekleidet, sodaß es den Anschein hat, als läge in der Lehre vom Fatum bei jenen heidnischen Völkern die erste Ahnung des wahren, freien, selbständigen Gottes, welchen das Christenthum lehrt. Die Verklärung zur Freiheit fehlte aber dem Fatum. Je weiter daher die Erkenntniß der Freiheit des Geistes bei den Philosophen der Griechen gedieh, desto mehr verschwand die Schicksalsidee und der Mensch lernte als freies Wesen sein richtiges Verhältniß zur Gottheit erkennen. Nur die Trauerspieldichter bedienten sich noch der Vorstellung eines unabwendbaren Fatums, da nichts die geistige Kraft des Menschen erhabener herausstellt als das Andringen menschlicher Willenskraft gegen große, unüberwindliche Hindernisse. – Der Fatalismus (Glaube an ein Fatum) ist entweder ein irreligiöser oder ein religiöser, je nachdem die Nothwendigkeit, die das Vermögen der Selbstbestimmung der Handlungen aufhebt, ihren Grund in der Natur oder in Gott hat. Der erstere (wozu auch die Meinung, die des Menschen Glück und Unglück von dem Einflusse der Gestirne u.s.w. abhängig macht, gerechnet werden kann) betrachtet den Menschen als eine bloße Erscheinung der Natur und unterwirft auch seine Geistesthätigkeit den in der Natur wirkenden Gesetzen. Ist aber das geistige Leben des Menschen an die in der Sinnenwelt herrschende Nothwendigkeit gebunden, so wird auch jeder Zustand, jede Richtung seines Lebens ein Werk der Nothwendigkeit, an seinen Tugenden und Lastern hat er keinen Antheil und sein Dasein hat keine höhere Bedeutung als das der Pflanzen und Thiere. Der religiöse Fatalismus, der durch Augustin in die christliche Glaubenslehre aufgenommen und durch Luther und Calvin erneuert wurde, stützt sich auf die Nothwendigkeit der göttlichen Allwissenheit. Da sie nämlich nichts zufällig, sondern Alles nothwendig voraussetze, so sei der Mensch auch im Voraus von Gott zur Seligkeit oder zur Verdammniß bestimmt. (S. Vorherbestimmung.) Die Nothwendigkeit auf Gott bezogen, wird aber zur Freiheit des Geistes, von der auch der Menschengeist seinen Ursprung ableitet, und die Vorstellung des Fatums geht so über in die einer allmächtig waltenden, weisen Vorsehung, welche der Wille Gottes ist. Gegen solche Nothwendigkeit ewiger Weisheit ist die der Natur, sobald sie nicht auch als Äußerung göttlicher Weisheit betrachtet wird, eine blinde. Der türk. Fatalismus behauptet neben der Nothwendigkeit einer göttlichen Vorherbestimmung, was freilich unbegreiflich ist, die Freiheit des Willens und äußert seinen verderblichen Einfluß auf das Leben seiner Bekenner am meisten dadurch, daß man sich Übeln, die in dem Zusammenwirken natürlicher Ursachen ihren Grund haben, wie Pest und Feuersbrunst, nicht entzieht und sich gegen sie verwahrt, weil Gott sie gewollt. Läßt auch diese Art des Fatalismus die Religion und den Glauben an die persönliche Fortdauer nach dem Tode unangetastet, so beugt sie doch den Menschen nieder und raubt ihm die Glückseligkeit, die ihm seine eigne Tugend gewähren soll.

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Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 2. Leipzig 1838., S. 14-15.
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