Wilna

[735] Wilna, poln. Wilno, die Hauptstadt eines gleichnamigen Gouvernements von 1100 ! M. mit 11/2 Mill. Einw. im europ. Rußland (s.d.), welches fast das ganze ehemalige Samogitien und Lithauen begreift und hauptsächlich von Lithauern und Schamaiten (Samogitiern) bewohnt ist, während Adel und Geistlichkeit meist poln. Herkunft sind. W. war auch Hauptstadt des alten Lithauens, hat 42,000 Einw., darunter 10,000 Juden, und liegt, von malerischen Höhen umgeben, an der Wileyka und der schiffbaren Wilia. Im Ganzen schlecht und winklig gebaut, fehlt es W. doch nicht an ansehnlichen Gebäuden, wohin das Rathhaus, Zeughaus, mehre Paläste poln. Edelleute und zahlreiche Kirchen gehören, von welchen die Kathedrale des h. Stanislaus die Marmorkapelle mit dem Grabe des 1480 verstorbenen h. Kasimir enthält; außer röm.-katholischen bestehen auch mehre griech., eine reformirte und eine protestantische Kirche hier, sowie eine Moschee. Von dem ehemaligen Königsschlosse auf dem Schloßberge sind nur Ruinen übrig. Haupterwerbzweige sind der Handel mit Getreide, Hanf, Flachs und andern Landeserzeugnissen. W. ward aus einem alten heidnischen Orte im J. 1305 durch den lithauischen Großfürsten Gedemin zur Stadt erhoben und 1387 hob König Wladislaw Jagello den Götzendienst hier auf und gründete über einem seiner Hauptaltäre die Kathedrale. Eine Hungersnoth soll 1571 über 20,000 Bewohnern das Leben gekostet haben, und 1610 und 1655 ward die Stadt von den Russen verheert, litt auch sehr im 18. Jahrh. in den Kriegen mit Schweden und Rußland, an welches Wilna 1796 von Polen abgetreten werden mußte. Die 1578 von Stephan Bathori als Jesuitencollegium gestiftete Universität, welche 1803 erneuert wurde, ist 1832 wegen ihrer Pflege poln. Nationalität und der Theilnahme vieler ihrer Angehörigen am poln. Aufstande von 1830 aufgehoben worden, was 1840 auch mit der bis dahin fortbestandenen medicinisch-chirurgischen Akademie erfolgte.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1841., S. 735.
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