[88] Gymnastik, weibliche. Der menschliche Körper besteht außer vielen anderen Theilen auch aus Muskeln, diesen, zu jeder Art von Bewegung nöthigen Organen. Sie sind es, welche das Knochengebäude umgeben und die schöne Form des Körpers bedingen. Sie sind bei dem Manne sichtbarer als bei den Frauen. Sie sind die Träger der physischen Kraft; häufige Bewegung bildet[88] sie aus, stärkt, kräftigt sie, gibt ihnen mehr Spannkraft, so daß sie wohthätig auf alle übrigen Functionen des Körpers wirken. Trägheit erschlafft sie. Beim Naturmenschen sind sie kräftiger, als beim verfeinerten. Schon die Griechen, diese Kenner der Körperschönheit, fühlten den verderblichen Einfluß der Kultur, wenn sie den Menschen von natürlichen Anstrengungen zurückhält, und suchten durch künstliche Uebung der Körperkräfte diesen Nachtheil auszugleichen. Daher ihre Gymnasien, wo kriegerische, athletische und medicinische Gymnastik die Kräftigkeit und Schönheit der Generation erhalten sollte. An vielen solchen Uebungen nahm das weibliche Geschlecht, namentlich in Sparta (s. Griechenland, Frauen), mit Theil, und wir stehen noch heute mit entzücktem Erstaunen vor den edelschönen, kräftigen Steingebilden atheniensischer und spartanischer Jungfrauen. Und warum sollte nur der Mann sich erkräftigen und nicht das Weib, die Trägerin der künftigen Generation, von deren Kraft und Gesundheit das Wohl der Nachkommenschaft abhängt? Eine unglückliche Richtung der Kulturbegriffe reißt einen großen Theil der Frauen in das ihm fremdartige Bereich männlich-geistiger Ausbildung und Beschäftigung, und weist ihm auch bei den sogenannten feinern Arbeiten, einen Wirkungskreis an, der, was die Ausbildung und Erkräftigung des Körpers betrifft, fast an Unthätigkeit grenzt. Viele unserer Jungfrauen führen im vollsten Sinne ein abgeschlossenes Stubenleben; nur auf Bällen machen sie sich zuweilen Bewegung, die aber wegen ihrer großen Heftigkeit mehr nachtheilig ist. Für den Knaben gibt es Uebungen, wie Reiten, Schwimmen, Fechten, Laufen und viele andere Muskelanstrengungen; die Erkräftigung des Körpers bei dem jungen Mädchen aber wird ganz vernachlässigt, ja durch beengende Kleider sogar verhindert. Dieser Mangel an Muskelanstrengung macht das Blut im Innern stocken und langsamer fließen, wodurch die Hauternährung und die Ausdünstung vermindert, das Colorit fahl, krankhaft wird. Die[89] vorhandene Nervenkraft wird nicht verbraucht, häuft sich, erzeugt Krämpfe und andere nervöse Leiden. Die Verdauung wird trage und schwach, namentlich leidet die äußere Brust, deren kräftige Bildung sehr von der Ernährung des unter ihr liegenden Armbrustmuskels abhängt. Wenn auch die Sitte jetzt den Mädchen und Jungfrauen die stärkern Uebungen der Gymnastik verbietet, so erlaubt sie ihnen doch eine daraus entspringende modificirte, medicinische Gymnastik. Man übe die kleinen Mädchen frühzeitig, unausgesetzt und immer steigend in jeder Art gymnastischer Anstrengung, lasse sie bis zu hundert Malen über eine vorgehaltene Schnur springen, mit den Händen an Stricken hängen, an Strickleitern ohne Beihilfe der Füße hinaufklettern, sich selbst schaukeln, mit ausgestreckten Armen Lasten tragen und balanciren, den Körper nach allen Richtungen hin und her bewegen, Ball- und Kugelspielen, Wettlaufen und dergleichen Uebungen mehr verrichten, wie sie Werner in seiner verdienstvollen Schrift über die weibliche Gymnastik einzeln angibt und beschreibt. Ein Versuch wird die ängstliche Mutter über den Erfolg dieser Anstrengungen belehren, ihre Tochter wird zusehens an frischem Aussehen, Kraft, Wohlgestalt, Feuer und Lebendigkeit gewinnen, weniger unter den Einflüssen des Wetters leiden und seltener kränkeln. Wenn Abhärtung (s. d.) und Gymnastik Hand in Hand gehen, wenn schwächliche Mütter voll ängstlicher Sorgfalt nicht länger die zarte Tochter der frischen Luft und einer vernünftigen Körperbewegung entziehen; dann werden alle unsre Jungfrauen blühen in der Fülle ihrer Gesundheit, in kräftiger Schöne zur Freude ihrer Mütter und ihrer künftigen Gatten. Die nervenschwachen, krankhaft blassen, reizbaren, schnell verwelkenden Gestalten werden verschwinden, und eine schöne, gekräftigte Generation wird folgen. Sehr viele Leiden des schönen Geschlechtes, namentlich die Nervenschwäche und die Unregelmäßigkeit gewisser Functionen werden nur durch die oben angedeutete Lebensweise, durch häufige, freie Bewegung, [90] durch Kraftanstrengung und Muskelübung, dauernd beseitigt werden.
D.
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