Gymnastik

[805] Gymnastik (v. gr.), 1) die Kunst, durch regelmäßige Leibesübungen dem Körper Gelenkigkeit, Kraft u. Gesundheit zu verschaffen. A) Die Übungen u. Kämpfe bei den Alten waren: a) Wettlauf (Stadion), welcher zuweilen in Waffen ausgeführt wurde; wenn das Stadium zweimal durchlaufen wurde, hieß er Diaulos, wenn er sich auf mehr- (bis 24-) maliges erstreckte, Dolichos; b) Sprung (Halma); c) Ringen (Pale), die Hauptart; d) Diskuswerfen (Diskobolia); e) Speerwerfen (Akoniismos); diese fünf hießen zusammen Pentathlon; f) Faustkampf (Pygme); Faustkampf u. Ringen vereinigt hieß Pankration, s.d. a. unt. Kampfspiele. Die Übungen geschahen nackt, die Leiber wurden dazu von den Alipten gesalbt, damit sie schmeidiger waren; die zu diesen Übungen bes. eingerichteten Räume hießen Gymnasien (s.d.), daher der Name. B) Die moderne G. geschieht zur Erleichterung u. Vervollkommnung der Übungen nach bestimmten Regeln. Gegenstände der G. sind: a) das Heben, Tragen, Ziehen; b) mit Anstand u. Leichtigkeit gehen; c) das Laufen, mit Rücksicht auf Schnelligkeit u. Ausdauer; d) das Springen in die Höhe, Weite od. Tiefe, mit od. ohne Springstock; e) das Ringen, um den Gegner zu Boden zu werfen, od. seinen Händen[805] etwas zu entreißen; f) das Werfen in die Höhe, Weite od. nach einem Ziele, kunstlos mit Steinen, od. mit der Schleuder, dem Wurfspieß; g) das Klettern an einem Seile, an einer Stange, od. auch auf Bäumen u. in felsigen Gegenden; h) Balanciren des Körpers, z.B. beim Stehen auf Einem Beine, beim Stehen od. Gehen auf einem Balken, einem Seile, beim Stelzen- u. Schlittschuhlaufen, beim Wippen; i) Tanzen; k) Schwimmen; l) Reiten; m) Fechten mit dem Rapiere; auch gehört n) die Übung der einzelnen Sinne u. der Sprachorgane zur G. Unter den Alten war die G. am meisten ausgebildet bei den Griechen, u. diese theilten dieselbe in die zum Krieg tüchtig machende (kriegerische G.), die Gesundheit erhaltende (medicinische, auch diätetische G.) u. die Athleten bildende (athletische G.). Bei der Verweichlichung in neuerer Zeit, wurde das Bedürfniß körperlicher Übungen als Gegenmittel von Neuem gefühlt, u. die G. wurde von Ärzten u. Erziehern empfohlen, z.B. von Stuve, J.P. Frank, Rousseau, Campe. In den Kreis des Kinderunterrichts zog sie zuerst Basedow im Philanthropin, 1776. Mit Salzmann kam sie nach Schnepfenthal u. wurde vorzüglich durch Gutsmuths systematischer eingerichtet. Jahn gab um. 1810 einem Theil der G. den Namen Turnkunst (s.d.). Sie umfaßte die gymnastische gröbere Ausbildung des Körpers, s. B) das oben unter a), b), d, e), g), h) Angeführte, schloß jedoch die übrigen Übungen gänzlich aus. Er trieb dies Turnen nach dem Befreiungskriege ins Große, bis es aus politischer Rücksicht seit 1818 verpönt u. nur im Einzelnen noch geübt wurde. Die G. lag nun in Deutschland gänzlich darnieder, während sie in Frankreich zu hohen Ehren kam, indem der ehemalige spanische Oberst Amoros sie in Paris einführte, den königlichen Garden regelmäßig Lehrstunden gab u. selbst beim weiblichen Geschlecht sie, so weit sie diesem Geschlecht entsprach, in Aufnahme brachte. Auch in England fand die G. durch Völker seit 1823 u. in Nordamerika durch Beck 1825 Eingang. Nach 1830 u. bes. nach 1848 ist die G. an vielen Schulen, Gymnasien, in Schullehrerseminarien u. auch in Blindenanstalten, unter dem Namen Turnen, wieder eingeführt worden. Auch haben Ärzte, z.B. Schreber in Leipzig, die G. wissenschaftlich zu begründen gesucht. Vgl. Vieth, Encyklopädie der Leibesübungen, Berl. 1794 f., 2 Bde.; Gutsmuths, G. für die Jugend, Schnepfenth. 1796 u. 1804, 3. Aufl. von Klumpp, Stuttg. 1845; Bornemann, Lehrbuch der G., Berl. 1814; Young, Elementargymnastik, Mail. 1827; Werner, Das Ganze der G., Meißen 1834; Schreber, Kinesiatrik od. die gymnastische Heilmethode, Lpz. 1852; Derselbe, Ärztliche Zimmergymnastik, ebd. 1855, 5. Aufl. 1856. 2) Christliche G. (Disciplina), ein Theil der Ascetik, ist der Inbegriff aller Vorschriften u. Mittel, welche bei Entfernung der Sünde u. bei Übung der Tugend zu benutzen sind. Schon die griechischen Sittenlehrer brauchten das Wort G. von sittlichen Übungen. Der Apostel Paulus empfiehlt die Übung in der Frömmigkeit. In der Ethik findet die G. ihre Stelle unter den Tugendmitteln. Vgl. Ernesti, De disciplina christiana. Bei den Indiern gab es eine besondere Klasse weiser Männer, Gymnosophisten (s.d.) genannt, welche dergleichen sittliche Übungen förderten.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 7. Altenburg 1859, S. 805-806.
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