[215] Heilkunde. Die Kunst, Krankheiten zu heilen, erfordert eine große Menge von Hilfswissenschaften. Sie ist eine vollkomene Kulturgeschichte der Menschheit, und seit den ältesten Zeiten haben sich die größten Geister ihrem segenbringenden Geschäfte geweiht; ja sie ward sogar zum Geschäfte der Götter erhoben. Jehova hieß der Arzt des auserwählten Volkes, Moses, Christus, die Erzväter und Propheten, die Götter Griechenlands waren Aerzte. Fürsten studirten und übten diese Kunst, der große Kaiser Friedrich war einer der gelehrtesten Naturforscher und Kenner der Schriften der alten Aerzte. In den ältesten Zeiten war die Heilkunde mehr [215] Chirurgie und befand sich bei dem Mangel an Erfahrung oft in den Händen Unwissender, die sie häufig unter abergläubischen Ceremonien, Besprechungen, Zauberformeln etc. ausübten. Aus den Tempeln heidnischer Götter, die meist an heilsamen Quellen lagen, kam die erste festere Grundlage der Heilkunst. Der große Hippokrates sammelte zuerst das Bekannte und vererbte das Wissen seiner Zeit, bereichert mit seinen eigenen Erfahrungen und Beobachtungen, auf uns. Noch jetzt ist sein Werk ein heiliges Vermächtniß und die Urquelle der Weisheit aller ärztlichen Erfahrungen. Nach ihm sank leider die Wissenschaft durch die philosophischen Ansichten der Zeit und einseitige Systembildungen. Unter Galen flammte sie 160 n. Chr. wieder auf, ging aber wieder unter, da sich der Aberglaube, das Ceremonien- und Beschwörungswesen ihrer bemächtigte. Im folgenden Jahrhunderte glänzten arabische Aerzte, als Pfleger der Kultur. Avicenna's Werk blieb Jahrhunderte lang das einzige Lehrbuch über Arzneiwissenschaft. Karl der Große legte Schulen für Heilkunde in seinen Klöstern an; Friedrich II. erhob sie mächtig, und die Benedictiner zu Salern ließen viele berühmte Aerzte aus ihrer Mitte hervorgehen. Bis zum 15. Jahrhundert mehrten sich die thätigen Geister, obgleich noch gehemmt durch die Dunkelheit der Hilfswissenschaften. Eine wichtige Rolle spielte Paracelsus, welchem die Arzneikunde, trotz seines Charlatanismus, vielfache Entdeckungen verdankt. Vesalius und seine Nachfolger verewigten sich im Gebiete der Anatomie. Das 16. Jahrhundert ist reich an Beobachtungen der Natur, der Krankheiten und der einzelnen Lebensprocesse. Im 17. Jahrhundert belebte der Philosoph Baco das medicinische Wissen, und Harvey's große Entdeckung des Blutumlaufs schuf erst das Licht zur Beleuchtung unsers Körperlebens und gestaltete die Heilkunde ganz anders. Zahllose Entdeckungen erhoben die Kunst nach und nach zu der Höhe, welche sie jetzt erreicht hat. Das 18 Jahrhundert machte im Gebiete der[216] forscht, Pflanzen, Thiere, Mineralien in ihrer Beziehung auf Heilkraft. Unsterbliche Namen nennt die Geschichte dieses Zeitraumes. Hofmann gab den Aerzten sein mechanisch-dynamisches System, seinen Sternenäther und begeisterte selbst Laien; Stahl schuf das physische System, Haller (s. d.), dieser ungeheure Wisser, stellte die Reizbarkeit, Unzer und Cullen die Nerventheorie, Brown die Sthenie und Asthenie auf, ein System, das Girtanner als sein eigenes System directer und indirecter Schwäche nach Deutschland verpflanzte und Röschlaub zur Erregungstheorie umgestaltete. Di neueste Zeit hat Broussais Blutsaugesystem und die homöopathische Heilkunde geboren.
D.