Rohgutbahnhöfe

[463] Rohgutbahnhöfe oder Produktenbahnhöfe, selbständige Bahnhöfe oder diejenigen Teile der Güterbahnhöfe, auf welchen der Verkehr mit Rohgütern sich abwickelt, d.h. solchen Waren, die in ganzen Wagenladungen, meist ohne Verpackung, versandt werden, z.B. Steine, Erze, Erden, Kohlen, Holz, Feldfrüchte u.s.w.; vgl. Bahnhöfe.

Solche Anlagen bestehen in der Hauptsache aus längeren, meist stumpf endigenden Verladegleisen, entlang denen gut befestigte und entwässerte, unbedeckte Ladestraßen angelegt und die mit Gleiswagen, Lademaßen und Kranen ausgestattet sind. An einzelnen Ladegleisen können auch Laderampen zur bequemeren Verladung bestimmter Gattungen von Waren, z.B. Bauholz, Steinen u.s.w., erbaut werden. Die Ladegleise werden meist zu je zweien (Abstand 4,5 m) zusammengelegt, und zwischen je zwei solcher Gruppen wird eine Ladestraße mit einem Gleisabstand von 12–18 m angeordnet. Die Ladestraßen werden in die Höhe der Schienenober- oder -unterkante oder auch 12–18 cm über die Schiene gelegt, je nach Höhe der ortsüblichen Fuhrwerke, und bei schwächerem Verkehr chaussiert, bei stärkerem aber besser gepflastert, stets mit genügendem Seitengefälle. Solche Gleisgruppen mit zwischenliegenden Ladestraßen wiederholen sich je nach Verkehrsumfang. Sind die Gleise sehr lang, so werden manchmal in Abständen von 80–120 m Ueberfahrten zwischen den einzelnen Ladestraßen hergestellt, indem man die Ladegleise auf 6–8 m Breite einpflastert. Die Ladestraßen sind mit ihren Zufahrten so zu gestalten, daß die Rollfuhrwerke alle Punkte bequem erreichen und verlassen und auch wenden können. Eine Endverbindung der Ladegleise durch Drehscheiben oder Endweichen und die Zwischenlegung eines dritten Gleises für den Rücklauf der Wagen (wie früher üblich) ist zwecklos, da deren Benutzung nur für wenige Wagen ausführbar und viel zu zeitraubend ist. Die Rohgutwagen werden täglich ein- oder zweimal zu bestimmten Zeiten mit einer Verschiebemaschine herausgezogen und wieder eingesetzt. Die noch nicht vollständig beladenen oder entladenen Wagen werden nach Ausscheidung der fertigen wieder eingeteilt und frische Wagen[463] hinzugestellt. Während der Dauer dieses Geschäfts ruht das Verladen. Damit die Unterbrechung möglichst kurze Zeit dauert, ordnet man in nächster Nähe Gleise an, in welche die fertigen Wagen rasch eingestellt werden können. Am besten legt man hierzu zwischen die zwei Ladegleise ein drittes Gleis ein und verbindet, damit das Verladen nicht auf sämtlichen in den Ladegleisen stehenden Wagen gestört wird, dieses Gleis in Abständen von 100–150 m mit den beiden Ladegleisen, so daß die Ladegleise in einzelnen Abteilungen geleert und gefüllt werden können, wobei das mittlere Gleis als Zufahrgleis und als Abstellgleis für die fertigen Wagen dient. Aus dem Bestreben, das Verladegeschäft nicht zu unterbrechen, ist eine Anordnung hervorgegangen, bei welcher die Ladegleise von einem Zufahrgleis fischgratartig nach beiden Seiten abzweigen (vgl. die nebenstehende Figur). In jedem Verladegleis können gewöhnlich nur vier Wagen aufgestellt und diese können herausgenommen werden, ohne das Ladegeschäft in den andern Gleisen zu stören, so z.B. in Freiburg, Basel u.a. O. Aus demselben Grunde sind, besonders in Westdeutschland, auch Anordnungen, bei welchen die Verladegleise strahlenförmig von einer Drehscheibe ausgehen, ausgeführt worden. Beide Anordnungen gehen in dem Bestreben, das Verladegeschäft nicht zu stören, wohl zu weit, und bei der Drehscheibenanordnung ist es außerdem umständlich, die Wagen in die Gleise und aus den Gleisen zu bringen. Es dürfte vollauf genügen, die Ladegleise so anzuordnen, daß die Wagen in Abteilungen zu 10 bis 15 hinein- und herausgebracht werden können. Die Drehscheibenanordnung eignet sich aber zur Ausnutzung seitlich gelegener Plätze u. dergl. Die Anordnung und der Umfang der Ladegleise ist ganz den örtlichen Verhältnissen anzupassen. Bei kleinerem Verkehr werden die Rohgutgleise unmittelbar dem Stückgüterbahnhof angefügt und mit ihnen die Einrichtung zum Verladen von Vieh und Wagen verbunden. Der Rohgutverkehr großer Städte pflegt dagegen so bedeutend zu sein, daß für ihn besondere, oft sehr ausgedehnte Rohgutbahnhöfe angelegt werden müssen. Unter Umständen werden sogar für einzelne Waren besondere Bahnhöfe notwendig, z.B. Kohlen-, Kartoffelbahnhöfe (London) u.s.w., die dann mit Vorrichtungen zum Verladen dieser Waren versehen werden (z.B. Kohlensturzgerüste, Kohlenrutsche u.s.w.). – Bei sehr teuerm Grunderwerb hat man auch wohl solche Bahnhöfe in zwei Geschossen übereinander angelegt, indem ein in die Erde versenkter zweiter Bahnhof mittels Hebevorrichtungen für ganze Eisenbahnwagen zugänglich gemacht wird, so in London (St. Pancras) und in Paris (St. Lazare); s. [1], 1888, S. 57.[464]


Literatur: [1] Organ für die Fortschritte des Eisenbahnwesens, – [2] Handbuch der Ingenieurwissenschaften, Bd. 4, 1. Abt., Leipzig 1907. – [3] Eisenbahntechnik der Gegenwart, Bd. 2, 3. Abschn., Wiesbaden 1899.

H. Kübler.

Badischer Güterbahnhof Basel (Maßstab 1 : 3000).
Badischer Güterbahnhof Basel (Maßstab 1 : 3000).
Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 7 Stuttgart, Leipzig 1909., S. 463-465.
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