[175] Ersatzbau. Die schon gegen Ende des Krieges, besonders aber nach dessen unglücklichem Ausgang eingetretene Kohlen- und Verkehrsmittelnot hat dazu geführt, daß zwei der hauptsächlichsten, durch lange Erfahrung erprobten Baustoffe, nämlich Backstein und Zement, nur äußerst schwer noch beschafft werden können. Dazu kommt, daß durch die außerordentliche Steigerung aller Preise und Löhne das Bauen in ungeahnter Weise verteuert worden[175] ist. Trotz dieser Schwierigkeiten läßt sich aber der Bau von Kleinwohnungen und Siedlungen nicht hinausschieben, da die durch den Krieg hervorgerufene Wohnungsknappheit dringend Abhilfe verlangt. Man sah sich deshalb genötigt, nach Ersatzbaustoffen zu suchen, welche möglichst wenig Kohle und tunlichst geringe Förderweiten benötigen, also womöglich auf der Baustelle selbst oder in deren Nähe gewonnen oder hergestellt werden können, und Hand in Hand damit Ersatzbauweisen zu ersinnen, die unter möglichst vollständiger Ausnutzung der Tragfähigkeit der einzelnen Baustoffe den Bedarf an letzteren auf ein Mindestmaß herabmindern, ohne daß jedoch dabei die nach wie vor an jeden Bau, insbesondere an Wohnbauten, zu stellenden technischen und gesundheitlichen Anforderungen zu kurz kommen.
Als solche Baustoffe kommen in Frage: Ungebrannter gedämpfter Lehm als Ersatz für Backsteine bei einfacheren Gebäuden; Bruchsteine für Kellergewölbe und Hausfundamente sowie zur Ausfachung von Riegelwänden, als Ersatz für Stampfbeton bezw. Backstein; Lehm-, Beton-, Schlacken-, Kalksand- und Schwemmsteine als Ersatz für Backsteine im aufgehenden Mauerwerk; Hochofenzement, der von den Hüttenwerken ohne nennenswerten Mehrverbrauch an Kohle hergestellt werden kann, bei Hochbauten als Ersatz für den viel Kohle erfordernden Portlandzement, der dem Eisenbeton-, Eisenbahn- und Wasserbau vorbehalten bleibt; Sägmehl, Torf, Bims, Schlacken u.s.w. als Füllkörper für Hohlräume; endlich Holz, Eisen oder Eisenbeton verwendet in Form von Fachwerkgerippen, je unter äußerster Materialeinschränkung sowie mit Wandverkleidungen aus Sperrholzplatten, Tekton-, Zement- oder Gipsdielen, Torfpapierplatten, Holzmatten, Wellpappe, Schindeln u.s.w.
Unter Benutzung dieser Baustoffe ergeben sich gegenüber dem seither vorzugsweise angewandten steinernen Massivbau folgende drei Arten von Ersatzbauweisen: Die Stampf- oder Gußbauweise, die Steinbauweise und die Fachwerkbauweise.
1. Die Stampf- oder Gußbauweise ist dadurch gekennzeichnet, daß die ganze Wand aus einem Stück besteht. Der Lehmstampfbau, unter Zusatz von Faserstoffen sachgemäß ausgeführt, zeichnet sich durch gute Wärmehaltung sowie völlige Trockenheit aus und ist namentlich da am Platz, wo das Material in nächster Nähe gewonnen werden kann, eignet sich aber naturgemäß bloß für einfachere, besonders ländliche Gebäude. Schlackenstampfbeton läßt sich in der Nähe von Gasanstalten und größeren Fabriken mit viel Schlackenrückständen vorteilhaft anwenden, doch muß die Schlacke frei von Schwefel, Säuren u.s.w. sein. Gußbeton mit Zusätzen von porösen Stoffen, in Deutschland bisher noch wenig angewandt, erfordert hohe Schalungskosten und schließt die Gefahr der späteren Rißbildung infolge von Wärmeschwankungen nicht aus.
2. Die Steinbauweise. Hier wird entweder das seither übliche Vollsteinmauerwerk ausgeführt oder aber werden Hohlräume gebildet, die den doppelten Zweck haben, einerseits an Material zu sparen, andererseits wärmehaltend zu wirken, a) Bei Verwendung von Vollmauerwerk werden statt der gebrannten Ziegel ungebrannte Lehmsteine, Kalksandsteine, natürliche oder Hochofenschwemmsteine oder auch Schlackensteine verwendet. Bei den Lehmsteinen muß die geringere Druckfestigkeit berücksichtigt, bei den Kalksandsteinen die mangelhafte Porosität durch Anordnung einer besonderen Wärmeschutzschicht ausgeglichen werden; bei den im übrigen vorzüglichen natürlichen Schwemmsteinen ist die Beschränktheit des Vorkommens von[176] Bims und Traß in Rechnung zu nehmen, b) Das Hohlmauerwerk wird entweder dadurch hergestellt, daß die einzelnen ganz durchbindenden Steine mit senkrechten oder wagrechten Hohlräumen ausgeführt werden, oder dadurch, daß man die entsprechend geformten Steine zu bloßen Wandschalen zusammensetzt, zwischen denen Hohlräume übrigbleiben. Beispiele ersterer Art finden sich in Fig. 1, 2 und 3, wobei zur Erhöhung der Festigkeit noch senkrechte oder wagrechte Eisen eingelegt werden können und die Wärmehaltung der Mauer außer den Hohlräumen entweder noch durch verschiedenartige Herstellung der Innen- oder Außenseite des Steins aus Kiesbeton bezw. Schlackenbeton oder durch Anbringen einer besonderen Wärmeschutzschicht oder durch Herstellung des ganzen Steins aus Schlacken- oder porösem Bimsbeton erreicht wird. Zur Herstellung der Wand aus zwei gesonderten Schalen, die nur durch Querstege miteinander verbunden bezw. gegeneinander versteift werden, dienen entweder einfache Plattensteine oder sogenannte Winkel- und Haken-, U-, ⊤- oder -Steine von nachstehenden Formen:
Sie werden in der Regel für die Außenwand aus Kies-, für die Innenwand aus Schlackenbeton u.s.w. hergestellt und zur Vermeidung einer unmittelbaren Wärmeübertragung häufig mit offen gelassenen Querfugen derart zusammengesetzt, daß zwischen beiden Wandschalen größere Hohlräume übrigbleiben (Fig. 4, 5 und 6).
In all diesen Fällen müssen zur Vermeidung eines senkrechten Luftumlaufs, der abkühlend wirkt, durch Einschaltung von wagrechten Querabschlüssen durchgehende senkrechte Hohlräume vermieden werden (Fig. 7). In noch vollkommenerer Weise wird dies erreicht und zugleich der durch Strahlung entstehende Wärmeverlust beseitigt durch Ausfüllung der Hohlräume mit einem schlechten Wärmeleiter (Torf, Sägmehl u.s.w., s. oben). Mit Rücksicht auf die Standfestigkeit sind bei mehrgeschossigen Bauten in den Ecken, je nachdem auch innerhalb der Wände, knicksichere Stiele aus Eisenbeton einzustampfen sowie unter den Balkenlagen durchgehende Eisenbetonschichten anzuordnen. Wo offenbleibende Querfugen gewählt werden, sind zweckmäßig Sicherungen durch eiserne Querbänder einzulegen.
3. Die Fachwerkbauweise wird als Holz-, Eisen- und Eisenbetonfachwerk ausgeführt, a) Der Holzfachwerkbau in seiner alten Form mit ausgemauerten Riegelfächern[177] hat den Nachteil der Wärmedurchlässigkeit und Luftundichtigkeit sowie eines Harken Holzverbrauchs, wird daher von vielen Seiten abgelehnt. Dagegen kann ein tragendes Holzgerüste in Verbindung mit beiderseitiger Verschalung aus Bacculagewebe, Tektondielen, Schlackenbetonplatten u.a. sowie unter Ausfüllung des Zwischenraums mit schlechten Wärmeleitern eine den Anforderungen der Jetztzeit entsprechende Verwendung finden. Infolge des geringen Gewichts dieser Stoffe lassen sich die Holzstärken verringern und die Stiele aus Rundhölzern herstellen (vgl. Fig. 8). Eine Ersetzung der Stiele durch bloße Bretter oder Latten, die mit Eisenteilen zusammengehalten werden, dürfte jedoch nur für vorübergehende Bauwerke zulässig sein, für Dauerbauten nicht genügend Sicherheit bieten, b) Beim Eisenfachwerk wird das Traggerüst gewöhnlich aus gekantetem Eisenblech zusammengesetzt. Diese Bauweise hat während des Krieges wegen ihrer raschen Herstellbarkeit gute Dienste geleistet und läßt sich auch statisch einwandfrei durchbilden, birgt jedoch die Gefahr des Rostens der Eisenteile sowie bei durchgehendem Eisenquerschnitt den Nachteil der Schwitzwasserbildung im Innern in sich. Sie ist daher mit Vorsicht zu verwenden, zudem dürfte sie schon wegen der jetzigen Eisenknappheit in den nächsten Jahren kaum ernstlich in Betracht kommen, c) Das Eisenbetonfachwerk besteht aus einem vollständig in sich versteiften Traggerüst aus Eisenbeton, das entweder zwischen Holzschalungen hergestellt und in verschiedenartigen Ausführungen mit Wandplatten aus Schlacken-, Bims-, Holzbeton oder mit Gipsdielen u.s.w. verkleidet wird, oder aber in besonders geformte Säulen- und Trogsteine eingestampft wird und damit in die früher genannte Hohlraumbauweise mit ausgefüllten Eck- und Wandpfosten übergeht.
Allgemein ist über die besprochene »Ersatzbauweise« zu bemerken, daß sie sich im großen ganzen nur für den Flachbau, d.h. für Herstellung von Kleinwohnungen mehr ländlicher Art eignet. Die Anwendung auf mehrstöckige Bauten kann, soweit sie überhaupt zulässig erscheint, stets nur mit großer Sorgfalt und unter besonderen Vorsichtsmaßregeln geschehen, um so mehr als längere Erfahrungen mit den meisten dieser Bauweisen noch nicht vorliegen. Eine Weglassung des Außenputzes dürfte bei derartigen Bauten kaum in Frage kommen; jedenfalls muß bei Verwendung wasseranziehender, poröser oder holzartiger Stoffe durch einen guten Putz oder entsprechenden Anstrich ein Eindringen von Feuchtigkeit unbedingt verhindert werden. Eine Kostenersparnis im einzelnen (z.B. Gewinnung der Baustoffe unmittelbar bei der Baustelle, Anwendung eines größeren Steinformats u.s.w.) kann zwar nicht in Abrede gestellt werden,[178] häufig aber dürfte die auf der einen Seite erzielte Ersparnis durch erforderlich werdende kostspieligere Einrichtungen auf der anderen Seite (z.B. besondere Wandverkleidung, Putz, Füllkörper u.s.w.) wieder wettgemacht werden.
Literatur: Ersatzbauweisen, Druckschrift Nr. 2 des Reichs- und preußischen Staatskommissars für das Wohnungswesen, Berlin 1919. Deutsche Bauzeitung 1919, Nr. 4 u. 5. Mitteilungen für Zement-, Beton- und Eisenbetonbau 1919, Nr. 4, 5, 7. Gegenwartsfragen des Kleinwohnungsbaus, Wayß & Freytag, A.-G., Neustadt a. H., Berlin. Eine neue Sparbauweise aus Betonhohlsteinen, Luftschiffbau Zeppelin, G.m.b.H., Friedrichshafen. Heim u. Scholle, Zentralblatt für das gesamte deutsche Siedlungswesen, Berlin 1919, Nr. 19. Baurundschau 1919, Heft 17/18. H., W. u. A. Eurich, Eine Sparbauweise, Frankfurt a.M. 1919.
H. Werner.
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