Ausdrucksbewegungen

[134] Ausdrucksbewegungen heißen im weitesten Sinn alle äußern körperlichen Vorgänge, in denen sich seelische Zustände abspiegeln, und aus denen demgemäß die letztern erschlossen werden können. Das genaue (experimentelle) Studium der einschlägigen Erscheinungen hat gelehrt, daß fast jede seelische Regung von einer charakteristischen körperlichen Reaktion begleitet wird; so beeinflußt der Wechsel der Gefühle (seien sie sinnlicher oder geistiger Art) beständig Puls- und Atmungstätigkeit, mit den Vorstellungen verbinden sich schwache Bewegungsantriebe, die zu dem Vorstellungsinhalt in Beziehung stehen (eine vorgestellte Tätigkeit suchen wir z. B. unwillkürlich nachzumachen, ein Wort auszusprechen) etc. Am augenfälligsten sind die A. bei den Affekten. Zu den Störungen des Pulses und der Atmung treten hier, als A. im engern Sinne, die mimischen Bewegungen der Gesichtsmuskeln (Mienen) und die pantomimischen der Gliedmaßen und des Rumpfes (Gebärden) hinzu, von denen die erstern vorwiegend Gefühls-, die letztern Vorstellungsäußerungen darstellen, indem sie auf den Gegenstand des Affekts hinweisen (die ausgestreckten Arme des Sehnsüchtigen) oder diesen bez. mit ihm zusammenhängende Vorgänge durch Bewegungen andeuten (die geballte Faust des Zornigen). Alle A. sind ursprünglich unwillkürlich, können aber bei gehöriger Übung sowohl gehemmt als gesteigert, als auch künstlich nachgeahmt werden; hierauf beruhen die Künste der Mimik und Pantomimik (s. d.). Mit den dauernden Spuren, welche die A. im Gesicht und Haltung zurücklassen, und aus denen die Geistes- und Gemütsverfassung des Individuums erschlossen werden kann, beschäftigt sich die Physiognomik. Aus der natürlichen Gebärdensprache hat sich, durch Bevorzugung der dabei auftretenden Lautäußerungen, wahrscheinlich auch die eigentliche Sprache entwickelt. Vgl. Lehmann, Die körperlichen Äußerungen seelischer Zustände, 1. Teil (deutsch, Leipz. 1899).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 2. Leipzig 1905, S. 134.
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