Reaktion

[646] Reaktion (lat.), Gegenwirkung, im Gegensatz zu Aktion. Die beiden Wörter bezeichnen die Wechselwirkung alles Körperlichen auseinander. Die Gleichheit von Wirkung und Gegenwirkung (Aktion und R.) ist eins der Grundgesetze der Mechanik. – In der Physik bezeichnet R. den Rückstoß ausströmender Flüssigkeiten oder Gase. Befindet sich in der Seitenwand eines mit Flüssigkeit gefüllten Gefäßes eine Ausflußöffnung, so vermindert sich der Druck der Flüssigkeit auf diese Wand um denjenigen Anteil, der auf den Querschnitt der Öffnung treffen würde, während die gegenüberliegende Wand noch dem vollen Druck ausgesetzt ist. Es bleibt also ein Überschuß von Druck auf letztere Wand übrig, der dem Druck, der die Flüssigkeit ausströmen macht, als Gegenwirkung (R.) gleichkommt und das Gefäß, wenn dasselbe beweglich, z. B. an einer Schnur, aufgehängt ist, in einer der Ausströmung entgegengesetzten Richtung zurücktreibt. Hierauf beruht das Segnersche Reaktionsrad (s. Abbildung); an einem um eine lotrechte Achse drehbaren Gefäß (A) sind unten wagerechte Ansatzröhren mit seitlichen Öffnungen angebracht; gießt man Wasser in das Gefäß, so dreht sich dieses in der den ausfließenden Wasserstrahlen entgegengesetzten Richtung um seine Achse. In seiner einfachsten Form dient es als schottisches Drehkreuz zur gleichmäßigen Verteilung einer Flüssigkeit über eine Fläche, z. B. des Essigguts in den Essigbildnern, zum Besprengen der Rasen etc., in der verbesserten Form bildet es die sogen. schottische Turbine (s. Wasserrad). –

Segners Reaktionsrad.
Segners Reaktionsrad.

Das Luft- oder Dampfreaktionsrad wurde von Heron erfunden und stellt einen Vorläufer der Dampfturbine dar. – In der Chemie jede chemische Einwirkung eines Körpers auf einen andern, speziell eine solche, die in der chemischen Analyse zur Erkennung eines Körpers benutzt werden kann, wie z. B. die Fällung des Silbers durch Chlorwasserstoff. Alkalische oder saure R., die Eigenschaft eines Körpers, rotes Lackmuspapier zu bläuen, bez. blaues zu röten. – In der Psychologie im allgemeinen jede auf einen äußern Reiz hin erfolgende Gegenwirkung (insbes. Bewegung) eines beseelten Organismus. Dann hauptsächlich, im Gegensatz zum Reflex (s. Reflexerscheinungen), die durch psychische Motive bestimmte willkürliche Gegenwirkung. Die mittels eines Chronoskops (s. d.) mögliche Messung der Reaktionszeit, d. h. der Zeit zwischen der Einwirkung eines (Licht-, Schall- oder andern) Sinnesreizes und einer daraufhin mit Absicht ausgeführten Bewegung (z. B. Niederdrückung eines Tasters), erlaubt es, Schlüsse zu ziehen in bezug auf die Zeitdauer der zwischen beiden Momenten liegenden teils physiologischen, teils psychologischen Vorgänge und bildet die Grundlage für alle psychologischen Zeitmessungen. Der einfachste Fall liegt dann vor, wenn die durch einen einfachen Sinnesreiz von bekannter Beschaffenheit ausgelöste Empfindung sofort registriert wird; doch setzt sich schon dieser einfache Prozeß und dem entsprechend auch die einfache Reaktionszeit aus mehreren Teilen zusammen und zwar (nach Wundt) aus 1) der Leitung der physiologischen Erregung vom Sinnesorgan zum Gehirn; 2) dem Eintritt des Eindrucks ins Bewußtsein (Perzeption); 3) dem Eintritt in den Blickpunkt der Aufmerksamkeit (Apperzeption); 4) der zentralen Willenserregung und 5) der Leitung der letztern bis zu den Muskeln und dem allmählichen Anwachsen der Muskelenergie. Diese Bestandteile hat man bis jetzt experimentell nicht zu trennen und einzeln zu bestimmen vermocht. Die Dauer des ganzen Vorganges ist aber erheblich kürzer, wenn die Aufmerksamkeit des Versuchsindividuums auf die auszuführende Bewegung, als wenn sie auf den erwarteten Eindruck gerichtet ist (wahrscheinlich weil im erstern Falle die Bewegung ohne psychische Vermittelungen ganz automatisch im Momente der Perzeption des Eindrucks erfolgt), und man spricht deshalb im erstern Falle von muskulärer[646] oder abgekürzter, im zweiten von sensorieller oder vollständiger R. (jene dauert durchschnittlich 0,1 -0,2 Sek., diese 0,2–0,3 Sek.). Zusammengesetzte Reaktionsvorgänge entstehen, wenn zwischen Eindruck und R. noch weitere psychische Akte eingeschaltet werden. Wird z. B. die Festsetzung getroffen, daß erst dann reagiert werden soll, wenn ein vorher nicht bekannter Eindruck seiner Beschaffenheit nach erkannt ist (z. B. eine Farbe, ob weiß, grün etc.), so kommt zu der einfachen Reaktionszeit noch die Erkennungszeit, sollen auf verschiedene Eindrücke nach Vereinbarung verschiedene Bewegungen (z. B. mit verschiedenen Fingern) erfolgen, so kommt außerdem noch die Wahlzeit hinzu; soll endlich z. B. nach Zurufung eines Wortes erst dann reagiert werden, wenn eine mit der Wortvorstellung assoziierte zweite Vorstellung apperzipiert worden ist, so tritt zu der erstern die Assoziationszeit hinzu, welche Zeiten sich dann durch Subtraktion der entsprechenden Versuchsresultate bestimmen lassen. Die Reaktionsversuche bilden also ein wichtiges Hilfsmittel, um auf Grund der längern oder kürzern Dauer dieser Vorgänge unter verschiedenen Umständen Schlüsse über ihr Wesen und die Bedingungen ihres Verlaufes zu ziehen. Vgl. Gleichung, persönliche. – Unter R. im politischen Sinne versteht man den Gegendruck gegen irgendeine fortschrittliche Kraft, insbes. das Bestreben, veraltete öffentliche Zustände an die Stelle der bessern neuen wiederherzustellen, soz. B. im Zeitalter des Deutschen Bundes (s. Deutschland, S. 819 f.).

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Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 16. Leipzig 1908, S. 646-647.
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