Linĭe

[576] Linĭe (lat. Linea), ein Grundbegriff der Geometrie. Geradeso wie man vom Begriffe des geometrischen Körpers aus zu dem der Fläche gelangt, indem man sich einen Körper in zwei Teile zerlegt denkt und die Grenze, in der diese beiden Teile zusammenstoßen, als Fläche bezeichnet, geradeso kann man zum Begriffe der L. gelangen, indem man sich eine Fläche in zwei Teile zerlegt denkt und die Grenze, in der diese beiden Teile zusammenstoßen, als L. bezeichnet. Man kann sich aber auch die L. dadurch entstanden denken, daß bei einer Fläche die eine ihrer beiden Dimensionen (die Breite) immer kleiner und kleiner wird und schließlich ganz verschwindet, so daß nur die andre Dimension (die Länge) übrigbleibt. Endlich kann man auch vom Begriffe des Punktes ausgehen und sich die L. durch Bewegung eines ihrer Punkte entstanden denken. Die geometrische L. besitzt also nur eine Dimension, ihre Länge (s. d.); sie hat ihr Dasein nur in unsrer Vorstellung; jede Darstellung von Linien durch Zeichnung oder durch Fäden ist nur ein rohes Bild der geometrischen L., und man muß dabei von der Breite und Dicke der Fäden etc. absehen. Man unterscheidet die gerade L. oder Gerade (s. d.) von der krummen L. oder Kurve (s. d.). – Der Ausdruck L. bedeutet auch ein kleines Längenmaß, durch ´´´ hinter der Zahl bezeichnet; vorwiegend der 12., aber auch oft der 10. Teil eines Zolles, jetzt in den meisten Staaten abgeschafft; die Pariser L. (ligne) war = 2,2558, die rheinländische = 2,1795, die Wiener = 2,1950 mm, und die englische (line) wie die russische (linia) mißt 2,117 mm. – In der Geographie und Schiffahrtskunde bedeutet L. den Erdäquator, daher der Ausdruck: »die L. passieren«. – In der Rechtssprache unterscheidet man gerade L. und Seitenlinie der Verwandten. Zu der erstern gehören diejenigen, von denen der eine unmittelbar oder mittelbar von dem andern abstammt, also die Reihe der Aszendenten und Deszendenten, und zwar nennt man die Reihe: Vater, Großvater, Urgroßvater etc. aufsteigende L., die Reihe: Sohn, Enkel, Urenkel etc. absteigende L. Zu der Seitenlinie gehören diejenigen Personen (Seitenverwandte, Kollateralen), von denen der eine nicht von dem andern, sondern die gemeinschaftlich von einem Dritten abstammen, so daß also z. B. Geschwister in der Seitenlinie verwandt sind.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 12. Leipzig 1908, S. 576.
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