Gebauer-Schwetschke, Familie

[291] Gebauer-Schwetschke. Als Gründer der Gebauer-Schwetschkeschen Buchdruckerei wird Christoff Bissmarck (gest. 22. 8. 1624)[291] aus Dahlenwarsleben angesehen, dessen Offizin sich in der Schmeerstraße in Halle befand. Die Meßkataloge von 1612-20 führen elf Verlagswerke von ihm auf, darunter Paul Nagels Prognosticon Astrologo-Harmonicum vom Jahre 1620.

Durch Heirat von Bissmarcks Witwe kam Christoff Salfeld (geb. 1599, gest. 1. 9. 1670) aus Quedlinburg in den Besitz der Druckerei. Von ihm führen die Meßkataloge fünf Verlagswerke an, darunter auch einen Kalender in Quart, »Alter und Newer Schreib-Calender etc.«

Nach Salfelds Tode teilte sich das Geschäft in zwei Abteilungen, deren eine an seinen ältesten Sohn David Salfeld überging und die andere im Besitze seiner Witwe verblieb. 1693 berief diese ihren jüngsten Sohn Johann Andreas Salfeld (geb. 15. 1. 1665) zur Leitung ihrer Offizin, seit 1700 erscheint derselbe als selbständiger Drucker, seit 1705 als Universitätsbuchdrucker. 1707 verkaufte Salfeld seine Offizin für 100 Thaler an Stephan Orban (geb. 1. 12. 1681, gest. 2. 10. 1732) aus Goldlauter in Thüringen. Orban war vermögend und brachte die erworbene Druckerei zu ansehnlicher Blüte, er beschäftigte schließlich sechs Pressen. Er fungierte als Drucker der wöchentlich dreimal erscheinenden »Hällischen Zeitungen« und stand in reger Geschäftsverbindung mit dem Halleschen Waisenhause; namentlich war er viel mit Aufträgen für die Cansteinsche Bibelanstalt beschäftigt.

Die Druckerei wurde nach seinem Tode von der Witwe fortgesetzt und Michaelis 1732 die Leitung derselben Johann Justinus Gebauer übertragen.

Johann Justinus Gebauer wurde am 19. Mai 1710 zu Waltershausen in Thüringen geboren, wo sein Vater das Tuch- und Raschmachergewerbe betrieb. Der jüngste von vier Brüdern, wurde er durch den Tod des Vaters verhindert, wie diese sich dem Studium zu widmen, doch folgte er 1724 seinem in Jena studierenden dritten Bruder Johann Matthäus, um bei dem Buchdruckerherrn und Buchhändler Chr. Franciscus Buch in die Lehre zu treten, die er 1729 beendete. 1732 wandte er sich von Jena nach Halle und ließ sich hier als Buchhandlungs-Diener und Buchdruckergesell bei der Universität immatrikulieren. Anfang 1733 fand er Aufnahme als akademischer Bürger. Ende desselben Jahres ward er zum Universitäts-Buchdrucker ernannt.

Am 24. Oktober 1733 erwarb er für 3000 Thaler die Orbansche Druckerei unter Anzahlung von 1000 Thalern. Die Kaufsumme[292] wurde jedoch später um 900 Thaler ermäßigt, da ihm ein Hauptverdienst verloren ging, als 1734 die Cansteinsche Bibelanstalt eine eigene Buchdruckerei errichtete.

Um seine Pressen anderweitig zu beschäftigen, versuchte er es selbst mit Verlag. So erschien zunächst bei ihm eine von dem berühmten protestantischen Kirchenhistoriker Joh. Gg. Walch besorgte Ausgabe von Luthers Kirchenpostille und Luthers Epistel St. Pauli an die Galater; und später erfolgte durch denselben die Herausgabe von Luthers Schriften in einer Gesamt-Ausgabe von 24 Bänden (1740-53). Durch den glücklichen Erfolg ermutigt, wagte er sich an ein Unternehmen, welches in seiner monumentalen Größe nur wenig seinesgleichen hat und in der Geschichte des 18. Jahrhunderts fast einzig dasteht, die Herausgabe der »Allgemeinen Welthistorie«, wozu die in London erscheinende »Universal History«, an der eine ganze Anzahl von Gelehrten mitarbeitete, die Veranlassung wurde. Uebersetzungen wurden zuerst in Frankreich und Holland in Angriff genommen. Die ersten 30 Bände der deutschen Ausgabe erschienen 1742-66 unter Bearbeitung von Baumgarten, Rambach, Sucro, Willisch, Kypke und Joh. Sal. Semler bei Gebauer. Die Bände 31-66 und sechs Supplementbände erschienen größtenteils bei Joh. Jac. Gebauer und zwar unter Bearbeitung von Gatterer, Meusel, Le Bret, Sprengel, v. Engel, Schlözer, Gebhardi, Galetti, Rühs u. A. Durch Benutzung deutscher grundlegender Forschungen erhielt die deutsche Ausgabe für damalige Zeit besonderen Wert.

Von dem gleichzeitig veranstalteten Auszuge erschienen 10 Bände – die »Alte Historie« umfassend – wesentlich von Fr. Eberh. Boysen bearbeitet, 1767-72 bei Johann Justinus Gebauer. Die übrigen, die »Neue Historie« umfassenden 27 Bände, deren Bearbeitung die Professoren Häberlin, Gebhardi, Toze, Meusel und Le Bret besorgten, erschienen meist bei Joh. Jac. Gebauer.

Von anderen Verlagswerken Johann Justinus Gebauers verdienen Erwähnung Boysens Allgem. hist. Magazin, 6 Bde.; Gatterers Allgem. hist. Bibliothek, 16 Bde.; Rollins Hist. Romaine, 6 Vols.; desselben Histoire des Egyptiens, 5 Vols.; Klotz' Bibliothek der schönen Wissenschaften, 6 Bde. (1767-72). Es erschienen im Ganzen seit 1736 in Gebauers Verlag gegen 500 Werke, also jährlich durchschnittlich über ein Dutzend und sicher die doppelte Anzahl von Bänden. Drei Werke verlegte er in Gemeinschaft mit Bernh. Christ. Breitkopf in Leipzig, eins in Gemeinschaft mit Gebr. Burmester in Altona.[293]

1762 wurde die Druckerei nach der Märkerstraße verlegt, wo sie noch heute betrieben wird. Johann Justinus Gebauer starb am 26. Januar 1772; in Gemeinschaft mit der Mutter setzte sein zweiter Sohn Johann Jacob Gebauer, geb. 25. Mai 1745, das Geschäft fort. Die Firma lautete von 1772-1776, dem Todesjahr der Mutter, Justinus Gebauers Witwe & Johann Jacob Gebauer, von da ab erst firmierte der letztere unter seinem alleinigen Namen.

Unter seiner Leitung gelangte der Verlag zu höchster Blüte. Was der Vater mit Kühnheit und Geschick angebahnt, setzte er mit Energie und Ausdauer fort. Von seinen hervorragendsten Verlagsartikeln sind hervorzuheben: Adelungs »Glossarium manuale mediae et infimae latinitatis«, 6 Bde. (1772-1784); als Fortsetzung der Klotzschen Bibliothek: Schirachs »Magazin der deutschen Kritik«, 4 Bde.; Karl Friedr. Bahrdts (»mit der eisernen Stirn«) Schriften; Goezens (hauptsächlich bekannt durch Lessings »Anti-Goeze«) »Historie der niedersächsischen Bibeln« und »Verzeichnis seltener und merkwürdiger Bibeln«; J. F. Feddersens »Nachrichten von dem Leben und Ende gutgesinteter Menschen«, welche in verschiedene Sprachen übersetzt wurden; Aug. Herm. Niemeyers, des berühmten Pädagogen, erstes Werk »Charakteristik der Bibel« in 5 Bdn. (1775-82); Joh. Reinh. Forsters »Zoologica Indica«, in lateinischer und deutscher Ausgabe; J. S. Schröters »Konchylien«; Batschs »Geschichte der Schwämme« und die Zeitschrift »Der Naturforscher«. Weiter sind zu nennen eine »Compendiöse Bibliothek der gemeinnützigen Kenntnisse für alle Stände« in 27 Abteilungen (z. B. »Der Landmann«, »Der Bürger«, »Der Kaufmann«, »Der Künstler« etc.), ein von J. S. Semler und Chr. G. Schütz herausgegebenes »Elementarwerk für die niederen Klassen lateinischer Schulen« in einer Reihe von Bänden; kommentierte Ausgaben des Aeschylos und Xenophon; Werk von J. S. Vater, H. G. Zerenner, Friedr. Schmieder, J. F. Gmelin, Ch. v. Schmidt-Phiseldeck u. a. m. – Die »Allgem. Welthistorie« ganz zu Ende zu führen, sah sich Joh. Jacob Gebauer durch die Kriegszeiten von 1813 verhindert. Wie bedeutend der Verlag angewachsen, ist aus der Notiz eines Zeitgenossen zu entnehmen, welche besagt, daß er zu den großen Verlegern gehört habe, die während der Leipziger Messe ganze Stockwerke zu mieten sich gezwungen sahen. Die Druckerei war außer für den eigenen Verlag fortwährend auch für die bedeutendsten buchhändlerischen Firmen beschäftigt, so für F. A. Brockhaus in[294] Altenburg, F. Nicolai, Weber und Reimer in Berlin, Hemmerde & Schwetschke. C. C. Kümmel (jun.), Rengersche Buchhandlung und Buchhandlung des Waisenhauses in Halle, Bohn und Perthes in Hamburg, F. Hammerich in Altona, Hartung in Königsberg, S. L. Crusius und Liebeskind in Leipzig, Bertuch in Weimar u.s.w.

Am 8. November 1818 starb Johann Jacob Gebauer und hinterließ das umfangreiche Geschäft seinem Sohne Friedrich Wilhelm Ferdinand Gebauer (geb. 18. 5. 1786), der kurz vorher wohl Teilhaber geworden war, da verschiedene Verlagsartikel des Jahres 1818 unter der Firma J. J. Gebauer & Sohn erschienen sind. Der Sohn überlebte den Vater nur um ein Jahr, er starb am 6. November 1819; das Geschäft ging an seinen Schwager Carl August Schwetschke, den Besitzer der Firma Hemmerde & Schwetschke in Halle über.

Als Begründer der Firma Carl Hermann Hemmerde, dann Hemmerdesche Buchhandlung, und danach Hemmerde & Schwetschke lernen wir Joh. Andreas Rüdiger, resp. dessen Sohn Joh. Heinr. Rüdiger, Besitzer der von J. M. Rüdiger 1693 gegründeten Vossischen Buchhandlung, aus Berlin kennen, von welchem Hemmerdes Schwiegervater, Joh. Georg Klemm, unterm 1. Juli 1729 das Privilegium zur Errichtung einer Buchhandlung in Halle erkaufte. In Klemms Verlage erschienen von 1729 bis zu seinem 1737 im Alter von 60 Jahren erfolgten Tode 19 Werke.

Carl Herm. Hemmerde (geb. 23. 11. 1708) steht durch seine Beziehungen zu damaligen Celebritäten, wie A. G. Baumgarten, J. S. Semler, G. F. Meier, mit im Mittelpunkt einer der interessantesten Perioden der Litteraturgeschichte und des Buchhandels. In den Jahren 1737-42 verlegte er nur sechs Werke. Von da ab aber nahm sein Verlag einen gewaltigen Aufschwung. 1743 erschienen nicht weniger als 22, 1745 sogar 41 Werke bei ihm, und später, bis zu seinem 1782 erfolgten Tode durchschnittlich 18 Werke jährlich. Die Anzahl der 1737-82 bei ihm erschienenen Artikel beläuft sich auf 750.

Hemmerdes Beziehungen zu F. G. Klopstock sind zweifellos besonders interessante. 1749 hatte er eine Broschüre verlegt von Professor Meier »Beurteilung des Heldengedichtes des Messias«, durch welche die Dichtung erst in weiteren Kreisen bekannt wurde. Da sich der Verleger der »Bremer Beyträge«, in denen der Messias zuerst abgedruckt worden war, N. Saurmann in Bremen, zur Veranstaltung eines von Meier empfohlenen Separatdruckes nicht[295] entschließen konnte, erbat Hemmerde, durch Meier dazu angeregt, von Saurmann diese Erlaubnis, die er auch erhielt. Klopstock war damit jedoch nicht einverstanden, da er seinen Messias selbst, auf Subskription, herauszugeben gedachte. Klopstock entschloß sich jedoch später, Hemmerde das Verlagsrecht zu überlassen. Dieser zahlte ihm 5 Thaler Honorar pro Druckbogen und lieferte 30 Freiexemplare; auch verständigte er sich mit Klopstock über die ohne dessen Wissen verlegten drei ersten Gesänge und letzterer erkannte diese Ausgabe nachträglich als rechtmäßige an, nachdem ihm pro Bogen 2 Thaler Honorar bewilligt worden war. Berger teilt in seiner Jubiläumsschrift (siehe Schluß dieses Artikels) den zwischen beiden Männern geführten Briefwechsel auszüglich mit. Daraus geht hervor, daß die mehrfachen Klagen Klopstocks, sein Verleger behandele ihn nicht offen, nicht ganz unbegründet waren; andernteils ist nicht zu vergessen, daß Hemmerde von Klopstock eine Menge Scherereien bereitet wurden, sodaß er schließlich erklärte: «... Sollten dieselben nach 3 Jahren, wann der 4. und letzte Band fertig ist, als von Ostern 1773 bis Ostern 1776 Mir meinen Vorrath von allen vier Bänden, Abhandeln belieben, mit 25 pCent rabbat von allen vorrathigen Exemplarien, so will Dieselben ich zu gefallen, den Verlag abtretten, vor baare Bezahlung.« Klopstock ging jedoch nicht darauf ein; vorübergehend besserte sich zwar sein Verhältnis zu Hemmerde, doch führte es später ganz zum Bruche.

Hemmerde schient in seinen späteren Lebensjahren des Buchhandels müde geworden zu sein, denn er bot 1773 seine Buchhandlung im Meßkatalog zum Verkauf aus.

Durch Vermittlung von Philipp Erasmus Reich fand die Witwe Hemmerdes nach dessem 1782 erfolgten Tode in Carl August Schwetschke einen intelligenten, seiner Aufgabe durchaus gewachsenen Geschäftsführer.

Carl August Schwetschke, geb. am 29. 9. 1756 als Sohn eines Kaufmanns, erhielt seine Schulbildung in seiner Vaterstadt Glauchau. Anfangs für den Beruf seines Vaters bestimmt, kam er durch Vermittelung eines Verwandten 1771 in die Buchhandlung des Waisenhauses in Halle, welcher damals Inspektor Witte vorstand. Bereits nach Jahresfrist kam er in die Berliner Filiale der Buchhandlung, war jedoch nach einem Aufenthalt von drei Jahren in Berlin noch ein halbes Jahr als Lehrling in Halle beschäftigt. 1775 verließ er Halle, um als Gehilfe eine Stelle bei Joh. Sam. Heinsius in Leipzig zu übernehmen, welche er dann fünf Jahre bekleidete. Nach einem[296] noch über drei Jahre innegehabten Posten in der Em. Hallerschen Buchhandlung in Bern übernahm Schwetschke 1783 die Faktorstelle in dem verwaisten Geschäft Hemmerdes.

1788 machte ihn die Witwe zum Mitbesitzer und damit trat die Firma Hemmerde & Schwetschke ins Leben.

In den letzten zehn Jahren waren in dem Verlage durchschnittlich nur je 10 Werke verlegt worden. Die neue Firma debütierte mit 36 Werken im ersten Jahr, und auch in den folgenden Jahren bis 1792 wurde durchschnittlich dieselbe Höhe erreicht. Wenn infolge der dann eintretenden Kriegszeiten diese Zahl auf alljährlich 15-20 herabsank, so bleibt dies doch immer ein Beweis großer Rührigkeit, namentlich wenn man berücksichtigt, daß Schwetschke auch dem Sortiment in erhöhtem Maße seine Thätigkeit zuwandte, wie dies die Herausgabe eines in hoher Auflage erscheinenden, teils direkt an das Publikum versandten, teils durch den Buchhandel verbreiteten Novitätenkataloges beweist. 1797 erschien dieser bereits in einer Auflage von 6450 Exemplaren, doch steigerte sich dieselbe mit den Jahren bis über 10000.

Von seinen Verlagsunternehmungen möge die Anführung der folgenden genügen: Suidae Lexicon, ed. G. Bernhardy; G. W. Freytags Lexicon arabicolatinum; und das Corpus Reformatorum.

Mit Eifer beteiligte er sich an dem zu Anfang des 19. Jahrhunderts nötigen Kampfe gegen den Nachdruck. Die Firma Hemmerde & Schwetschke trat mit den Halleschen Firmen: Rengersche Buchhandlung, Buchhandlung des Waisenhauses und Kümmelsche Buchhandlung zusammen, um unterm 1. November 1816 einen Vertrag abzuschließen, der darauf hinauslief, aufs Strengste gegen jeglichen Vertrieb von Erzeugnissen des Nachdrucks sich zu verwahren.

Besonderer Erwähnung bedarf die in das Jahr 1824 fallende Erwerbung der 1785 von Schütz, Wieland und Bertuch in Jena begründeten »Allgemeinen Literaturzeitung«, die seit 1804 unter Redaktion von Schütz und Ersch als »Hallische Literaturzeitung« weiter erschien. Die Verlagsfirma »Expedition der Allgemeinen Literaturzeitung« behielt Schwetschke bei.

1820 übernahm Schwetschke die Gebauersche Verlagshandlung und Buchdruckerei, ohne deren Firma zu ändern. 1828 wurde sein Sohn Carl Gustav Teilhaber dieses Geschäfts, während Carl Ferdinand am 1. Januar 1829 zugleich mit der Umänderung der Firma Hemmerde & Schwetschke in C. A. Schwetschke & Sohn, Teilhaber dieser Firma wurde.[297]

Der älteste Sohn, Carl Ferdinand Schwetschke, übernahm die Firma Schwetschke & Sohn und den Verlag der »Allgemeinen Literaturzeitung«, der jüngere, Carl Gustav Schwetschke, dagegen die Gebauersche Buchhandlung nebst Druckerei und den schon seit 1828 von ihm geleiteten »Halleschen Courier«.

Carl Ferdinand Schwetschke, geb. am 17. 8. 1798, war bis 1813 ein Schüler der Franckeschen Stiftungen, absolvierte im väterlichen Geschäfte eine dreijährige Lehrzeit und war danach ein Jahr bei A. W. Unzer in Königsberg beschäftigt, wo er zugleich als Einjährig-Freiwilliger diente und einige Universitäts-Vorlesungen besuchte. Sodann übernahm er eine Stellung in der Buchhandlung der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften in St. Petersburg und nach Ablauf eines Jahres eine solche bei Carl Gerold in Wien, wo er abermals ein Jahr verblieb. 1820 kehrte er nach Halle zurück, erlernte das Druckereiwesen und griff wesentlich in die Leitung des Geschäftes ein, dessen Teilhaber er 1829 wurde. Er war gleich thätig im Verlag, Sortiment und Antiquariat des väterlichen Geschäfts, welches beiläufig bis in die 50er Jahre große Lieferungen an Hallesche und auswärtige Behörden zu besorgen hatte und mehrfach Bücherauktionen veranstaltete.

Groß sind seine Verdienste um das Zustandekommen des Börsenvereins der Deutschen Buchhändler. Er gehörte 1832-35 dem Vorstande als Schatzmeister, dem aus fünf Personen bestehenden, den Bau der Buchhändlerbörse fördernden Komitee als Mitglied an. Er beteiligte sich eifrig an den Verhandlungen bezüglich der rechtlichen Verhältnisse der Autoren und Verleger und der Unterdrückung des Nachdrucks.

1836 gründete er in Gemeinschaft mit seinem Schwager Hermann Kirchner die Firma Kirchner & Schwetschke in Leipzig, welche von nun an die Kommissionen der Halleschen Stamm-Firmen besorgte.

Nach Ferd. Schwetschkes Tode, 1843, erfolgte der Verkauf einiger größerer Verlagsartikel an M. L. St. Goar in Frankfurt a. M. (u. A. Freytags arabisches Lexikon); die Allgemeine Literaturzeitung hörte mit dem 1. Januar 1850 auf zu erscheinen. 1848 erfolgte der Verkauf des Sortiments an C. E. M. Pfeffer in Halle. 1851 endlich ging der gesamte Rest des Verlags und die Firma Schwetschke & Sohn an Moritz Bruhn über, der ihn unter Beibehaltung der Firma 1852 nach Braunschweig verlegte, wo das Geschäft seit 1876 von Harald Bruhn fortgesetzt wurde. 1897 wurde[298] die Firma C. A. Schwetschke & Sohn nach Berlin verlegt und befindet sich seit 1900 im Besitze von Emil Loezius.

Dr. Carl Gustav Schwetschke wurde am 5. 4. 1804 geboren und in der Manitiusvorschule und auf der Latina der Franckeschen Stiftungen unterrichtet. Schon bei seinem mit gutem Examen erfolgten Abgange von der Latina zeigte er sich, wie im spätern Leben öfter, als tüchtiger Lateiner, da er mit einer wohlgesetzten lateinischen Rede schied. Er betrieb darauf in Heidelberg und Halle philologische Studien, hatte aber als Burschenschafter das Mißgeschick, relegiert zu werden und von jeder staatlichen Anstellung abstrahieren zu müssen.

Er erlernte nun bei Friedr. Vieweg in Braunschweig die Druckerei und übernahm 1825 die Leitung der Gebauerschen Offizin, auch bereits seit dem 1. Januar 1828 die Redaktion des seitdem im Gebauer-Schwetschkeschen Verlage erscheinenden »Hallischen Couriers«, der späteren »Halleschen Zeitung«. 1843 verkaufte er den Gebauerschen Verlag an Ed. Schimmel in Leipzig, aus dessen Händen er später, sich zersplitternd, in wechselnden Besitz überging.

1852 rief Schwetschke in Gemeinschaft mit Otto Ule, Karl Müller und Roßmäßler die Zeitschrift »Die Natur« ins Leben, die seit 1901 mit der im Verlage von Fr. Vieweg & Sohn in Braunschweig erscheinenden »Naturwissenschaftlichen Rundschau« vereinigt ist. Im Januar 1852 ging die erste Nummer dieser »Zeitung zur Verbreitung naturwissenschaftlicher Kenntnis und Naturanschauung für Leser aller Stände« in die Welt; namentlich Karl Müller von Halle drückte ihr in einer fast fünf Jahrzehnte umspannenden Thätigkeit das Gepräge seines Geistes auf.

Die »Natur« war die erste Zeitschrift ihrer Art, sie hat durchschlagenden Erfolg gehabt und bahnbrechend gewirkt in Deutschland wie im Auslande. In Frankreich wie in England sind nach ihrem Muster Zeitschriften gleichen Namens entstanden.

Wenn man sich heute fragt, was den damaligen Erfolg veranlaßt, so wird man mit Notwendigkeit auf das historisch-politische Gebiet gewiesen. Das Jahr 1848 war hüben und drüben unvergessen, man trug schwer an jenen Geschehnissen und konnte sie nicht überwinden. Müller sprach sich später einmal darüber aus: »Ueberall hatte man die Politik satt; die Belletristik lag darnieder und fristete ihr Dasein unter den Greueln allgemeinster Reaktion nur kümmerlich; man sehnte sich nach einem neutralen Boden, auf dem man sich wieder zu neuen Idealen erheben konnte.« Wo anders konnten sie[299] besser gefunden werden, als in dem Leben der Natur und ihrer Wissenschaft! Sie war die Offenbarung jener Zeit. Die »Natur« ist seit Erscheinen ihrem Programm, das Ule in der ersten Nummer entwickelte, treu geblieben: »Menschenbildung im edelsten Sinne des Wortes, Vernichtung des Aberglaubens und aller Vorurteile durch das Licht der Wissenschaft, Erhebung des Volkslebens, auch in seinen niedrigsten und verachtetsten Kreisen, durch die Erkenntnis des Großen im Kleinen, Heiligung der Natur durch die Weise geistiger Anschauung, das ward als die Aufgabe dieser Zeitung bezeichnet, das ist die Aufgabe der Naturwissenschaft selbst.«

Im Vereinsleben des Buchhandels machte sich Dr. G. Schwetschke durch seine Mitwirkung an der Begründung der Bibliothek des Börsenvereins, speziell durch den Ankauf einer von Buchhändler Schmaltz in Quedlinburg hinterlassenen Bibliothek besonders verdient, wodurch der 1840 gelegte Grundstock der heute so stolzen Sammlung nicht unbeträchtlich erweitert wurde.

1828 kaufte Schwetschke die Gollnersche Schriftgießerei an. 1835 wurde eine Stereotypie, 1873 eine galvanoplastische Anstalt, 1877 eine Buchbinderei errichtet. Seit 1847 kamen nach und nach 6 Schnellpressen in Betrieb, für welche seit 1865 eine Dampfmaschine Anwendung fand.

Einen Namen aber machte er sich hauptsächlich durch seine eigene vielseitige litterarische Thätigkeit. Zum hundertjährigen Jubiläum der Handlung von Schwetschke & Sohn am 30. Dezember 1838 veröffentlichte er eine Abhandlung: »De Donati minoris fragmento Halis nuper reperto excursus«, welche sein Interesse für die Geschichte des Buchdrucks und der Philologie bekundet. – Durch seine zur vierten Säkularfeier der Buchdruckerkunst publizierte »Vorakademische Buchdruckergeschichte der Stadt Halle« erwarb er sich den Doctor honoris causa. – Manches poetische Flugblatt ging von ihm in die Welt. So veröffentlichte er 1845 zum Besten der Gemeinde in Schneidemühl ein »Schneidermüllerlied«, 1847 »Gedichte eines protestantischen Freundes«. In demselben Jahre erschien im Interesse des freireligiösen Theologen Leberecht Uhlich: »Protestbrief an Se. Exz. den Minister Eichhorn«. – Seine Beteiligung an den politischen Vorgängen von 1848 zeitigte eine seiner bekanntesten Schriften, die in 8 Auflagen 1849 bei H. L. Brönner in Frankfurt erschienenen: »Novae epistolae obcurorum virorum«, eine Nachahmung der zur Reformationszeit erschienenen Episteln mit satirischer Bezugnahme auf die Verhandlungen der Frankfurter Reichs-Versammlung.[300] 1874 erschien ein Kommentar zu den Novae epistolae etc. – Gleichfalls politischer Natur waren folgende Schriften: »Der Eckernförder Spaß am 5. April 1849«, die »Acta manualia des Teufels in Sachen Schleswig-Holsteins« (1850), »Zwei Worte historisch an die Herren Minister von Manteuffel und von der Heydt« (1850), »Epistola consolatoria Lucilii ab Uva ad Ottenem Nasemann« (1851) und die »Nova epistolae clarorum virorum« (Bremen 1855). Bezüglich des Pseudonyms Lucilius ab Uva ist zu bemerken, daß demselben der Name des römischen Satirikers zu Grunde liegt. Der Zusatz ab Uva ist der vielbesuchten »Weintraube« bei Halle entlehnt, dem damaligen Zentralpunkt der liberalen Bewegung in Halle.

Als sein bedeutendster Werk darf wohl der im Jahre 1850 veröffentlichte »Codex nundinarius Germaniae literatae« angesehen werden, eine der wichtigsten Quellen für die Geschichte des Buchhandels, eine Statistik sämtlicher deutscher Verlagsfirmen und ihrer Thätigkeit von 1564-1846.

Die größte Verbreitung fand wohl sein Bismarck feierndes Epos »Bismarckias«, von welchem 1867-70 6 Auflagen erschienen, und das in 3 Auflagen erschienene Idyll »Varzinias«. Nebst anderen 1866-72 verfaßten Liedern wurden diese größeren Gedichte mit abgedruckt in »Zeitgedichte, deutsch und lateinisch«.

Im Jahre 1866 gab er seine »Ausgewählten Schriften« in 2 Bänden in vermehrter Ausgabe heraus. Die 1876 erschienenen »Neuen ausgewählten Schriften« sind eine vermehrte Ausgabe der eben erwähnten »Zeitgedichte«.

Außer durch jenes vorhin erwähnte Donatfragment bekundete er sein Interesse für alte Drucke durch die Herausgabe von »Luthers Newe Zeitung vom Rein 1542« (1841), durch ein »Sendschreiben an Direktor Dr. F. A. Eckstein über den gleichnamigen althallischen Schriftsteller« (1842), durch die mit Förstemann bearbeitete »Beschreibung älterer Schriften über die Reformationsgeschichte in Halle« (1841), durch »Karlsbads große Ueberschwemmung im Jahre 1582« (1863) und den »Hallischen Kalender des Jahres 1645« (1873).

Als eifriger Freimaurer veröffentlichte er die Schriften: »Die Köllner Freimaurerurkunde« (1843), »Hallische Steinmetzzeichen« (1852), »Prinz Edwin-Sage« (1858 und 1876). Dem geselligen Logenverkehr entsprangen: »Geschichte des L'Hombre« und L'Hombre-Rock. Lebensbild aus der östlichen Hemisphäre. Manuscript für Brüder.«

Von der Beherrschung der lateinischen Sprache zeugen die Parodien auf das »Gaudeamus igitur«, dessen Geschichte er auch in einer kleinen Broschüre behandelte. –[301] Das Geschäft wurde von den drei Söhnen fortgesetzt. Die Hallesche Zeitung ging am 1. September 1882 an eine Aktiengesellschaft über. Felix Schwetschke war ursprünglich Landwirt und in Ostpreußen begütert, siedelte aber 1869 nach Halle über. – Dr. Eugen Schwetschke studierte in Berlin, Heidelberg und Halle und redigierte 1877-79 die Hallische Zeitung. – Ulrich Schwetschke studierte in Leipzig, Wien und übernahm, nachdem er bei Breitkopf & Härtel in Leipzig seine Ausbildung genossen, die technische Leitung des Geschäfts.

Die Firma – Verlag und Druckerei mit Nebenzweigen – wird seit 1902 unter der Firma Gebauer-Schwetschke, Druck und Verlag mit b. H., weitergeführt.

Quellen: Die vornehmsten Lebensumstände J. G. Gebauers, Halle 1772 A. Berger, Geschichte der G.-Sch. Buchdruckerei und der damit verbundenen Buchhandlungen. Halle 1884.

Quelle:
Rudolf Schmidt: Deutsche Buchhändler. Deutsche Buchdrucker. Band 2. Berlin/Eberswalde 1903, S. 291-302.
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