Niedrig

[818] Niedrig. (Schöne Künste)

Wenn man dieses Wort bey Gegenständen des Geschmaks braucht, so verstehet man darunter etwas, das in der Denkungsart und in den Sitten und überhaupt in dem Geschmak des Pöbels ist, nicht in so fern es einfach und ohne Kunst ist, sondern in so fern es Menschen von feinerer Lebensart beleidiget. Der Geschmak und die innern Sinnen gelangen, so wie die äußern nur durch Uebung und Ueberlegung zu der Fertigkeit in jeder Sache auch durch kleinere, Ungeübten unmerkliche Dinge, gerührt zu werden. Wer diese Fertigkeit nicht erlangt hat, siehet und empfindet nur das gröbste, was auch dem Unachtsamsten in die Augen fällt; darum können Sachen, die im Ganzen, oder überhaupt betrachtet, das sind, was sie in ihrer Art seyn sollen, ihnen gefallen, wenn gleich in kleinern und feineren Theilen viel Unrichtiges, Unschikliches oder Verkehrtes darin ist. Der Pöbel staunt über Pracht, wo er sie sieht, wenn gleich weder Geschmak noch Schiklichkeit dabey beobachtet worden. So begnüget sich ein Mensch von niedrigem Stande, der nie an Reinlichkeit gewöhnt worden, an einer Speise, die seinen Hunger stillt, und übersiehet das Unreinliche darin, wodurch sie Personen von Erziehung ekelhaft seyn würde.

Daher kommt es, daß Leute von niedrigem Stande, die keine durch feineres Nachdenken entstandene Bedürfnisse fühlen, leicht befriediget werden, wenn gleich in den hiezu nöthigen Dingen sich gar viel findet, das geübtern Sinnen zuwieder ist: und eben daher kommt es auch, daß solche Menschen keinen Gefallen an den Sachen haben, die für Personen von feinem Geschmak den größten Reiz haben. Feinen Scherz fühlen sie nicht, und auf einem Gesichte, das nur durch feinere Züge die Empfindungen und den Charakter verräth, können sie gar nichts lesen. Erst denn, wenn Zorn, oder Freude das ganze Gesicht verstellt, werden ihnen diese Leidenschaften merklich.

Hieraus wird sich der Charakter des Niedrigen in Gegenständen des Geschmaks leicht bestimmen lassen. Man muß Stufenweise von dem Edeln und Feinen, erst auf das Gemeine, und denn von diesem auf das Niedrige herabsteigen. Dieses tritt zwar nicht aus der Art; es kann das, was es in [818] der Art seyn soll, würklich seyn, ist traurig, freudig, zärtlich, oder lustig; aber es ist es auf eine übertriebene, grobe Art, mit Beymischung solcher Umstände, die den feinern Geschmak beleidigen. Wolanständigkeit, Schiklichkeit, gute Verhältnisse und was zum Feinen der Form gehört, sind Sachen, worauf der Pöbel nicht sieht; darum finden sie sich auch bey dem Niedrigen nicht. Scherze sind Zoten; das Lustige wild und ausgelassen, das Sittliche überhaupt unüberlegt und grob, das Leidenschaftliche übertrieben, und mit viel Wiedrigem verbunden.

In den Werken des Geschmaks ist das Niedrige überhaupt sorgfältig zu vermeiden; doch ereignen sich auch Gelegenheiten, wo es nicht ganz zu verwerfen ist. Man kann hierüber dem Künstler keine sicherere Regel geben, als daß man ihn vermahne bey jedem Werk seines Zweks eingedenk zu seyn. Bey ernsthaften Gelegenheiten, wo es darum zu thun ist, Gesinnungen und Entschließungen einzuflößen; das Gefühl des Guten und Schönen rege zu machen, auch überall, wo der Künstler die Absicht hat, seine eigene Denkungsart zu entwikeln, da muß alles Niedrige schlechterdings vermieden werden. Ein pöbelhafter Ausdruk, oder ein niedriges Bild, kann den schönsten Gedanken verderben. Ueberhaupt muß der Künstler beständig daran denken, daß er für Personen von Geschmak und von etwas feiner Lebensart arbeitet. So gar daß Gemeine, muß er überall vermeiden, weil es die Aufmerksamkeit derer, für die er arbeitet, nicht reizet.

Auch nicht einmal da, wo man uns unsre Thorheiten vorhält, um uns davon zu reinigen, in der Comödie und den Werken von scherzhaftem Inhalt, wobey man ernsthafte Absichten hat, ist das Niedrige zu brauchen. Kein Mensch von einiger Erziehung wird das wiedrig Lächerliche auf sich deuten; er wird vielmehr glauben, daß man ihn blos damit belustigen wolle.1

Darum wollen wir doch das niedrig comische, wenn es nur würklich aus der Natur genommen und nicht durch bloßes Possenspiehl übertrieben ist, nicht ganz verwerfen. Das Lachen in so fern es blos zur Belustigung dienet, hat auch seine Zeit, und dieses Lachen wird gar ofte, auch bey Personen von feinem Geschmak, wegen des ungemein abstechenden Contrasts gegen das, dessen sie gewöhnt sind, durch das Niedrigcomische, wenn es nur wahrhaftig natürlich ist, sicher erreicht. Ich habe einen vornehmen Mann, von äußerst feinem Geschmak und sehr edlem Charakter gekannt, der sich bisweilen das Vergnügen machte, mit einigen Freunden in Londen in einem Hause zu speisen, wo viele Schornsteinfeger ihren täglichen Tisch hatten, um sich an den Sitten und den Manieren dieser Leuthe zu belustigen. Und es ist so ungewöhnlich nicht, daß die feinesten und wizigsten Köpfe bisweilen an dem niedrig comischen der Schaubühne großes Wolgefallen haben, und recht herzlich mitlachen. Nur so gar abgeschmakt und völlig unnatürlich, wie einige Scenen in Molieres bürgerlichen Edelmann, oder im eingebildeten Kranken, muß es nicht seyn; weil kaum noch der Pöbel darüber lacht. Aber solche Scenen, die bey ihrer Niedrigkeit Wahrheit haben, wie viele Gemählde des Teinies und Ostade, und wobey auch das, was dem Pöbel selbst ekelhaft ist, vermieden wird, sind als getreue Schilderungen der Natur zur Abwechslung und zum Zeitvertreib angenehm.

1S. Lächerlich. S. 647.
Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 2. Leipzig 1774, S. 818-819.
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