Quartsext-Accord

[934] Quartsext-Accord. (Musik)

Unter diesem Namen verstehen wir allemal den consonirenden Accord, der die zweyte Verwechslung des Dreyklanges ist,1 obgleich auch noch in andern und zwar dissonirenden Accorden Quart und Sexte vorkommen. Die Gestalt des Quartsext-Accords, und sein Ursprung ist im Artikel Dreyklang hinlänglich beschrieben worden; auch erhellet aus dem nächst vorhergehenden Artikel, warum die Quarte darin nichts dissonirendes habe.

Hier müssen wir zufoderst zeigen, wie dieser Accord von den dissonirenden Accorden, da Quart und Sexte auch vorkommen, zu unterscheiden sey; weil es wichtig ist, daß man sie nicht mit einander verwechsle.

Man hat aber mehr als ein Kennzeichen um diese Accorde von einander zu unterscheiden.

Erstlich kommen Quart und Sexte, wo sie dissonirende Vorhalte sind, nur auf der guten Zeit des Taktes vor, wie es die Natur der Vorhalte erfodert;2 so ofte man also den Quartsextaccord, auf der schlechten Taktzeit antrift, ist es der wahre consonirende Quartsextaccord, wie hier:

Quartsext-Accord

Im zweyten Takt geschieht auf den Niederschlag eine halbe Cadenz nach G; und weil man diese wiederholen wollte, so wird sogleich auf der zweyten Zeit des Taktes, der Dreyklang auf G verlassen, und an seiner statt wieder der Accord C in seiner [934] zweyten Verwechslung genommen, worauf im dritten Takt die halbe Cadenz nach G wiederholt wird. Hier ist also der Quartsextaccord consonirend.

Zweytens kann man aus dem Gange der Harmonie beurtheilen, ob die Baßnote, deren Quart und Sexte in den obern Stimmen vorkommen, der wahre Grundton, oder nur eine Verwechslung desselben sey. Im erstern Falle ist die Quarte ein Vorhalt der Terz, und die Sexte ein Vorhalt der Quinte; deswegen geht es in diesem Falle gar nicht an, daß man der Quarte die kleine Terz zugeselle; dieses aber geht an, wenn der Baßton die Dominante des eigentlichen Grundtones ist. Folgende Beyspiehle werden dieses erläutern.

Quartsext-Accord

Grundbaß:

Quartsext-Accord

In dem ersten Beyspiehle fällt es gleich in die Augen, daß eine Cadenz aus C nach F geschehe, und eben daraus erhellet deutlich, daß der Baßton des zweyten Takts die Stelle des Grundtones C vertrete, mithin der darüberstehende Accord der wahre consonirende Quartsextaccord sey, dem die kleine Terz um so viel schiklicher beygefügt werden kann, da sie die Septime des wahren Grundtones ist, wodurch die Cadenz angekündiget wird.

In dem zweyten Beyspiehl sieht man offenbar eine doppelte Cadenz, erst eine halbe in die Dominante der Tonica, die durch Wiederholung bestätiget wird, darauf eine Ganze in die Tonica selbst. Also steht im Niederschlag des zweyten Takts der Baßton für sich, als eine neue Tonica da, wird aber im Aufschlag wieder verlassen, und vertritt da die Stelle der Tonica C, darum ist dieser Quartsextaccord consonirend. Und hier geht es gar nicht an, daß der Quarte, statt der Sexte die Quinte beygefügt werde, welche das Gefühl des Accords C zerstöhren würde. Im dritten Takt geschieht aufs neu ein halber Schluß nach G. Darum sind Quart und Sexte hier Vorhalte, die sich gleich in ihre Consonanzen auflösen. Hier gieng es nun gar wol an, daß man statt der Sexte bey der Quarte sogleich die Quinte mitgenommen hätte.

Dieses kann hinlänglich seyn, den wahren Quartsextaccord von dem, da Quart und Sexte Vorhalte sind, zu unterscheiden. Nun giebt es aber noch zwey Accorde, da Quart und Sexte ebenfalls vorkommen, und die, obgleich diese beyden Intervalle darin consoniren, doch dissonirende Accorde sind. Sie entstehen aus der zweyten und dritten Verwechslung des wesentlichen Septimenaccords3 und haben insgemein neben der Quarte, im ersten Falle die Terz, im andern die Secunde bey sich, welche da die eigentlichen Dissonanzen sind. Diese Accorde sind also aus den Bezifferungen Quartsext-Accordund Quartsext-Accordleicht zu kennen.

Eine besondere Erwähnung aber verdienet der consonirende Quartsextaccord, der aus dem verminderten Dreyklang durch Verwechslung der Baßnote entsteht; denn darin wird die Quarte über ihr reines Verhältnis vergrößert, und erscheinet wie der Tritonus, ob sie gleich seine dissonirende Natur nicht annihmt. Folgendes Beyspiehl wird dieses erläutern.4

Quartsext-Accord

Hier kommt in beyden Beyspielen dieselbe große oder übermäßige Quarte F-h vor; im ersten Fall ist sie der wahre Tritonus, dissonirt und muß nothwendig wie jede übermäßige Dissonanz in der Auflösung einen Grad über sich treten; im andern Beyspiehl hingegen ist sie nur eine große Quarte, die keiner Auflösung in einen andern Ton bedarf.

Der Grund einer so merklich verschiedenen Behandlung desselben Intervalls ist klar genug. Im ersten Beyspiehl geschieht ein Schluß nach C von [935] der Dominante G, die die große Terz und die wesentliche Septime bey sich hat, wie dieses beym ganzen Schluß seyn muß. Nun ist durch Verwechslung die Septime in den Baß gekommen. Hier ist nun F die eigentliche Dissonanz, darum tritt es auch einen Grad unter sich. Der Ton h aber im Discant kann, obgleich durch das Heruntertreten des F die Dissonanz des Tritonus aufgelößt worden, nicht frey fortschreiten, sondern muß, wie jede übermäßige Dissonanz nothwendig einen Grad über sich treten, weil sie das Subsemitonium der neuen Tonica ist. Da sie aber im zweyten Beyspiehl in ganz anderer Verbindung steht, bedarf sie dort keiner Veränderung. Nämlich in diesem zweyten Beyspiehl geschieht der Schluß nach E, als der Dominante von A; durch Verwechslung aber ist im Basse, statt des Grundtones H, seine kleine, aber natürliche Quinte F genommen worden. Hier ist a die wahre Dissonanz, als die Septime des eigentlichen Grundtones, und wenn man will auch F, in so fern das h in der obern Stimme dagegen, wie der Tritonus klingt. Darum treten auch diese beyden Töne einen Grad unter sich; das h im Discant aber, als die wahre Octave des eigentlichen Grundtones bedarf keiner Auflösung, sondern bleibet, als die Quinte des folgenden Grundtones auf ihrer Stelle.

Nun kommen wir nach dieser Ausschweifung auf die Betrachtung des eigentlichen Quartsextenaccords wieder zurücke, um einige Anmerkungen über seinen Gebrauch zu machen. Dieser Accord hat in den obern Stimmen den Dreyklang, und unterscheidet sich von dem eigentlichen vollkommenen Dreyklange nur durch den Baßton, der hier mit den obern Stimmen weniger harmonirt, oder consonirt. Da nun der vollkommene Dreyklang, besonders der auf der Tonica nicht wol anders, als zum Anfang und zum völligen Schluß kann gebraucht werden5 so giebt der Quartsextaccord den Vortheil, daß man in der Mitte einer Periode die zum vollkommenen Dreyklang der Tonica gehörigen Töne nach Belieben in den oberen Stimmen brauchen kann, ohne das Gehör zu sehr zu befriedigen, oder den Zusammenhang mit dem folgenden zu unterbrechen. Er ist also besonders im Anfang eines Stüks, wo es nöthig ist, daß zu genauer Bestimmung der Tonart vorzüglich die sogenannten wesentlichen Sayten gehört werden, nüzlich zu brauchen. Also dienet dieser Accord zu Verlängerung einzeler melodischer Säze, und zu Vermeidung der Ruhepunkte. Aber eben deswegen, kann man ihn gleich im Anfang, wo das Gehör von dem Dreyklang der Tonica muß eingenommen, und am Ende, wo es in Ruhe muß gesezt werden, nicht brauchen.

Was aber sonst über den Gebrauch und die Behandlung dieses Accords zu sagen wäre, ist in Hr. Kirnbergers Kunst des reinen Sazes6 so vollständig angezeiget, daß es überflüßig wäre, hier etwas davon zu wiederholen, da jeder, der über die Wissenschaft der Harmonie Unterricht bedarf, dieses Werk vor allen andern nöthig hat.

1S. Dreyklang, Verwechslung.
2S. Vorhalt.
3S. Septimenaccord.
4S. Kirnbergers Kunst des reinen Sazes S. 59.
5S. Dreyklang.
6S. 50. u. s. f.
Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 2. Leipzig 1774.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Knigge, Adolph Freiherr von

Über den Umgang mit Menschen

Über den Umgang mit Menschen

»Wenn die Regeln des Umgangs nicht bloß Vorschriften einer konventionellen Höflichkeit oder gar einer gefährlichen Politik sein sollen, so müssen sie auf die Lehren von den Pflichten gegründet sein, die wir allen Arten von Menschen schuldig sind, und wiederum von ihnen fordern können. – Das heißt: Ein System, dessen Grundpfeiler Moral und Weltklugheit sind, muss dabei zum Grunde liegen.« Adolph Freiherr von Knigge

276 Seiten, 9.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Frühromantik

Große Erzählungen der Frühromantik

1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.

396 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon