Das alte Römische Reich

[314] Das alte Römische Reich. Unter allen Staaten der vorigen Zeit hat dieses für uns das größte Interesse, und verdient daher eine nähere Betrachtung. Deutsche und Römer kamen frühzeitig durch Kriege mit einander in Verbindung, und erstere wurden endlich die Ueberwinder der letzten. Sitten, Gesetze und Gewohnheiten gingen zum Theil auf die Sieger über; und die Aufnahme des Römischen Gesetzbuchs in Deutschland (1495) vollendete endlich die Vermischung der Deutschen und Römischen Verfassung, und erhöhte zugleich die Nothwendigkeit, letztere gründlich zu studiren. Die Sprache der alten Römer erhielt durch die Universitäten im Mittelalter eine Allgemeinheit, welche ihr in neuern Zeiten nur die Französische streitig machen konnte, und bekam durch die Wiederauflebung der Wissenschaften einen neuen Glanz, der sie auf immer vor dem Untergang sichern wird. Es ist bekannt, wie schwach der neue Staat war, den Romulus (573 J. vor Chr. Geb.) gründete (s. den Art. Romulus), wie er aber bald durch die weisen Gesetze seiner Regenten und durch die Tapferkeit seiner Bewohner allen Nachbarn furchtbar wurde und zu einer beträchtlichen Größe anwuchs. Der Umsturz des Königthums unter Tarquin (509 vor Chr. Geb.), wodurch das Reich in eine Republik, aber in keine demokratische, sondern höchst aristokratische verwandelt wurde, änderte im Ganzen nichts. Die Römische Tapferkeit nahm zu, und Frugalität, Religiosität und Patriotismus knüpften die [314] Bürger immer fester an den Staat. Die Streitigkeiten zwischen Aristokraten und Demokraten (Patriciern und Plebejern) dauerten fort, ohne eine gänzliche Auflösung einer von beiden Parteien zu bewirken; ein Theil um den andern gab nach; und so war die Ruhe wieder auf einige Zeit gesichert. Dieser glückliche Zustand dauerte ungefähr bis zum Ende des zweiten Punischen Kriegs (217 Jahr vor Chr. Geb.); nachher bewirkten die Macedonischen Kriege gegen die Könige Philipp und Perseus, und die Einnahme von Carthago und Corinth (145 Jahr vor Chr. Geb.) eine große Veränderung im Römischen Nationalcharakter. Die Heere waren in den andern Welttheilen in Weichlichkeit versunken; ihre zurückgebrachte große Beute entwöhnte die Römischen Bürger von der ehemahligen Mäßigkeit; die Größe der Eroberungen vermehrte ihre Habsucht, und gab ihnen den unglücklichen Gedanken ein, daß alle Völker der Erde von ihnen Befehle annehmen müßten; Bestechlichkeit, Luxus, Völlerei, Ueppigkeit und Unterdrückung der Bundesgenossen fingen an überhand zu nehmen: dazu kamen gefährliche Unruhen im Innern, wo die Eifersucht der Feldherren jede gemeinnützliche Absicht verhinderte. Bald gerieth die Oberherrschaft in die Hände von einzelnen glücklichen Anführern der Legionen; und nun traten die blutigen Verfolgungen eines Marius und Sulla (85–77 Jahr vor Chr. Geb.) ein, wodurch nicht nur Rom, sondern ganz Italien auf das fürchterlichste verwüstet, seiner besten Bürger durch blutige Proscriptionslisten beraubt, und größten Theils in eine jammervolle Einöde verwandelt wurde. Aller Patriotismus und Eifer fürs Gute schwand immer mehr aus den Herzen der Römer; sie sanken im Ganzen zu Nichtswürdigen herab, die gemeinere Seelen hatten, als ihre Sclaven. Zwar gab es noch einige Männer von Altrömischer Denkungsart, die mit glühendem Eifer für die Republik beseelt waren; aber was half z. B. einem Brutus die Ermordung Cäsars? (43 J. v. Chr. Geb.) was einem Cato und Cicero alle Bemühungen, die Republik zu retten? konnten sie wohl verhindern, daß das Bedürfniß nach einem Alleinherrscher über die unrepublikanischen Bürger nicht täglich dringender worden wäre? Octavian, ein Verwandter Cäsars, gelangte (im J. 26. v. Chr. Geb.) unter dem Namen Augustus zu dieser Würde, und verwaltete sie unter der ehemaligen republikanischen [315] Form immer noch mit vieler Mäßigkeit. Das übergroße Römische Reich begriff damahls alle Küstenländer des Mittelmeers bis an den Rhein, die Donau, den Kaukasus, den Euphrat, die Arabischen und Lybischen Wüsten, und bald nachher auch einen Theil von Großbritannien. Der Flächeninhalt dieses ungeheuern Staatskörpers betrug an 100,000 geographische Quadratmeilen, und übertraf also neun Mal an Größe das ehemalige Frankreich oder Deutschland. Allein in Rom wohnten wenigstens 1,500,000 Menschen; und diese Anzahl vermehrte sich oft noch um ein beträchtliches. Augusts Nachfolger, unter denen eine Menge unwürdige Regenten eine wahre Geißel für die Menschheit wurden, behielten zwar auch die republikanischen Formen bei; aber eigentlich ging denn doch alles nach ihrem Willen: und die wahre Regierungsverfassung war monarchisch und militärisch. Die glücklichen Regierungen eines Vespasian, Trajan und Hadrian konnten den wankenden Staatskörper noch retten, und das friedliche Zeitalter der Antonine (138–180 nach Chr. Geb.) ihm sogar einen neuen Glanz geben; aber es war nur eine vorübergehende Erscheinung, ein täuschender Schimmer, der unter der Regierung der nachherigen Kaiser, unter denen sich wenige rechtschaffne Männer befanden, von den fürchterlichen Gährungen, welche das Reich erschütterten, auf einmal vernichtet wurde. Es bedurfte kräftiger Gegenmittel, wenn nicht das Reich eine Beute seiner äußern Feinde werden, oder sich in sich selbst auflösen sollte. Eine solche Totalreform bewirkte Constantin der Große (325 nach Chr. Geb.) theils dadurch, daß er die christliche Religion zur allgemeinen Staatsreligion erhob, theils aber auch, daß er eine neue Eintheilung des Reichs und ein neues Verwaltungssystem einführte. Wären seine Nachfolger nicht schwache Regenten gewesen, hätte nicht die Verlegung der Regierung von Rom nach Constantinopel eine nachtheilige Wirkung auf den Occident gehabt; so hätte der Untergang des Reichs vielleicht noch aufgeschoben werden können. Die Theilung des Reichs, die Theodosius (im J. 395) unternahm, vollendete das Verderben. Seine Söhne, Arcadius und Honorius, wurden ein Spiel ehrsüchtiger und herrschbegieriger Rathgeber. Der Occident erhielt nach dem Honorius nur noch Schattenregenten; und es wurde daher [316] dem Odoacer, dem Anführer der Heruler und andrer Deutschen, die in Römischen Kriegsdiensten standen, leicht, im Jahre 476 den letzten dieser Schwächlinge, den Romulus Augustulus, seiner Würde zu entsetzen und sich zum Herrn des Römischen Reichs zu erheben. Dieß war das Ende eines Staats, der 1229 Jahr bestanden, und durch seine ungeheure Größe die übrige Welt gleichsam erdrückt hatte. Aus seiner Asche erhob sich in Nom nach und nach ein neues fürchterliches Regiment, das die gesammte Christenheit Jahrhunderte lang in neue Fesseln warf, und sich mit eisernem Scepter unbedingten Gehorsam ertrotzte. Rom schien dazu bestimmt, der übrigen Welt als Republik, als Kaiserstadt und als Residenz der Päpste Gesetze vorzuschreiben. – Noch müssen wir etwas über den Zustand der Cultur und der Wissenschaften unter den alten Römern bemerken. Es dauerte lange, ehe die Künste der Griechischen Musen bei ihnen Eingang fanden; man hielt Griechische Wissenschaft und Griechische Sprache für zu weichlich und eher für geschickt, die Sitten zu verderben und die Größe des Charakters zu schwächen, als Aufklärung und eine edle Geistesausbildung zu befördern. Mußte sich doch ein Cicero noch entschuldigen, daß er die Philosophie der Griechen im vaterländischen Gewand darstellte, und überhaupt ein Freund der Wissenschaften war. Aber mit ihm begann auch die Epoche der auflebenden Römischen Literatur. Zwar blieben die Römer in den meisten Zweigen der schönen Wissenschaften nur Nachahmer der Griechen; dessen ungeachtet sind aber diese Nachahmungen nichts weniger als sclavisch, sondern athmen eigne Schöpferkraft und eignes Dichtergefühl. Die Werke eines Virgil, Horaz, Terenz, Catull und Tibull werden stets mit Vergnügen gelesen werden, und die Schriften des Cicero wegen ihres belehrenden Inhalts und der schönen Sprache nie in Vergessenheit kommen. Sallust, Cäsar und Livius sind Muster classischer Geschichtschreiber. Alle diese Männer bildeten das so genannte goldne Zeitalter der Römischen Literatur. Mit dem Wachsthume des Despotismus unter den Kaisern verstummte Denk- und Schreibefreiheit; und es bedurfte eines Fürsten wie Trajan, um der Literatur wieder aufzuhelfen, und Schriftstellern die Bahn zu öffnen wie Tacitus, Quinctilian und der jünger, [317] Plinius waren. Im Verlaufe der folgenden Regierungen sanken Künste und Wissenschaften zugleich mit der Sprache immer tiefer, und nur selten erhob sich ein Schriftsteller ein wenig über das Zeitalter, das mit Recht den Namen des kupfernen und eisernen trägt. Die Ursachen, die überhaupt den Fall des Reichs beschleunigten, beförderten auch den Untergang der Literatur. – Zur nähern Kenntniß des Römischen Reichs und seiner Einwohner dienen, außer den größern Geschichtswerken von Ferguson und Gibbon, die Schriften von Meierotto, Meiners und Krause (in dem ersten Bande seiner Gesch. d. wicht. Begeb. d. heut. Europa). Als Handbuch sind die Römischen Alterthümer von Nitsch zu empfehlen.

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Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 4. Amsterdam 1809, S. 314-318.
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