[319] Römische Mythologie. Die Religion der alten Römer war nicht zu allen Zeiten dieselbe. In den ältesten Zeiten war sie sehr einfach; für die wenigen Götter, welche man durch einfache Symbole bezeichnete, gab es weder Bilder noch Tempel. Janus war der älteste Gott, der Gott der Götter, u. an ihn schlossen sich dann Jupiter, Mars, Quirinus, Saturnus, Jana, Juno, Ops u. Vesta. Durch die Ansiedelung der Sabiner in Rom wurde dieser Kreis erweitert durch die Götter Sol, Luna u.a. Diese ältesten, großen Götter (Dii selecti) wurden aber ins Unbegrenzte getrennt; denn es gab sowohl Götter aller einzelnen Momente der Entwickelung u. des Verlaufes des menschlichen Lebens, als auch Schutzgötter der einzelnen menschlichen Beschäftigungen. Unter ersteren hatte man Götter, welche der Entwickelung des Menschen von seiner Empfängniß bis zu seiner Geburt vorstehen, wie Janus, Saturnus, Alemona, Diespiter, Lucina, Egeria u. v. a., Götter des Kindes- u. Jünglingsalters, welche dafür sorgen, daß die Kinder gedeihen, daß sie stehen, essen, reden etc. lernen, welche über ihnen wachen beim Ausgehen, Heimkehren, Schlafen, Entschlußfassen etc.; dann Götter des späteren Lebensalters, des Brautstandes u. der Hochzeit, der Ehe u. des Todes, des Ackerbaues, der reisenden u. eingebrachten Früchte, der Obstzucht (Pomona), der Rinder-, Pferde-, Schaf-, Bienenzucht, der blühenden Weiden (Flora), der Hirten (Silvanus), des Forstwesens, der Handlungen beim Opfern, aller Theile des Hauses, der Hügel, Berge etc. Alle diese Götter, welche schon in der Königszeit vorhanden waren, wie denn Numa als Begründer der römischen Religion gilt, hießen Dii certi, weil ihr Begriff so genau bestimmt war, daß man wußte, an welchen von ihnen man sich in jedem Momente zu wenden hatte; sie sind Abstractionen der Kräfte der Natur, unter deren Gewalt der Mensch steht, welche er sich aber dienstbar machen kann durch pünktliche Befolgung der vom Staate für die Götterverehrung gegebenen Gebote. Diese Gebote werden dem Privatmann von dem Staate gegeben, ihre Ausführung für den Staat selbst übernahmen die Priester. So war die römische Religion ein Institut des Staates, welches objectiv gegeben war u. aller Reflexionen entbehrte; ihr politischer Charakter beruhte in der Bedenklichkeit, ob in allen Punkten die vorgeschriebenen Verpflichtungen gegen die Götter erfüllt seien, weil die Götter nur nach Erfüllung der religiösen Pflichten dem Staate Schutz, Bestand u. Blüthe gewährten. Ein zweiter Begründer u. Bildner des römischen Religionswesens wurde König Servius Tullius, welcher aus Etrurien, einem Lande mit ausgebildeten Götterculten, gekommen, einen förmlichen Cultus mit Götterbildern u. Tempeln einführte. Ihren Charakter behielt die Römische Religion auch bei u. prägte ihn noch mehr aus, als sie mit dem Anfang der Republik eine Umgestaltung erfuhr, welche theils aus der Erweiterung des ursprünglichen Götterkreises hervorging, theils in Folge der politischen Verhältnisse, theils durch die Sibyllinischen Bücher veranlaßt wurde. Erweitert wurde der Götterkreis durch jene Zerspaltung der ursprünglichen großen Götter u. durch das Bekanntwerden mit fremden Gottheiten, welche man zuließ, um keinen bisher unbekannten Gott zu übergehen od. zu beleidigen. Eine Erweiterung des ursprünglichen Gottesdienstes wurde ferner nothwendig, als die Plebejer Berechtigung zur Theilnahme an den Sacra u. im Jahr 300 v. Chr. auch Zutritt zu allen politisch wichtigen Priesterthümern bekamen, damit war die geistliche u. weltliche Macht des Staates vereinigt u. so die Einheit des Staates in gottesdienstlicher wie in politischer Beziehung erreicht. Auch durch die Sibyllinischen Bücher, welche bei Calamitäten, in welchen die gewöhnlichen Cultushandlungen zur Sühnung des göttlichen Zornes nicht auszureichen schienen, Rath ertheilten, wurde ein neuer, vom Staate übernommener Cultus eingeführt, indem dieselben einem Priestercollegium überwiesen wurden. Ferner fanden durch die Sibyllinischen Bücher die den Römern bisher unbekannten Götter Apollo, Artemis, Latona, Ceres, Dis, Proserpina, Cybele, Venus, Äsculapius Eingang, u. der römische Cult des Mars, Hercules u. Saturnus wurde durch den griechischen wenigstens theilweise verdrängt; ja durch die Vermittelung dieser Bücher ward bis zum zweiten Punischen Kriege neben dem System der altrömischen Götter das ganze System der griechischen Gottheiten in Rom eingebürgert, so daß seit dieser Zeit die zwölf Götter (Jupiter, Juno, Neptunus, Minerva, Mars, Venus, Apollo, Diana, Vulcanus, Vesta, Mercurius, Ceres) als die Dii maiores anerkannt wurden. Mit den Punischen Kriegen beginnt der Verfall der römischen Staatsreligion, bes. durch das Bekanntwerden mit der griechischen Philosophie, welche, da der Zwiespalt zwischen der subjectiven Ansicht des Einzelnen u. der Lehre des Staates immer mehr hervortrat, die Gebildeten veranlaßte, nach den inneren Gründen des religiösen Systems zu forschen. Aber dadurch wurden die alten hohen Göttergestalten in den Kreis des gewöhnlichen Menschenlebens herabgezogen, u. darüber, daß man großen Männern schmeichlerisch huldigte, die väterlichen Götter vergessen. So nahm man bald eine dreifache Theologie an, eine der Dichter, eine der Philosophen u. eine des Staates, u. suchte diese sogar zu vereinigen. Dazu kam der Umstand, daß die politische Thätigkeit des Volkes in den Vordergrund, die religiöse aber zurücktrat. Denn so lange die obersten Priestercollegien ihre frühere hohe Stellung u. ihr großes Ansehen behaupteten, fanden sie darin eine Entschädigung für die ihnen auferlegte Fernhaltung von den öffentlichen Geschäften; als aber nach dem zweiten Punischen Kriege die Theilnahme am Kriege, das Streben[319] nach persönlichem Einfluß u. bes. die Möglichkeit sich im Staatsdienst zu bereichern, dem Ehrgeize lockende Ziele waren, begannen die Priesterthümer eine lästige Bürde zu werden. So sanken die Priestercollegien in der Achtung, die Tempel, welche nur noch als Gräber verstorbener Götter galten, verfielen od. standen leer, wurden geplündert u. zum Privatbesitz verwendet; die Götter selbst kamen in Vergessenheit; nur die Hauptgötter, deren Cultus noch bestand, erhielten durch ihre Identificirung mit den griechischen Göttern ihre scheinbare Existenz, hatten aber ihren altrömischen Charakter verloren u. waren wesenlose Schatten geworden, deren Cultus in Sittenlosigkeit ausartete, wie es bes. die Kaiserzeit zeigt. Unter diesen Verhältnissen war es nun unentbehrliches Bedürfniß, einen positiven Anhalt für die religiöse Befriedigung wiederzugewinnen u. einen Ersatz für die verlorene eigene Religion zu finden; u. man nahm theils zu den überspannten, theils zu den geheimnißvollen Culten des Orients seine Zuflucht. Schon 204 v. Chr. war die Magnamater (Cybele) nach Rom übergesiedelt, aber ihr Cult war der römischen Sitte angepaßt worden. Gegen den Willen der Regierung u. anfangs unterdrückt, fanden die ägyptischen Götter Isis (im Jahr 43 v. Chr.), Serapis, Osiris, Anubis u.a. in Rom Eingang, indem diese Dienste durch Enthaltsamkeit von Speisen u. sinnlichen Genüssen, durch Sühnung u. Reinigung zur Heiligung des Lebens u. zu einer wahren Erkenntniß des göttlichen Wesens führen wollten. Außer diesen Culten gewannen bis zur Zeit der Antonine die griechischen Mysterien der Eleusinischen Ceres, des Sabazius, der Venus u. des Adonis Eingang u. Verbreitung, sowie auch jüdische Ceremonien. In der Folgezeit, welche sich fast ausschließlich dem Orient zuwendete, wurde der Dienst des Mithras der in Rom bei Weitem verbreitetste, während die alten Culte immer mehr außer Übung kamen. Dazu gewann die Astrologie der Chaldäer großes Ansehen in Rom, u. eine Menge der verschiedenartigsten Orakelbefragungen u. abergläubische Gebräuche, wie Geheimmittel, Amulete, Besprechungen u. Beschwörungen, nahmen überhand. Die Verfolgungen des alten Gottesdienstes begannen mit dem Übertritt Constantins des Großen zum Christenthume (324) durch Zerstörung der Tempel u. Götterbilder, Confiscation der Einkünfte etc.; sie wurden fanatischer unter dessen Nachfolgern, u. nachdem Julian (36163) einen nochmaligen, aber mißglückten Versuch gemacht hatte, die alte Religion wieder herzustellen, vernichtete endlich Theodosius der Große (seit 379) das Heidenthum gewaltsam.
I. Die Darstellung der römischen Götter, welche in der Blütheperiode des Reiches verehrt wurden, gestaltet sich in ihren verschiedenen Beziehungen folgendermaßen: A) Nach ihrer Stellung: a) Götter der ersten Ordnung (Dii magni, Dii majorum gentium), zu ihnen gehörten: aa) die zwölf obersten Götter, welche den Götterrath bildeten (D. consentes od. D. complices, s. b.); es waren sechs männlichen u. sechs weiblichen Geschlechts: Jupiter, Mars, Mercurius, Neptunus, Vulcanus, Apollo; Juno, Vesta, Minerva, Ceres, Diana, Venus (s.d. a.); bb) die auserwählten (Dii selecti) od. die alten ursprünglichen Götter: Janus, Mars, Quirinus, Saturnus, Jana, Juno, Ops, Vesta, Sol, Luna. b) Götter der zweiten Ordnung (Dii minores, Dii minorum gentium): aa) Dii indigetes, vergötterte Heroen: Hercules (Sancus, Semo), Castor u. Pollux, Äneas (Jupiter Indiges), Romulus (Quirinus), Albunea, Portumnus; bb) Semones (Dii plebeji), Halbmenschen: Silvanus, Faunus, Pan, Vertumnus, Pomona, Flora, Terminus, Mutinus, Pales u. v. a. Dazu gehörten cc) die Geister (Genii), welche in der R. M. von großer Bedeutung waren; außer dem Genius gehörten bes. die Lares, Penates, Manes, Lemures, Larvä, Mania hierher, sie waren theils Schutzgeister (Dii tutelares) des Staates u. der Häuser, theils unterirdische Geister; dd) fremde Götter (Dii peregrini), bes. orientalische, wie Isis, Mithras etc. (s. oben); die griechischen Heroen waren nur von Dichtern adoptirt. B) Nach den Orten ihres Waltens od. ihrer Verehrung hießen Götter: a) Dii coelestes od. D. superi, himmlische od. obere Götter; b) Dii marini, Meergötter, wie Oceanus, Neptunus; c) Dii inferi, welche in der Unterwelt wohnten, zu letzteren gehörten Pluto, die Manen etc.; d) Dii medii, Götter, welche zwischen den himmlischen u. unterirdischen, also auf der Erde, ihren Sitz hatten, dazu gehörten: Dii aquatiles, Wassergötter, überhaupt die Quellnymphen, Flußgötter etc. u. Dii litorales, Götter, welche an den Gestaden verehrt wurden u. deren Tempel auf Vorgebirgen standen; Dii semitales u. D. viales, welche auf Steigen u. Straßen verehrt wurden, wie die Lares, Compitales, Hecate etc. C) Nach ihrem Wirkungskreise: a) Dii averrunci, Unglück abwendende; b) Dii geniales, gesellige Freude fördernde, wie Bacchus etc.; c) Dii magici, welche bei Beschwörungen angerufen wurden, wie Pluto, Hecate; d) Dii conjugales, Ehegötter, Jupiter, Juno, Venus, Genius, Hymenäus; e) Dii natalitii, die nach der Geburt eines Kindes für Erhaltung, Wachsthum u. Gedeihen sorgenden Gottheiten: Deverra, Edusa, Levana, Farinus, Juventus, Statilinus, Fabulinus u. v. a.; f) Dii nautici, Götter der Schifffahrt, wie Glaucus, Melicertes, Albunea, Portumnus etc.; g) Dii hospitales, über die Gastfreundschaft wachende, bes. Jupiter; h) Dii rustici, Feldgötter: Pales, Pan, Pomona; ferner Lactans, Nodotus, Rubigo, Runcina, Insitor, Obarator, Occator, Picumnus, Pilumnus, Sterculius (s.d. a.) u. v. a.; i) Dii terminales, Grenzgötter, wie Terminus, Jupiter.
Im Bezug auf den Glauben an den II. Zustand nach dem Tode war der römische Glaube nachmals nach dem griechischen gemodelt, u. da der Glaube an eine Fortdauer der Seele in der Unterwelt schon vorhanden war, nahm man von dort Ausschmückung u. Götterpersonal der griechischen Unterwelt in die Landesmythologie auf, nur mit nationalen Veränderungen der Geschäfte der unterirdischen Richter; nach Virgilius hält Minos als Quästor, die Urne, um die Richter nach dem Loose zu wählen; diesen vorsitzend hört er Anklage u. Zeugen, worauf die Richter entlassen werden, um sich über das Urtheil zu berathen; Rhadamanthus vollstreckt dann die bestimmten Strafen. Nach Propertius ist Äacus der Criminalrichter u. Minos u. Rhadamanthus sind nur Beisitzer. Die späteren Dichter lassen nach der zu ihrer Zeit gewöhnlichen Gerichtspflege sogar den Pluto selbst an dem Gericht Theil nehmen (weil nachmals die[320] Kaiser in den Criminalgerichten mit zu Gericht saßen).
III. Die Priesterthümer. Die Götterverehrung war nicht durch einen Priesterstand vermittelt, sondern ging unmittelbar von dem Einzelnen aus. Aber nicht nur der Einzelne, sondern alle Theile des Staates, welche irgendwelche Einheit bildeten, standen unter dem Schutz der Gottheit, hatten ihre Heiligthümer u. repräsentirten ihren Gottesdienst in einzelnen Personen. Es werden private u. öffentliche Heiligthümer (Sacra privata u. S. publica) unterschieden. Erstere wurden von den Einzelnen verwaltet, u. zwar von dem Familienvater als Repräsentanten der Familie, od. von einem aus der Mitte der Gens als Vertreter gewählten Opferpriester (Flamen), welcher in dem Sacellum die Sacra gentilitia vollzog. Diese Sacra privata knüpften sich an den Cultus der Penaten u. Laren (s.d.). Die Sacra publica wurden von öffentlichen, vom Staate dotirten Priestern (Sacerdotes), od. von den Bürgern selbst od. endlich von den einzelnen vom Staate mit der Ausübung neu eingeführter Culte betrauten Gentes od. Sodalitates besorgt. A) Die öffentlichen Priester (Sacerdotes) trugen die Toga praetexta, hatten einen Ehrenplatz bei Festen u. Spielen, waren frei vom Kriegsdienst, von allen bürgerlichen Ämtern, von Abgaben, hatten Grundbesitz, eigene Geldverwaltung, ein vom Staate besoldetes Dienstpersonal (Pullarii, Victimarii, Tibicines u. Fidicines, Viatores, Calatores, Schreiber etc.) u. sind in den großen Collegien enthalten, welche waren: a) das Collegium pontificum u. die mit ihm verbundenen Priesterthümer, nämlich: aa) die Pontifices (s.d.); sie hatten vielfältige Opfer- u. Cultushandlungen, bes. aber den Cult des Vestaheiligthums zu besorgen, sowie den des Saturnus u. der Ops, überhaupt der Schutzgötter Roms, so daß sie, wie der Familienvater dem Cultus der Schutzgötter des Hauses vorstand, an dem Herde des Staates standen u. so den Mittelpunkt des römischen Staatscultus bildeten. Sie hatten ferner als Interpreten des göttlichen Rechtes die Ausübung des Jus sacrum, mußten als solche in Bezug auf den Staat besondere heilige Handlungen an bestimmten Tagen od. Orten vollziehen od. ihren Beistand zu denselben leisten, wenn diese vom Magistrate im Namen des Volkes vorgenommen wurden, wie bei Gelübden u. Prodigien, sowie auch ihre Mitwirkung bei allen regelmäßigen Opfern u. Spielen u. bei Senatsbeschlüssen über Gegenstande des Cultus Nothwendig war, sie mußten Tempel Statuen, Gefäße, Menschen, Thiere etc. weihen, den Kalender anordnen, die von ihnen festgesetzten Feiertage überwachen u. geeignete Tage für Volksversammlungen u. Gerichtsverhandlungen ansetzen. In Bezug auf Privatrechtliche Verhältnisse mußten sie darüber wachen, daß die Sacra privata in dem Wechsel der Familienverhältnisse niemals untergingen u. demgemäß bei Veränderung der Sacra Privata, welche bes. bei Ehen, Erbschaften u. Adoptionen vorkamen, entscheiden. Endlich stand ihnen die Disciplinargewalt über die Priester u. das Aufsichtsrecht über die Sacra zu. An ihrer Spitze stand der Pontifex maximus (s.u. Pontifices). Dem unter ihm vereinigten Collegium gehörten außer den Pontifices auch der Rex u. die Flamines an (s. unten). Die Pontifices minores haben Gehülfen des Collegiums der Pontifices, nahmen Theil an den Berathungen desselben u. an den Festmahlzeiten, vollzogen Cultushandlungen im Namen des Collegiums u. vertraten die römischen Heiligthümer in den italischen Städten u. den Provinzen. bb) Der Rex (Rex sacrorum, R. sacrificulus, s. Rex 2) war dem Pontifex maximus untergeben u. war mit der Ankündigung des Festkalenders, nach welchem der ganze Cult sich richtete, sowie mit dem Priesterthum des Janus beauftragt; auch seine Frau war Theilnehmerin des Priesterthums u. hieß Regina sacrorum. cc) Die Flamines (s. Flamen). Opferpriester, welche zu dem Collegium der Pontifices gehörten; ihrer waren 15, drei patricische, Fl. majores (Flamen Dialis, Martialis u. Quirinalis), welche in dem Collegium Sitz u. Stimme hatten, die übrigen zwölf plebejische, Flamines minores (von denen nur neun namentlich bekannt sind: Flamen Volcanalis, Volturnalis, Palatualis, Furrinalis, Floralis, Carmentalis, Portunalis, Falacer, Pomonalis). Die Hauptthätigkeit der Flamines bestand in dem täglichen Opferdienste. Der vornehmste war der Fl. Dialis, auch, seine Frau, Flaminica, hatte priesterliche Functionen, s.u. Flamen. dd) Die Vestalischen Jungfrauen (Virgines Vestales) für den Dienst der Vesta, s. Vestalinnen. b) Das Collegium der Triumviri epulones, später Septemviri epulones (s. d), welche das Opferfest des Capitolinischen Jupiter jährlich am 14. Novbr. u. die darauf folgenden plebejischen Spiele im Circus anzuordnen u. den Dienst bei den mit Bewirthung des ganzen Volkes verbundenen, von Privatleuten u. dem Staate veranstalteten Spielen bei Dedicationen, Triumphen, Geburtstagen der kaiserlichen Familie u.a. Festlichkeiten hatten. c) Das Collegium der Quindecimviri sacris faciundis war mit Aufbewahrung der Sibyllinischen Bücher u. der durch dieselben eingeführten fremden Culte betraut. d) Das Collegium der Augures, von verschiedener Zahl (216), welches die in den Auguralbüchern überlieferte Wissenschaft von den Auspicien, d.h. der Art von Divination, durch welche man die Genehmigung der Götter zu einer bestimmten Handlung erlangen wollte, bewahrte u. bes. beim Amtsantritt der Magistrate, beim Auszug in den Krieg u. bei Volksversammlungen, sowie bei Inauguration der Priester, der Tempel u. zu öffentlichen Verhandlungen bestimmter Gebäude thätig war, s.u. Augurium. Als Ergänzung zu den großen Priesterthümern ist e) das Collegium der Haruspices zu betrachten, denen die Opferschau, die Procuration von Prodigien u. die Deutung u. Procuration der Blitze oblag, s. Haruspices. f) Das Collegium der Salii, Priester des Mars, s. Salii. g) Das Collegium der Fetiales (s.d.), welche unter feierlichen Gebräuchen Kriege ankündigten u. Frieden abschlossen. h) Die Priester der Sacra popularia. Sacra popularia waren in besonderen Gebäuden (Curien) abgehaltene Opferfeste, bei denen das ganze Volk betheiligt war, bestehend in Supplicationen u. Lectisternien, welche nach griechischem Ritus gefeiert wurden, u. bei denen die priesterlichen Functionen von den Curiones, den Vorstehern der Curien, unter Beistand eines Flamen Curialis, besorgt wurden Der Curio maximus kündigte die gemeinsamen Feste der Curien an, vgl. Curie 1). C) Die Sodalitates od.[321] die Priester der von Staatswegen neu eingeführten Culte; diese waren: a) die Luperci, welche zu den ältesten Priestern in Rom gehörten u. das Hirtenfest der Lupercalia (s.d.) begingen, welches bis 494 n. Chr. bestand; b) die Sodales Titii, ein wahrscheinlich immer patricisches Priesterthum, welches dem Cultus des Königs Titus Tatius gewidmet war, als Inhaber der sabinischen Heiligthümer galt u. bis in die Kaiserzeit bestand; c) die Fratres Arvales, ein Priestercollegium, welches das jährliche, für die Fruchtbarkeit der Felder dargebrachte Opfer besorgte, s. Arvales; d) die Sodales Augustales, ein für den seit dem Jahre 7 v. Chr. öffentlich aufgekommener Cult des Genius des Augustus, aus 21 Priestern bestehendes Priesterthum in Bovillä, welches drei jährlich wechselnde Magistri u. drei lebenslängliche Flamines hatte. Nach dem Vorbild dieser Sodales Augustales wurden später für die folgenden consecrirten Kaiser ähnliche Collegien eingesetzt, wie die Sodales Flaviales für Vespasian u. Titus, die Sodales Hadrianales, Aureliani etc.; überdies wurde für jeden Kaiser ein eigener Flamen gewählt. Diener der Priester (Ministri) u. niedere priesterliche Personen waren: Aeditui, Tempelaufseher, Camilli u. Camillae, Kinder, welche kinderlosen Priestern im Tempel halfen, Popae, Opferschlächter, welche im Amt mit einem Lorbeerkranz bekränzt u. mit einem mit Purpur gestreiften Schurz bekleidet waren; Victi marii, welche bei der Darbringung eines Dankopfers beschäftigt waren etc.
IV. Cultus. A) Heilige Orte waren den Römern: a) heilige Haine (Luci, Nemora), s.u. Hain; b) ein Sacellum war ein, einem Gotte geweihter Platz, worin ein Altar errichtet war; ein Sacrarium bes. eine Hauskapelle; c) Tempel soll schon Janus od. Faunus erbaut haben; nach Letzterm sollen die Fana benannt worden sein, d.h. ursprünglich die für den Bau eines Tempels bestimmten u. zu demselben gehörigen Plätze; ein Delubrum (s.d.) war wahrscheinlich ein als Sühnungsort dienendes Heiligthum; Templum (s.d.), der heilige Platz mit dem Gotteshause u. alle zu demselben gehörenden Nebengebäude, während das eigentliche Tempelhaus Aedes hieß. Die Form der Tempel war mehr viereckig als rund, der Eingang auf der Ostseite u. der Stand des Gottesbildes, die Cella, auf der entgegengesetzten. Sollte ein Tempel errichtet werden, so wurde der dazu bestimmte Ort geweihet, ein Pontifex erflehete von Jupiter, Juno, Minerva u. den Schutzgottheiten des Reiches zur Errichtung des Tempels u. berührte den Grundstein, welcher mit Binden umgeben u. an Seile befestigt war, worauf dieselbe unter Betheiligung von den Magistratspersonen, Priestern, Senatoren, Rittern u. einem Theil des Volkes an seine Stelle gelegt wurde. War der Tempel errichtet, so verrichtete das Collegium der Pontifices das Geschäft der Einweihung, wobei einer von ihnen am Eingang des Tempels stehend, die solenne Formel der Dedication vorsprach u. mit der Hand die Thürpfoste des neuen Tempels faßte, während der dedicirende Magistrat, ebenfalls die Thürpfoste fassend, die Worte nachsprach; alle Pontifices waren bei dieser Feierlichkeit mit der Toga praetexta bekleidet u. hatten das Haupt verhüllt. War ein Tempel verfallen u. er sollte wieder erneuert werden, so bedurfte es nicht allein einer neuen Gelobung, sondern auch einer wiederholten Weihung. Tempel wurden in Rom nicht allein zu gottesdienstlichen Handlungen gebraucht, sondern auch Senatsversammlungen darin gehalten, sowie Gelder u. Staatspapiere aufbewahrt. Die Tempel waren zugleich Asyle für Verbrecher, bis der Kaiser Tiberius dieses Vorrecht aufhob. d) Altäre (Arae), worauf die Opfer gebracht wurden, waren in Tempeln, auf Straßen u. Plätzen unter freiem Himmel; der Aufsatz auf dem Altar, worauf das Opfer gebracht wurde, hieß Altare, der Name der Gottheit, der sie geweihet waren, war daran geschrieben. B) Die Feste (Feriae, Dies festi) waren entweder allgemeine (Feriae publicae) od. besondere (Feriae privatae), u. jene zerfielen wieder in festgesetzte (zu gewissen Zeiten wiederkehrende, Feriae legitimae, stativae) u. willkürliche od. in größeren Perioden wiederkehrende (Feriae conceptivae, F. indictivae), wie die Säcularfeste. Die Anordnung dieser Feste gehörte zu den Obliegenheiten des Pontifex maximus u. machte einen vorzüglichen Theil des Jus pontificium aus. Die Hauptfeste waren: im Januar: am 9. die Agonales (zu Ehren des Janus); am 11. u. 15. die Carmentalia; zu Ende des Januar fiel auch das Fest der Sementinae u. die Paganalia; im Februar: am 15. die Lupercalia; am 17. die Quirinalia; am 21. die Feralia; am 23. die Terminalia; am 27. die Equiria; außerdem an einem unbestimmten Tage des Februar die Fornacalia; im März: Fortsetzung der Equiria; am 17. die Liberalia; vom 19. bis 23. die Quinquatrus; am 23. Tubilustrium; im April: vom 4. bis 10. die Megalesia; von 12. bis 19. die Cerealien; am 15. die Fordicidien; am 21. die Palilia; am 23. die ersten Vinalia; am 25. die Robigalia; am 28. die Floralien; im Mai: am 21. die Agonalia; im Juni: am 9. die Vestalia; am 11. die Matralia; am 13. die kleinern Quinquatrus; am 24. der Fortuna fortis; im Juli: am 5. die Poplifugia; vom 6. bis 13 die Ludi Apollinares; am 7. die Nonae Caprotinae; am 23. die Neptunalia u. am 25. die Furrinalia; im August: größtentheils auf Ernte bezügliche Feste; am 17. die Portunalia; am 19. die Vinalia rustica; am 21. die Consualia; am 23. die Volcanalia; am 25. die Opeconsiva; am 27. die Volturnalia; im September: vom 4. bis 9. die Lud. Romani; im October: das Armilustrium am 19., am 11. die Meditrinalia; den 13. die Fontinalia; im November: vom 4.17. die Ludi plebeii; im December: am 11. die Agonalia; vom 17. bis 19. die Saturnalia; am 21. die Angeronalia; am 23. die Larentalia. Auch fielen zu Ende December die Compitalia. Die Feriae Latinae waren an keinen bestimmten Monat gebunden. Die unter diesen Festen erwähnten Spiel (Ludi) hatten insofern gottesdienstliche Beziehungen, als sie theils als religiöse Veranstaltung theils als zur Verherrlichung der Götter aufgeführt wurden. Man unterschied Ludi stati od. sollemnes, welche zu bestimmten Zeiten an der Festen bestimmter Götter gefeiert wurden; Ludi imperativi, welche an keinem bestimmten Tage gehalten, sondern von den Prätoren nach Gutdünken angesetzt u. von den Präconen ausgerufen wurden, Ludi instaurativi, welche, nach dem Gutachte, der Priester, zum zweiten Male gefeiert wurden wenn bei der ersten Feier ein Versehen vorgefallen war od. ein ungünstiges Zeichen sich gezeigt hatte Ludi votivi, welche in Folge eines Gelübdes, bei[322] in den Krieg ziehender Feldherrn, gefeiert wurden; in der Kaiserzeit wurden nach Zurücklegung einer fünf-, zehn-, zwanzigjährigen etc. Regierung Ludi quinquennales, decennales, vicennales etc. gefeiert; schon früher nach Ablauf eines Säculum die Ludi saeculares, s. Saeculares ludi. Berühmt waren bes. die Circen fischen Spiele (Ludi Romani), das große jährliche Nationalfest der Römer; die Megalensischen Spiele, zu Ehren der Cybele; die Cerealischen Spiele, zum Gedächtniß des Raubes der Proserpina; die Martialischen Spiele, zu Ehren des Mars Ultor; die Apollinarischen Spiele, zu Ehren des Apollo u. der Latona; die Capitolinischen Spiele, zu Ehren des Jupiter; die Consualischen Spiele, zu Ehren des Neptun gefeiert, s.d. a. Indeß büßten die Spiele bei ihrer zunehmenden Häufung einen Theil ihres religiösen Charakters ein u. dienten nach u. nach nur zu Lustbarkeiten des Volkes. C) Gebete. Die Betenden standen mit verhülltem (od. nach griechischem Ritus mit unverhülltem) Haupt gegen Morgen gewendet, die Hände zum Himmel erhebend; ein Priester sagte die Formel vor u. diese nachsprechend berührte der Betende den Altar. Betfeste (Supplicationes, Precationes) wurden bald als Bußtage zur Abwendung des Zornes der Götter (Obsecrationes, Procurationes), bald als Dankfeste nach glücklichen Ereignissen gehalten u. waren mit feierlichen Processionen, Opfern u. Göttermahlen (s. unten) verbunden. Über die Gelübde (Vota), s.u. Gelübde. D) Opfer (Sacra, Sacrificia). Die Opfergaben, welche man in alter Zeit den Göttern darbrachte, waren Erstlinge der Früchte, Mola salsa (gesalzenes Schrot von gedörrtem u. gestampftem Spelt), Speisen, Milch u. Wein; die Gesetze des Numa kannten weder blutige Opfer, noch Weihrauch, welcher später bei keinem Opfer fehlte; die später allgemein eingeführten Thieropfer scheinen ihren Anfang unter den letzten Königen genommen zu haben. Die Opferthiere (Hostiae, Victimae) mußten frei von Fehlern u. Flecken sein u. durften, wenn es Rinder waren, nicht unter dem Joch gegangen sein. Die Opferceremonien der Römer in später Zeit waren meist von den Griechen entlehnt. Der ein Opfer Bringende wusch sich, zog weiße Kleider an u. bekränzte sich mit Blättern von dem Baume, welcher dem bezüglichen Gotte heilig war. Nachdem das Opferthier geschlachtet u. verbrannt worden war (über den dabei beobachteten Ritus s.u. Opfer S. 308) wurde das Volk durch den Ruf ilicet! (ihr könnt gehen!) entlassen. Nach dem Opfer folgte die Opfermahlzeit (Lectisternium), bei welcher man die Statue des Gottes auf ein Polster legte u. ihr einen Tisch mit Speisen vorsetzte, s.u. Lectisternium. Zu den Religionshandlungen gehörten ferner E) Reinigungen (Lustrationes) u. Sühnungen (Expiationes); das Opfer bei einer Sühnung hieß Piaculum. Die öffentliche Lustration u. Expiation des Volks geschah alle fünf Jahre (Lustrum) nach vollendetem Census von einem der Censoren, wobei das Opfer Suovetaurilia (s.d.) gebracht wurde, s.u. Lustratio. Am Fest des Mercur sühnten sich die Kaufleute selbst von ihren Unredlichkeiten, indem sie Lorbeerzweige ins Wasser tauchten u. sich u. die Vorübergehenden damit besprengten. Über die Sühnung der vom Blitz getroffenen Orte s.u. Blitz S. 894. F) Die religiöse Weihung (Consecratio) erhielten außer Tempeln (s. oben B) c) auch Altäre, Statuen, Opfergeräthe etc. Über die Selbstweihung zum Tode bei großen Gefahren (Devotio) s.u. Devotion. Die passive Devotion war eine Art Verwünschung zum Untergang (Execratio), welche mit der Evocatio, der Aufforderung an die Schutzgötter der devovirten Stadt, dieselbe zu verlassen verbunden war. G) Die Weissagungen u. Orakel in griechischer Weise an bestimmten Stätten gegeben, waren den alten Römern unbekannt, aber sie hatten schon früh Wahrsager, unter denen Cn. u. P. Marcius berühmt sind, deren Orakelsprüche auch gesammelt waren. Erst unter den Kaisern lebten die Orakel auf; damals gab es auch Traum-, Quellen-, Schlangenorakel etc. In der Blüthezeit der Religion suchte man die Zukunft zu erforschen durch: a) die Vogelschau (Augurium), s.u. Augurium; b) durch Erklärung der Vorbedeutungen (Prodigia, s.d. u. Haruspices): c) durch die Beobachtung der Eingeweide der Opferthiere (Extispicium. s.d.): d) durch Befragung der Sibyllinischen Bücher (Libri sibyllini), s.u. Sibyllen. Religiöse Gebräuche kamen auch vor bei Verheirathungen (s. Ehe), bei den Eidschwüren (s. Eid), bei Leichenbestattungen (s. Todtenbestattung).
Quellen: Außer den älteren Werken von Pomay, Damm, H. Braun, Seybold, Moritz, Germann, bes. von Constant, Du polythéisme Romain, Par. 1833, 2 Bde.; Hartung, Die Religion der Römer, Erl. 1836, 2 Bde.; Kon u. Schwenck, Mythologie der Römer, Frankf. 1845, Heffter, Mythologie der Griechen u. Römer, Potsd. 1845 ff., 2. A. 1848, Preller, Römische Mythologie, Berl. 1858; die mythologischen Wörterbücher von Heinrich, n. A. von Schwabe, Lpz. 1770; von Gruber, Wörterbuch der altklassischen Mythologie u. Religion, Weim. 1810 ff., 3 Bde.; Nitsch, Mythologisches Wörterbuch, n. A. von Klopfer, Lpz. 1820 f., 2 Bde.; die Monographien von Hüllmann, Jus pontificium der Römer, Bonn 1837; Klausen, Äneas u. die Penaten, die italischen Volksreligionen unter dem Einfluß der griechischen, Hamb. u. Gotha 1840, 2 Thle.; S. Mommsen, De collegiis et sodaliciis Romanorum, Kiel 1843; Ambrosch, Über die Religionsbücher der Römer, Bonn 1843; außerdem vgl. Rüdiger, De statu et conditione paganorum sub imperatoribus Christianis post Constantinum, Bresl. 1825; Tzschirner, Der Fall des Heidenthums, Lpz. 1829; Beugnot, Histoire de la destruction du paganisme, Par. 1835, 2 Bde.; Krahner, Grundlinien zur Geschichte des Verfalls der römischen Staatsreligion, Halle 1837; E. von Lasaulx, Der Untergang des Hellenismus u. die Einziehung seiner Tempelgüter durch die christlichen Kaiser, München 1854.
Brockhaus-1809: Das alte Römische Reich · Die Mythologie
Brockhaus-1837: Römische Sprache und Literatur
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