[100] Römische Literatur. Die bei den Römern vorhandenen mannigfachen Keime einer nationalen Literatur sind an selbständiger Ausbildung verhindert worden durch das seit Mitte des 3. Jahrh. v. Chr. beginnende Eindringen der vollentwickelten griechischen Literatur. In der unter diesem Einfluß entwickelten römischen Literatur lassen sich vier Perioden unterscheiden. Die erste Periode beginnt mit Livius Andronicus, einem Griechen, dessen Übertragungen griechischer Dramen und der Homerischen Odyssee den ersten Anstoß zur Entwickelung einer sich ganz an griechische Muster anschließenden Kunstpoesie gab. Die stetig zunehmenden Berührungen mit den Griechen ließen griechische Bildung trotz manches Wiederstandes immer mehr in Rom Platz greifen. Während die Prosa römischen Staatsmännern vorwiegend ihre Ausbildung verdankt, sind die Hauptvertreter der Poesie dieses Zeitalters durchaus Nichtrömer. Zu selbständiger Entwickelung gelangte nur eine den Griechen nicht entlehnte Dichtgattung, die Satire. Die Dauer dieser Periode der beginnenden Blüte reicht bis zum Tode Sullas (78 v. Chr.). Die zweite Periode, gewöhnlich das »goldene Zeitalter« der römischen Literatur genannt, reicht bis zu Augustus' Tode (14 n. Chr.). Die Ausbildung der Sprache erscheint vollendet, griechische Muster sind durchaus Maßstab für die Darstellung. Mit der Beredsamkeit, die in dieser Periode unter Cicero ihren Höhepunkt erreichte, erhob sich auch die Geschichtschreibung. Während auf dem Gebiet der Poesie das Drama immer mehr zurücktrat, fand namentlich im Augusteischen Zeitalter das heroische wie das didaktische Epos vielseitige Pflege, und die römische Lyrik bildete sich eigentlich erst jetzt aus. Die dritte Periode oder das »silberne Zeitalter« vom Tode des Augustus bis ungefähr zum Anfang der Regierung Hadrians (14117 u. Chr.) weist noch eine Anzahl hervorragender Vertreter der Literatur auf, wie Seneca, Petronius, Plinius, Quintilianus, Tacitus, Martialis; doch bereitet sich schon der Verfall vor, namentlich auf dem Gebiete der Poesie. Immer mehr werden die Rhetorenschulen Mittelpunkt des geistigen Lebens, und die ganze Literatur wird von ihrer auf das Künstliche gerichteten Manier beeinflußt. In der vierten Periode, dem »eisernen Zeitalter«, bis zum Untergang des weströmischen Reiches (476), zeigt sich die Literatur im Absterben begriffen. Abgesehen von der Jurisprudenz, die in den ersten 100 Jahren nach Hadrian ihren Höhepunkt erreicht, weist sie nur Weniges auf, was um seiner selbst willen zu schätzen wäre und mehr als ein historisches Interesse böte. Rom verliert immer mehr den maßgebenden Einfluß auf die nationale Literatur, und in den Provinzen, besonders Afrika und Gallien, bilden sich eigenartige Richtungen aus. Von den Provinzen geht aber auch die zunehmende Entartung der Sprache aus, die allmählich auch in die Schriftsprache eindringt.
Wenn Livius Andronicus, der Begründer der römischen Kunstpoesie, von den griechischen Kunstgattungen das Drama 240 v. Chr. zuerst in Rom einführte, so geschah dies aus dem rein praktischen Grunde, daß für diese Gattung sich damals allein ein Anknüpfungspunkt bot in der Vorliebe der italischen Völker für dramatische Darstellungen und in dem Vorhandensein einer stehenden Bühne in Rom, auf der im Anschluß an die römischen Spiele von gewerbsmäßigen Schauspielern sogen. Saturae, mit Flötenspiel und mimischem Tanz verbundene Gesangvorträge, ausgeführt wurden. An improvisierten dramatischen Spielen mancher Art hatte sich von jeher die italische Bevölkerung erlustigt; diese volkstümlichen Spiele bestanden fort, wurden aber von den Vertretern der Kunstpoesie zunächst nicht berücksichtigt und erfuhren erst gegen Ende der Republik kunstmäßige Behandlung. Die dramatische Tätigkeit des Livius beschränkte sich auf bloßes Übersetzen griechischer Tragödien und Komödien, und mehr oder minder freie Bearbeitungen griechischer Originale sind auch überwiegend die Dramen der Nachfolger gewesen. Zwar versuchte bereits der nächste, Gnäus Nävius (gest. 200), selbständige Tragödien national-römischen Inhalts, sogen. Fabulae praetextae, zu schaffen und fand auch Nacheiferung; doch überwog durchaus die Nachbildung griechischer Tragödien. Von den bedeutendsten Vertretern der republikanischen Tragödie, Q. Eunius (239169), M. Pacuvius (220130) und L. Accius (170 bis um 90), sind nur Bruchstücke erhalten. Aus der Kaiserzeit, in der dramatisches Dichten überhaupt bald erlosch, besitzen wir in den Stücken des Seneca die einzigen vollständigen Tragödien der römischen Literatur. Auch die Komödie bewegte sich anfangs in der von Livius eingeschlagenen Bahn mehr oder minder freier Nachahmung griechischer Stücke der neuern Komödie. Ihren Höhepunkt erreichte die sogen. Comoedia palliata durch T. Maccius Plautus (gest. 184) und P. Terentius (gest. 159), von denen wir die einzigen vollständigen Komödien der römischen Literatur besitzen. Ungefähr gleichzeitig mit dem letztern kam die Comoedia togata auf, die nach griechischer Technik nationale Stoffe behandelte, und der sich nunmehr die besten Kräfte zuwandten. Als ihr Hauptmeister galt L. Afranius (um 95 v. Chr.). Im Anfang des 1. Jahrh. v. Chr. machten L. Pomponius und Novius den erfolgreichen Versuch, das alte italische Volksspiel der Atellane (s. d.) kunstgerechter Behandlung zu unterwerfen, was seit der Mitte desselben Jahrhunderts auch mit dem gleichfalls altnationalen Mimus (s. d.) durch Laberius und Publilius Syrus geschah. Atellane und Mimus bestanden in der Kaiserzeit noch lange fort, freilich vorwiegend als Belustigung der untern Volksklassen; die Unterhaltung der höhern Stände bildete der ballettartige Pantomimus.
Den Anfang des römischen Kunstepos bezeichnen ebenfalls Livius Andronicus und Nävius, von denen jener die Odyssee zum Schulgebrauch übersetzte, dieser den ersten Punischen Krieg beschrieb, beide in dem einheimischen saturnischen Versmaß. Eigentlicher Schöpfer des römischen Epos ist Ennius, der mit seinen Roms Geschichte bis auf seine Zeit behandelnden »Annales« den griechischen Hexameter einbürgerte. In der Verherrlichung internationaler Taten bewegte sich das Epos fast ausschließlich bis in Ciceros Zeit, wo man mit Vorliebe mythische Stoffe der Griechen episch zu behandeln anfing, besonders in Anlehnung an die Alexandriner. Eine Probe dieser Richtung ist Catulls Epyllion von der Hochzeit des Peleus und der Thetis, die einzige vollständig erhaltene epische Dichtung der republikanischen Zeit. Im Augusteischen Zeitalter sind beide Gattungen, das historische und heroische Epos, durch eine Reihe von Dichtern vertreten. Beide Richtungen vereinigte in seiner »Aeneïs« Vergilius (7019 v. Chr.), der den Höhepunkt bezeichnet und von unberechenbarem Einfluß auf die Folgezeit ist. Aus dem 1. Jahrh. n. Chr. besitzen wir[100] von historischen Epen hauptsächlich des Lucanus »Pharsalia« und des Silius Italicus »Punica«, während die heroische Gattung des Valerius Flaccus »Argonautica« und des Statius »Thebaïs« und »Achilleïs« vertreten. Die aus den folgenden Jahrhunderten noch vorhandenen historischen Epen von Porfirius Optatianus (4. Jahrh.), Claudianus, Merobaudes, Apollinaris Sidonius (5. Jahrh.), Priscianus, Corippus und Venantius Fortunatus (6. Jahrh.) haben durchaus panegyrische Haltung und dienen der Verherrlichung der Kaiser oder einflußreicher Männer. Von diesen ist Claudianus der bedeutendste Dichter und zugleich neben Dracontius (Ende des 5. Jahrh.) einer der letzten Bearbeiter mythischer Stoffe. Nach dem Siege des Christentums werden von den christlichen Epikern in den alten Formen Stoffe der biblischen Geschichte des Alten (wie von Avitus, Victor, Victorinus) und Neuen (so von Juvencus, Sedulius, Arator) Testaments bearbeitet, und an Stelle der weltlichen panegyrici treten epische Hymnen auf Gott, Christus, Märtyrer, Heilige etc.
Die dem praktischen römischen Sinn besonders zusagende didaktische Dichtung fand früh und zu allen Zeiten Pflege. Doch wurde die epische Form erst gegen Ende der Republik herrschend, wo Lucretius sein philosophisches Lehrgedicht »De natura rerum« verfaßte, die einzige aus republikanischer Zeit vollständig erhaltene Dichtung dieser Art. Auch auf diesem Gebiete erreichte Vergil das Höchste mit seinen »Georgica«. Neben ihm ist von den zahlreichen Didaktikern der Augusteischen Zeit, die sich vorzugsweise den Alexandrinern anschlossen, der bedeutendste Ovid, der sich jedoch neben der epischen auch der elegischen Form bediente. Aus dieser und den folgenden Zeiten des 1. Jahrh. n. Chr. besitzen wir noch das Jagdgedicht des Grattius, von dem sogen. Manilius eine größere Dichtung astrologischen Inhalts, von Germanicus eine Bearbeitung der »Phaenomena« des Aratos, von Columella ein Gedicht über Gartenbau, von dem angeblichen Lucilius ein Gedicht über den Ätna; aus dem 3. Jahrh. des Serenus Sammonicus versifizierte Arzneimittellehre und das Jagdgedicht des Nemesianus; aus dem 4. Jahrh. außer vielem Didaktischen des Ausonius, wie der »Mosella«, Avienus' Bearbeitung des Aratos und der Erdbeschreibung des Dionysios; aus dem 5. Jahrh. außer Gedichten Claudians des Namatianus Beschreibung seiner Heimreise in elegischem Maß; aus dem 6. Jahrh. Priscians Bearbeitung des Dionysios u.a. Aus dem 4. Jahrh. stammt die Spruchsammlung des sogen. Cato. Ist in den meisten dieser Dichtungen die metrische Form nur äußerliche Zutat, so fehlt jeder poetische Gehalt in den für Schulzwecke verfaßten Lehrgedichten der Grammatiker, wie in des Terentianus Maurus »Lehrbuch der Metrik« (3. Jahrh.) u.a. Von den christlichen Dichtern des didaktischen Epos sind zu erwähnen Commodianus, Prudentius und der schon genannte Dracontius. Didaktisch ist auch die Satire, die einzige von den Römern selbständig zur Ausbildung gebrachte Dichtgattung. Als kritisch-polemische, oft humoristische Erörterung der verschiedenartigsten Erscheinungen des Lebens begründete sie Lucilius (gest. 103 v. Chr.). Eine dem verfeinerten Zeitgeschmack gemäße Erneuerung und Fortbildung fand sie in Augustus' Zeit durch die Sermonen und Episteln des Horaz, der nur das soziale und literarische Leben in den Kreis seiner überwiegend humoristischen Besprechung zog. Seine Nachfolger waren Persius (gest. 62 n. Chr.) und Juvenalis (gest. 130 n. Chr.), die den Kontrast zwischen Ideal und Wirklichkeit mit Bitterkeit und Schärfe behandelten. Eine eigentümliche Abart war die Menippeische Satire des zu Ende der Republik lebenden Polyhistors Varro, der ernste Zeitfragen humoristisch in einer aus Prosa und Poesie gemischten Form behandelte. Die Fabel als besondere Dichtungsart führte erst im 1. Jahrh. n. Chr. Phädrus in die Literatur ein. Sie hat noch an Avianus (4. Jahrh.) einen Vertreter.
Die alexandrinische Idyllendichtung führte im Augusteischen Zeitalter der junge Vergil ein, der in seinen »Bucolica« jedoch hinter seinem Vorbilde Theokrit ebenso zurückblieb wie hinter ihm Calpurnius Siculus (um 55 n. Chr.) und hinter diesem dessen Nachahmer Nemesianus (Ende des 3. Jahrh.).
Von den Kunstformen der Lyrik fand das Epigramm schon früh Pflege und wurde seit Ennius bis in die späteste Zeit für mannigfache Zwecke, als Aufschrift, Gelegenheits- und Sinngedicht, auch als kleine erotische Elegie, viel verwendet. Hauptmeister in dieser Gattung ist Martialis (gest. 102 n. Chr.). Von den übrigen lyrischen Gattungen gewann erst am Ende der Republik durch den Einfluß der Alexandriner besonders die Elegie in Rom Boden, und hier übertrafen die Schüler bald ihre Lehrer durch Wahrheit und Wärme des Gefühls wie durch Formvollendung. Der erste eigentliche römische Lyriker ist Catullus (gest. 54 v. Chr.), der sich in den verschiedensten Formen mit Erfolg versuchte. Ihm nachfolgend brachten in Augustus' Zeit Propertius, Tibullus und Ovid die Elegie zur höchsten Blüte, während Horaz die Formen der iambischen Poesie und der äolischen Lyrik ausbildete. Seitdem. war die Gewandtheit in der Handhabung der verschiedenen lyrischen Formen außerordentlich verbreitet und ward von zahlreichen berufenen und unberufenen Dichtern bis in späte Zeiten geübt. Besonders glänzende Vertreter der Gelegenheitsdichtung sind Statius im 1. und Ausonius im 4. Jahrh. Die christliche Lyrik entfaltete sich besonders in der Hymnendichtung, in der namentlich Ambrosius maßgebend wurde. Nach ihm sind Hauptvertreter derselben Prudentius, Ennodius, Gregor d. Gr.
Prosaische Aufzeichnungen mancher Art gab es schon früh bei den Römern, wie die von den Pontifices geführten Jahrbücher (s. Annalen), in welche die verschiedenartigsten Vorfälle des Jahres nach dem Datum in nüchterner Form eingetragen wurden, u.a. Das wichtigste Prosadenkmal aus der alten Zeit, das den Namen eines Buches verdiente, war das Landrecht der zwölf Tafeln aus den Jahren 451450 v. Chr. Der Begründer der schriftmäßigen Prosa ist M. Porcius Cato (234149), der zuerst die lateinische Sprache für eine vielseitige schriftstellerische Tätigkeit verwendete.
Im wesentlichen Unterschied von der Poesie ging die Geschichtschreibung bei den Römern von den höhern Ständen aus und blieb bis zum 1. Jahrh. v. Chr. ausschließlich in deren Händen. Die ersten Anfänge fallen in die Zeit des zweiten Punischen Krieges, wo Q. Fabius Pictor und L. Cincius Alimentus die lange Reihe der Annalisten eröffneten, so genannt nach der in ihren Darstellungen der römischen Geschichte angewandten Annalenform. Wie sie, schrieben auch ihre nächsten Nachfolger noch griechisch,[101] bis auf Cato, der in seinen »Origines« nicht nur das Latein anwendete, sondern auch den Gegenstand zu einer Geschichte Italiens erweiterte. Bis in Ciceros Zeit fand die annalistische Behandlung der römischen Geschichte ununterbrochen Vertreter. Allgemein war der steigende Hang zu rhetorischer Ausschmückung, und dieser künstlerische Charakter ist Haupteigentümlichkeit der römischen Geschichtschreibung geblieben. Von dieser ganzen Literatur sind nur Bruchstücke erhalten. Die Reihe der noch vorhandenen Geschichtschreiber eröffnet C. Julius Cäsar mit seinen Fortsetzern, dessen »Commentarii de bello gallico« und »de bello civili« zu den besten Mustern römischer Prosa gehören. Von den zahlreichen Schriften seines Zeitgenossen Cornelius Nepos besitzen wir noch kurze Biographien meist griechischer Feldherren; von C. Sallustius Crispus (gest. 34), dem ersten kunstgerechten Historiker, die Geschichte der Catilinarischen Verschwörung und des Krieges mit Jugurtha, zwei tendenziös gefärbte Monographien. Unter Augustus schrieb T. Livius (gest. 17 n. Chr.) sein großes Werk, Roms Geschichte bis in seine Zeit, wovon aber nur 35 Bücher (von 142) erhalten sind, und Pompejus Trogus die erste Universalgeschichte, von der jedoch bloß ein Auszug des Justinus vorhanden ist. Von der umfänglichen historischen Literatur des 1. Jahrh. n. Chr. ist nur Weniges gerettet, von Vellejus Paterculus ein kurzer Abriß der römischen Geschichte, von Valerius Maximus eine historische Anekdotensammlung, von Curtius Rufus Alexanders d. Gr. Geschichte, von Julius Frontinus eine militärische Beispielsammlung, vornehmlich aber von Cornelius Tacitus die Hauptmasse seiner Kaisergeschichte, der Annalen und Historien, die zu den hervorragendsten Leistungen der Weltliteratur gehören. Dem Anfang des 2. Jahrh. gehören an die zwölf Kaiserbiographien des Suetonius und die panegyrische Darstellung der römischen Geschichte von Julius Florus. In der Folge wurde nach Suetons Vorbild vornehmlich die Hof- und Kaisergeschichte behandelt. Diese verlornen Schriften bilden die Hauptquelle der »Scriptores historiae Augustae«, einer Sammlung kritikloser und roher, aber für die Geschichte von Hadrian bis Numerian (117284) wichtiger Kompilationen sechs verschiedener Verfasser aus dem Ende des 3. und Anfang des 4. Jahrh. Nach der Mitte des 4. Jahrh. verfaßten Aurelius Victor eine kurze Kaisergeschichte, Eutropius und Festus Abrisse (Breviaria) der römischen Geschichte, von denen der erstere wegen seiner Kürze, Einfachheit und Klarheit viel Beifall bis in neuere Zeit fand. Weit über seinen Zeitgenossen steht der letzte römische Geschichtschreiber, Ammianus Marcellinus, von dessen Geschichte von 96378 in 31 Büchern jedoch nur die letzten 18 erhalten sind. Auf ihn folgen die christlichen Darsteller der Geschichte, wie Sulpicius Severus (um 400) und Orosius (um 420).
Die Beredsamkeit bildet schon in der klassischen Zeit den Mittelpunkt aller höhern Bildung in Rom. Ein tüchtiger Redner war ein Mann von größtem Einfluß, und seine Wirksamkeit verbreitete sich durch alle Kreise des politischen Lebens. Lange wurde aber Beredsamkeit nur geübt als Gabe der Natur, zu deren Ausbildung das öffentliche Leben unaufhörlich Anlaß gab. Der bedeutendste Vertreter dieser Beredsamkeit ist der ältere Cato, der auch schon Reden veröffentlichte. Erst als man mit griechischer Rhetorik bekannt wurde, etwa seit 150 v. Chr., und griechische Rhetorenschulen entstanden, begann kunstmäßiges Studium. Die bedeutendsten Vertreter der neuen, Anlage und Kunst verbindenden Richtung waren die beiden Gracchen 133121, namentlich der jüngere Gajus, zu Anfang des 1. Jahrh. M. Antonius und L. Licinius Crassus. Ihre höchste Blüte erreichte die Redekunst durch M. Tullius Cicero, neben dem noch eine Anzahl älterer oder jüngerer Zeitgenossen Hervorragendes leisteten, wie Q. Hortensius und Julius Cäsar. Als mit der Monarchie Gelegenheit und Stoff für öffentliche Beredsamkeit sich verminderte, anderseits Hindernisse und Schranken wuchsen, zog sich die Beredsamkeit immer mehr in die Rhetorenschulen zurück, wo sie als allgemeines Bildungsmittel in Übungsreden über erdichtete Themata in ausschließlicher Rücksicht auf die Form betrieben wurde. Ein anschauliches Bild von diesem Treiben gibt der Rhetor Annäus Seneca (gest. 38 n. Chr.) in seiner Sammlung solcher Themata. Der Schulmanier entsprechend, gestalteten sich auch die öffentlichen Reden immer mehr zu bloßen Deklamationen, trotz des Eintretens eines Quintilian und Tacitus (in seinem »Dialogus de oratoribus«) für die klassischen Muster. Neben letzterm war ein hervorragender Redner der Zeit Plinius der Jüngere, dessen Panegyrikus auf Trajan (100 n. Chr.) Vorbild der spätern Panegyriker geworden ist. Unter den Antoninen blühte M. Cornelius Fronto, durch den geschmacklose Anwendung von Archaismen Mode wurde, wie sie sich auch in der Rede des geistreichen Apulejus »De magia« zeigt. Seit Ende des 3. Jahrh. ist Gallien mit seinen vielen Rhetorenschulen Hauptsitz der Beredsamkeit. Diese gallische Beredsamkeit zeigt eine gewisse Glätte und Korrektheit, behandelt aber als ausschließliches Thema das Lob der Kaiser in pomphafter und schwülstiger Darstellung; Hauptvertreter sind elf Reden verschiedener Verfasser, der sogen. »Panegyrici latini«. Die rhetorische Literatur vertreten Cornificius, der sogen. Auctor ad Herennium (85 v. Chr.), eine Reihe Schriften Ciceros, unter denen »De oratore« den ersten Rang einnimmt, das Schriftchen des Rutilius Lupus (unter Tiberius) über die rhetorischen Figuren, Quintilians »Institutio oratoria«, die bedeutendste Leistung der Kaiserzeit auf diesem Gebiete, und eine Anzahl von Schriftstellern der spätern Zeit.
Unter den philosophischen Werken der Römer stehen die Ciceros obenan, der sich um Einführung und Verbreitung griechischer Philosophie in Rom die größten Verdienste erworben hat, nächst ihm die des L. Annäus Seneca (gest. 65 n. Chr.). Einiges Philosophische besitzen wir auch von Apulejus. Die letzte bedeutendere Leistung auf diesem Gebiete ist die Schrift des Boethius (gest. 524 n. Chr.): »De consolatione philosophiae«.
Von wissenschaftlicher Behandlung der Mathematik und andrer damit verwandter Disziplinen finden sich erst kurz vor Augustus Spuren. Verloren sind die Schriften des zu Ciceros Zeit als Mathematiker, Astronom und Astrolog berühmten P. Nigidius Figulus. Das einzige einigermaßen erhaltene römische Werk über Geometrie ist das des Balbus unter Trajan. Aus dem 3. Jahrh. ist von Bedeutung die astronomische Schrift des Censorinus: »De die natali«; aus dem 4. Jahrh. besitzen wir von Firmicus Maternus ein Werk über Astrologie, aus dem 6. des Boethius »Institutio arithmetica«. Unter Augustus verfaßte M. Vitruvius Pollio sein Werk »De architectura«, um 97 n. Chr. S. Julius Frontinus die für die Kenntnis des römischen Wasserleitungswesens[102] wichtige Schrift »De aquis«. Derselbe ist der erste unter den sogen. Agrimensoren (s. d.), von deren Schriften noch eine Anzahl erhalten sind. Römisches Kriegswesen behandelt des Flavius Vegetius »Epitoma rei militaris« (um 390). Für die Geographie schuf den Römern die erste umfassende und zuverlässige Grundlage die von Augustus durch Agrippa ausgeführte Vermessung und Beschreibung des römischen Reiches. Auf die von Agrippa entworfene Weltkarte geht vermutlich die sogen. Tabula Peutingerianazurück. Die erste Erdbeschreibung, die wir aus der römischen Literatur besitzen, ist von Pomponius Mela (um 40 n. Chr.). Einen Abriß gibt auch Plinius in seiner »Historia naturalis«, auf der die Darstellung des Solinus beruht. Die einzige erhaltene geographische Monographie ist die »Germania« des Tacitus.
Auf dem Gebiete der Naturwissenschaften sind die Römer stets von den Griechen abhängig gewesen. Zu erwähnen sind Plinius mit der »Historia naturalis« und Seneca mit den »Quaestiones naturales«. In der Medizin gewann zuerst als Schriftsteller großen Ruhm A. Cornelius Celsus unter Tiberius. Etwas später (um 45 n. Chr.) schrieb Scribonius Largus seine Heilmittellehre. Aus dem 3. Jahrh. besitzen wir Medizinisches von Gargilius Martialis, aus dem 5. Jahrh. von Cälius Aurelianus, Marcellus Empiricus, Theodorus Priscianus u.a. Über Tierheilkunde schrieb in derselben Zeit Vegetius. Über Landbau haben seit dem ältern Cato zahlreiche Römer geschrieben. Außer von ihm besitzen wir derartige Werke von dem Polyhistor Varro, Columella (um 60 n. Chr.) und Palladius (4. Jahrh. n. Chr.). Erwähnt sei hier auch das Kochbuch des angeblichen Apicius aus dem 3. Jahrh.
Das Studium der Grammatik beginnt in Rom erst seit Mitte des 2. Jahrh. v. Chr. Hauptvertreter in der Zeit der Republik ist der mehrfach erwähnte Varro, von dessen zahlreichen, vielbenutzten Schriften nur Trümmer erhalten sind. Unter den Grammatikern der Augusteischen Zeit ragten hervor Verrius Flaccus, dessen großes Werk »De verborum significatu« nur noch im Auszug des Festus vorhanden ist, Remnius Palämon und Hyginus, Vorsteher der Palatinischen Bibliothek. Auch von dem berühmten M. Valerius Probus (unter Nero) ist nur Unbedeutendes erhalten sowie von den grammatischen und antiquarischen Schriften des Suetonius (unter Hadrian) u.a. Von bedeutendem Wert für die Kenntnis der ältern Literatur sind die »Noctes atticae« des Gellius (um 150 n. Chr.). Eine Reihe Grammatiker gehören dem 4. Jahrh. an: Sacerdos, Marius Victorinus, Donatus, Charisius, Diomedes, Servius, der Lexikograph Nonius, dem 5. Jahrh. Macrobius, Martianus Capella und Priscianus.
Den Roman bereitete im 1. Jahrh. v. Chr. Sisenna mit der Übersetzung der milesischen Erzählungen des Aristeides vor. Hauptvertreter sind Petronius im 1. und Apulejus im 2. Jahrh. n. Chr. Aus später Zeit ist die »Historia Apollonii regis Tyri«. Auch die Darstellungen des Trojanischen Krieges von Dares und Dictys und der Taten Alexanders d. Gr. von Julius Valerius gehören hierher.
Einen besondern Zweig der römischen Literatur bilden die Briefe. Von höchstem Wert für die Zeitgeschichte ist Ciceros Korrespondenz. Dagegen sind philosophische Abhandlungen in Briefform die Briefe des Seneca an Lucilius. Auf Veröffentlichung scheinen von Anfang an des jüngern Plinius Briefe berechnet zu sein. Seit dem 2. Jahrh. n. Chr. bildet sich der Brief zur eignen Stilgattung aus, in welcher der Inhalt vor der Form oft sehr zurücktritt, wie in den Briefen des Fronto, Symmachus, Apollinaris Sidonius u.a. Über die Jurisprudenz, das einzige bei den Römern von Anfang bis zu Ende rein national entwickelte Gebiet, s. Römisches Recht.
Von den Vertretern der christlichen Prosaliteratur sind hier zu nennen: Minucius Felix, Tertullianus, Cyprianus, Arnobius, Lactantius, Hilarius, Hieronymus und Augustinus.
Vgl. F. A. Wolf, Vorlesungen über die Geschichte der römischen Literatur (hrsg. von Gürtler, Leipz. 1832); Bähr, Geschichte der römischen Literatur (4. Aufl., Karlsr. 186870, 3 Bde., mit 3 Supplementbänden); Bernhardy, Grundriß der römischen Literatur (5. Aufl., Braunschw. 1869); Teuffel, Geschichte der römischen Literatur (5. Aufl. von Schwabe, Leipz. 1891); Schanz, Geschichte der römischen Literatur (Münch. 18901905, 4 Tle. in 5 Bdn.; 1. Teil in 3. Aufl. 1907); Lamarre, Histoire de la littérature latine an temps d'Auguste (Par. 1906, 4 Bde.); Baumgartner, Die griechische und lateinische Literatur des klassischen Altertums (4. Aufl., Freib. 1902); Munk, Geschichte der römischen Literatur (2. Aufl. von O. Seyffert, Berl. 1877, 2 Bde.); Aly, Geschichte der römischen Literatur (das. 1894); Ribbeck, Geschichte der römischen Dichtung (Stuttg. 188792, 3 Bde.; 2. Aufl. 18941900, Bd. 1. u. 2); Ebert, Geschichte der christlich-lateinischen Literatur bis zum Zeitalter Karls d. Gr. (2. Aufl., Leipz. 1889); Manitius, Geschichte der christlich-lateinischen Poesie bis zur Mitte des 8. Jahrhunderts (Stuttg. 1891). Kürzere Grundrisse von Kopp (7. Aufl. von Seyffert, Berl. 1901), Bender (2. Aufl., Leipz. 1889) und Pichon (franz., 3. Aufl., Par. 1904).
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