[104] Römische Mythologie. Während die altrömische Religion eine Fülle von höhern und niedern Göttergestalten ausgebildet hat, die man in den verschiedensten Einzelerscheinungen des Natur- und Menschenlebens bis ins kleinste hinein wirkend dachte, fehlt ihr anderseits im Gegensatz zu der griechischen eine eigentliche Mythologie, der Götter- und Heroenmythus. Der nüchterne Sinn der Römer dachte sich die Götter als jeden für sich innerhalb seines Bezirks tätig; erscheinen auch vielfach auf demselben Gebiet und in der gleichen Richtung männliche und weibliche Götter wirksam, so ist dies doch ursprünglich nur ein Nebeneinander des männlichen und weiblichen Prinzips, nicht eine Ehe; denn Begriffe wie Götterehe, Götterkinder, Theogonie u.a. sind der altrömischen Religion völlig fremd. Schon früh geriet die römische Religion und im Laufe der Zeit in immer größerm Maß unter den Einfluß der griechischen; mit der Umbildung der heimischen Götter nach den griechischen und der Aufnahme griechischer Götter wurde auch die griechische Mythologie übernommen. Was wir daher in der literarischen, namentlich der poetischen Überlieferung an Mythen finden, ist entweder griechischen Ursprungs oder an Griechisches anknüpfende Konstruktion und daher für die römische Religionsforschung ohne Wert. Die Quellen für die Gestaltung der römischen Religion vor Einwirkung des Griechentums sind die Nachrichten bei Schriftstellern und auf Inschriften über den römischen Staatskultus, in erster Linie der römische Festkalender, der ein sicheres Bild des römischen Kirchenjahres bietet. Über Religionsübung und -Vorstellungen der Volksmenge gibt in weitem Umfange die monumentale und inschriftliche Überlieferung Kenntnis. Zu der historischen Erforschung der römischen Religion gab Niebuhrs Kritik der römischen Geschichtschreibung die erste Anregung. Vgl. die Literatur bei »Römisches Reich«, S. 112 (Religion).
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