Osmanische Reich

Osmanische Reich

[356] Osmanische (das), ottomanische oder türkische Reich, die Türkei oder die hohe Pforte nimmt die Oberherrschaft über ein Ländergebiet von ungefähr 46,500 ! M. mit etwa 23 Mill. Einw. in Anspruch, wovon 8720 ! M. in Europa, 21,030 in Asien und 16,750 ! M. in Afrika liegen, von denen aber kaum die Hälfte noch der unmittelbaren Botmäßigkeit des türk. Sultans oder Kaisers unterworfen sind. Da die wichtigsten Theile desselben aus der östlichsten von den drei großen südeurop. Halbinseln und der Kleinasien genannten, asiat. Halbinsel bestehen, so bietet es dem mittelländ. Meere und den damit in Verbindung stehenden Gewässern des adriatischen, ägäischen, Marmora- und schwarzen Meeres überall seine Küsten dar. Allein auch die afrikan. Provinzen werden zum Theil vom Mittelmeere, östl. auch vom rothen Meere, die asiat. auf einer kleinen Strecke an der Mündung des Euphrat auch vom pers. Meerbusen begrenzt. Außerdem ist das türk. Gebiet in Europa nördl. von den Kaiserreichen Östreich und Rußland, südl. vom Königreiche Griechenland, in Asien vom asiat. Rußland, von Persien und Arabien mit seinen Wüsten, in Afrika von der libyschen Wüste, der Wüste Sudah und westl. vom Gebiete von Algier umschlossen. Seinen Namen hat das osman. Reich von den Begründern und noch darüber herrschenden Bewohnern desselben, den Osmanen oder Osmanli, welche jetzt zwischen 8 und 10 Mill. seiner Bevölkerung ausmachen, sich zur Lehre Mohammed's (s.d.) bekennen und bis auf die neueste Zeit gegen die von ihnen seit Jahrhunderten unterjochten Völker in der Stellung der Eroberer verharrt und ihrer höhern Bildung und Gesittung fremd geblieben sind. Hartnäckig bei ihren rohen Sitten beharrend, gilt daher auch heute noch von ihnen zum Theil das alte Sprüchwort: Wo ein Osmane den Fuß hinsetzt, gedeiht kein Grashalm mehr. Ursprünglich ein Stamm der oghusischen, d.i. westl. Türken, verwerfen sie gleichwol diesen von andern Völkern ihnen beigelegten Namen, mit dem sie blos herumziehende Horden bezeichnen. Bei den Alten schon werden Turcae unter den Bewohnern des asiat. Sarmatiens genannt und seit dem 6. Jahrh. sind die Türken als ein tatarischer Stamm bekannt, der ursprünglich im Altaïgebirge heimisch, in das von Sibirien, dem Aralsee und Tibet begrenzte, fruchtbare Steppenland einwanderte, welches nach ihnen Turkestan, von den Persern Turan, auch die Tatarei genannt wird und dessen südl. Theil die große und die kleine Bucharei (s.d.) ausmachen. Im 6. Jahrh. kam das Gebiet der östl. Türken oder Uiguren unter chines. Botmäßigkeit, das der westl. oder oghusischen Türken aber wurde von Persien abhängig, welches die Araber sich unterworfen hatten. Sie nahmen nun die mohammedanische Religion an, dienten vom 10.–12. Jahrh. in den arab. Heeren und wurden insbesondere die Leibwächter, bald aber auch die Beherrscher der in Schwäche und Geringschätzung versinkenden Khalifen von Bagdad und Begründer mehrer Regentenlinien, welche in Palästina, Syrien, Ägypten, in Persien und Indien in dieser Zeit geboten. In Vorderasien gelangte seit dem 11. Jahrh. der türk. Stamm der Seldschuken zu ansehnlicher Macht und stiftete ein großes Reich, gegen das nach dessen Schwächung durch Theilungen und innere Kriege im 12. und 13. Jahrh. die Mongolen (s.d.) ihre verheerenden Züge richteten. Wider dieselben leistete Ertogrul, Emir oder Häuptling einer in Kleinasien vom Raube lebenden türk. Horde, dem letzten seldschukischen Sultan von Ikonium (Konjeh) Beistand und eroberte auch für ihn vom griech. Kaiserthum einen Theil des alten Phrygiens. Dieses anfangs kleine Gebiet, welches die Familie des Ertogrul als Grenzhüter des seldschukischen Reiches gegen das griech. in Lehn erhielt, ward die Wiege der türk. Macht. Durch gelegentliche Eroberungen von Ertogrul's ältestem Sohne Osman, d.i. Beinbrecher (geb. 1258), wurde es so weit vergrößert, daß sich derselbe nach dem Untergange des Reiches der Seldschuken in Ikonium zu Ende des 13. Jahrh., als unabhängiger Fürst der um den Olympos gelegenen Gebiete behaupten konnte und so der Begründer des osman. Reiches in Asien wurde. Zur Erweiterung und Befestigung trug sein tapferer, auch als Gesetzgeber ausgezeichneter Sohn Orchan durch Eroberung von Brussa (1326), der ersten großen Stadt, welche den Osmanen zufiel und die zunächst die Residenz ihrer Herrscher wurde, sowie durch Einnahme von Nikäa (1330), der wichtigsten östl. Grenzfeste des griech Kaiserthums bei. Nikomedia fiel 1339 unter seine Botmäßigkeit, der er Kleinasien bis an den Hellespont unterwarf; seine Vermählung mit einer Tochter des griech. Kaisers Kantakuzenos begründete jedoch ein gutes Vernehmen mit dem Hofe zu Konstantinopel. Von Brussa aus, wo zuerst das Thor seines Palastes die hohe Pforte hieß, traf er die dem aufblühenden Reiche nach seinem Sinne gedeihlichen Anordnungen, unter denen natürlich das Heerwesen am angelegentlichsten bedacht ward. Durch ihn, der zuerst ein stehendes Corps Fußvolk errichtete, aus dem die Janitscharen (s.d.) hervorgingen und eine regelmäßigere Reiterei, die Spahi (s.d.) einführte, ward der Grund zu jener Überlegenheit in den Waffen gelegt, welche, unterstützt von religiösem Fanatismus und unbegrenzter Beutelust, die Osmanen bis in die Mitte des 16. Jahrh. den Europäern gegenüber behaupteten. Einige Jahre vor Orchan's Tode (1360) begründete sein ältester Sohn Soliman durch Eroberung[356] der Stadt und Halbinsel Gallipoli die osman. Macht zuerst in Europa und machte sich zum Gebieter des Hellesponts. Sein Bruder Murad I. (1360–89) wegen Soliman's frühen Todes der Nachfolger von Orchan, dehnte auf Kosten des oström. Reiches die osman. Eroberungen in Europa so weit aus, daß dem byzantin. Kaiser nur ein kleines Gebiet um Konstantinopel blieb und verlegte seine Residenz von Brussa nach dem 1361 eingenommenen Adrianopel. Gegen ihn kam 1368 die erste Verbindung der Fürsten von Serbien, Bosnien, Walachei und Ungarn zu Stande, allein ihr doppelt stärkeres Heer wurde durch nächtliche Überrumpelung besiegt. Durch die Eroberung von Nikopolis machte Murad I. die Unterwerfung der Bulgarei (s.d.) gewiß und erkämpfte 1390 noch einen großen Sieg über die Christen bei Kossowa oder auf dem Amselfelde, ward aber nachher auf dem Schlachtfelde von einem schwerverwundeten Serbier niedergestoßen. Murad's Sohn und Nachfolger Bajazet (s.d.) erhielt wegen der Schnelligkeit seiner Kriegsunternehmungen und Eroberungen den Beinamen der Blitz und würde wahrscheinlich der Eroberer von Konstantinopel geworden sein, hätte ihn nicht der Angriff der Mongolen unter Timur nach Asien gerufen, von dem er besiegt und gefangen wurde.

In Folge dieses Ereignisses schien das osman. Reich seiner Auflösung nahe; mehre vertriebene asiat. Fürsten nahmen ihre Länder wieder in Besitz und um den Rest von Kleinasien stritten sich Bajazet's Söhne Musa und Mohammed, während der älteste, Soliman, sich in Europa zu behaupten suchte. Zehn Jahre dauerte diese Zersplitterung, bevor Mohammed I. 1413 alle Provinzen wieder unter seiner Herrschaft vereinigte. Er regierte mit Glück und Ansehen, dehnte seine Kriegszüge bis nach Salzburg und Baiern aus, durch seinen berühmten Großvezier Ibrahim aber ward jene türk. Seemacht geschaffen, welche die nachherige Eroberung der Inseln im mittelländ. Meere begünstigte. Mohammed I. früher Tod rief 1421 seinen Sohn Murad II. auf den osman. Thron, dessen Unternehmungen gegen Serbien, Albanien und Ungarn von Joh. Hunnyades (s.d.) und Georg Castriota, genannt Skanderbeg (s.d.), lange Zeit sehr erschwert wurden. Auch Belgrad wurde vergebens belagert und nach langem Kampfe ging Murad II. den Waffenstillstand von Szegedin ein und legte die Regierung nieder. Des beschworenen Friedens ungeachtet drang aber 1444 Wladislaw IV. von Ungarn, den der Papst seines Eides entbunden hatte, in Bulgarien ein, ward jedoch bei Varna von Murad II., der bei der drohenden Gefahr die Regierung wieder übernommen hatte, gänzlich besiegt und mit dem ihn begleitenden päpstlichen Legaten erschlagen. Zum zweiten Mal entsagte er nun der Herrschaft, trat aber von Neuem an die Spitze des Reiches, als ein gefährlicher Janitscharenaufruhr zu dämpfen war. Ein neuer Feldzug gegen Ungarn endigte siegreich mit der dreitägigen Schlacht bei Kossowa und bei Murad II. Tode (1450) schien der Macht der Osmanen nichts mehr widerstehen zu können. Sein Nachfolger Mohammed II. (s.d.) machte dem oström. Reiche durch die Eroberung von Konstantinopel im J. 1453 ein Ende, das nun die Residenz der osman. Herrscher wurde. Das kleine Kaiserthum Trapezunt in Kleinasien fiel ebenfalls in die Gewalt dieses unermüdlichen Eroberers, der auf einem Zuge gegen Persien 1481 starb, aber in Bajazet II. (1481–1512), in Selim I. (1512–20), dem Schöpfer einer Seemacht, welcher die von Venedig und Genua unterlagen und der Mesopotamien, Syrien, Palästina, Ägypten eroberte und den Scheikh von Mekka unterwarf, sowie in Soliman II. (1520–66) drei seiner würdige Nachfolger hatte. Der Letztere, der berühmteste und mächtigste aller osman. Herrscher, brachte das türk. Reich nach allen Seiten auf den Gipfel seines Glanzes. Belgrad wurde von ihm 1521, die Insel Rhodus 1522 erobert; König Ludwig II. von Ungarn verlor in der Schlacht bei Mohacz 1526 gegen ihn Sieg und Leben und 1529 belagerte er Wien, von dem er zwar unverrichteter Sache abziehen mußte, aber doch ganz Niederungarn in seiner Gewalt behielt. Von Persien wurden in wiederholten Feldzügen ebenfalls große Gebiete errungen, die türk. Flotten aber beherrschten das mittelländ. Meer, an dessen afrik. Küste der Seeräuberfürst von Algier (s.d.) sich in den Schutz der Pforte begab und Tunis, Tripolis und die 14 Inseln der Venetianer im Archipel für dieselbe eroberte. Unerwarteten Widerstand erfuhr jedoch Soliman II., als er die von Rhodus vertriebenen Johanniter auch aus ihrem neuen Sitze Malta verjagen wollte, aber mit großem Verluste zurückgeschlagen wurde, und starb im Lager vor Szigeth in Ungarn, ehe noch der heldenmüthige Vertheidiger Graf Zriny der ungeheuren Übermacht erlag. Durch Soliman II. ward 1538 auch die geistliche Oberherrschaft über alle Bekenner des Islam oder die Würde der Khalifen (s.d.) mit der Pforte vereinigt, allein mit seinem Tode begann auch der allmälige Verfall des osman. Reiches, dem keiner seiner Beherrscher innere Festigkeit zu geben verstand. Schon Soliman II. Nachfolger, Selim II. (1566–74), der an den Folgen der Trunkenheit starb, behauptete das Ansehen der Pforte nur durch die Klugheit seines Großveziers Sokolli; Cypern wurde jedoch auf Selim's eignen Betrieb erobert. Die bei Lepanto durch Juan von Austria vernichtete türk. Flotte wurde zwar bald wiederhergestellt, allein die Wiedereinnahme des verlorenen Tunis blieb auf lange Zeit die einzige Kraftäußerung derselben.

Die meist feigen und unfähigen Nachfolger Selim II. waren mehr oder weniger das Spiel von Hof- und Haremsränken und Meutereien der Truppen, Empörungen der Statthalter und gewaltsame Regentenveränderungen, von dem durch Mohammed II., um innere Kriege dadurch zu hindern, gesetzlich gemachten Brudermorde der Thronfolger begleitet, führten zu immer größerer Erschöpfung. Östreich war schon seines jährlichen Tributes von 30,000 Dukaten an die Pforte ledig, als Murad IV. (1623–40) zur Herrschaft gelangte, der mit seinem wilden Kriegesmuth zwar vieles Verlorene wieder zu gewinnen, aber die moralische Kraft des sinkenden Reiches doch nicht von Neuem zu beleben vermochte. Sein Sohn und Nachfolger Ibrahim, verächtlich durch Laster und Grausamkeit, ward in Folge einer Empörung 1648 erdrosselt und der erst sieben Jahre alte Mohammed IV. bestieg den Thron, während dessen Minderjährigkeit die allgemeine Verwirrung noch wuchs. Seine Großmutter und seine Mutter machten sich ihren Einfluß streitig und die Janitscharen und Spahi kämpften um die Habe der von ihnen gestürzten Großveziere, bis es dem eisernen Willen des Veziers Mohammed Köprili (1656–61) gelang, durch grausame Maßregeln im Innern [357] und Krieg nach außen das Reich herzustellen. Sein Sohn und Nachfolger Achmed Köprili erlitt zwar 1664 bei St.-Gotthard gegen das kais. Heer und dessen Verbündete eine große Niederlage, focht aber glücklicher gegen Polen und Russen und nahm den Venetianern 1669 die Insel Kandia. Ein neuer Krieg mit Östreich führte den Vezier Kara Mustapha 1683 bis vor Wien, von wo er aber durch Johann Sobiesky von vereinigten poln. und deutschen Truppen zurückgeschlagen wurde. Die folgenden Jahre brachten für die Türken namhafte Verluste in Ungarn und eine Hauptniederlage bei Mohacz mit sich, während die Venetianer sich Moreas bemächtigten, welche Unfälle einen Aufruhr in Konstantinopel veranlaßten, der Mohammed IV. im J. 1687 um den Thron brachte. Sein Nachfolger Soliman III. vermochte erst nach großer Anstrengung den Krieg fortzusetzen und der Vezier Mustapha Köprili erfocht am Ende für die Regierung einige Vortheile, blieb aber 1691 in der verlorenen Schlacht bei Salankemen gegen Markgraf Ludwig von Baden. Der mit Östreich, Polen und Rußland fortgesetzte Krieg ward endlich 1699 mit dem Frieden von Karlowitz beschlossen, der zunächst eine Folge des von Prinz Eugen 1697 bei Zenta gewonnenen großen Sieges war und durch welchen Östreich den Besitz von Ungarn und Siebenbürgen, mit Ausnahme des Banats von Temeswar, Polen den von Podolien und der Ukraine, Rußland den von Asow und Venedig Morea und die Inseln im Archipel wie vor dem Kriege, zugesichert erhielt.

Das Selbstbewußtsein der verlorenen Übermacht bewog die Pforte zunächst ein friedliches System anzunehmen und ihrem Vortheil ganz entgegen, ward unter Achmed III. (1702–30), der Unruhen in Ungarn und des span. Erbfolgekriegs ungeachtet, das gute Vernehmen mit Östreich nicht gestört. Mit großer Mühe nur vermochte Karl XII. (s.d.) 1710 Feindseligkeiten wider Rußland herbeizuführen, das vom Großvezier 1711 völlig eingeschlossene Heer des Zars entging aber durch Bestechung leicht genug mit der Rückgabe von Asow seinem Untergange. Der 1715 mit der Einnahme von Morea gegen Venedig begonnene Krieg führte auch zu Feindseligkeiten mit Östreich, ward aber nach Eugen's Siegen bei Peterwardein und Belgrad durch den Frieden von Passarowitz 1718 beigelegt, welcher Belgrad und einen Theil von Serbien und der Walachei an Östreich brachte, jedoch den Türken Morea, den Venetianern aber ebenfalls ihre in Dalmatien und Albanien gemachten Eroberungen ließ. Die Vortheile eines mit Persien 1721–27 geführten Krieges gingen in dem 1729 erneuerten so schnell verloren, daß der Unwille darüber einen Aufruhr in Konstantinopel veranlaßte, welcher 1730 allen hohen Beamten das Leben und Achmed III. den Thron kostete, welchen Mahmud I. bis 1754 einnahm. In dem 1736 mit Persien geschlossenen Frieden wurden wenigstens die alten Grenzen behauptet; der im nämlichen Jahre mit Rußland ausbrechende Krieg, welchem 1737 auch Östreich beitrat, ward ohne bleibende Verluste 1739 beendigt, indem die Russen zwar die Krim, Asow, Oczakow, Orsowa und die Moldau eroberten, die östr. Heere dagegen in beständigem Nachtheil blieben und von dieser Seite daher auch Belgrad und das sonst im passarowitzer Frieden Erworbene wieder zurückgegeben, von Rußland aber keine der gemachten Eroberungen behalten wurde. Die Politik der Pforte blieb jetzt auch unter Mahmud I. Nachfolgern, Osman III. (1754–57) und Mustapha III. (1757–74), eine friedliche bis zur Erneuerung des Kriegs mit Rußland im J. 1768, der aber nach schweren Verlusten zu Lande und Verbrennung der türk. Flotte durch Alexis Orloff (s.d.), durch den nachtheiligen Frieden von Kutschuk-Kainardsche kurz nach dem Regierungsantritte des Sultan Abdul Hamid (1774–89) beendigt ward und wodurch Asow und die Hoheit über die Krim verloren ging, wo den Russen ebenfalls mehre feste Plätze blieben und die 1783 ganz mit Rußland vereinigt wurde. Der Groll über dieses Umsichgreifen Rußlands hatte 1787 einen neuen Krieg gegen dasselbe zur Folge, das in Östreich einen abermals nicht glücklichen Verbündeten erhielt und der mit letzterm ohne Verlust, mit Rußland 1791 im Frieden von Gallacz und Jassy von Selim III. (1789–1807) nach Abtretung von Oczakow, der Krim und dem Lande zwischen Bug und Dniestr beendigt, nur durch die Eifersucht der europ. Mächte der Pforte größere Verluste ersparte.

Die nächste kurze Zeit der Ruhe verwendete Selim III. zur Vorbereitung mancher, von aufgeklärten Vezieren und Sultanen längst beabsichtigten wesentlichen Veränderungen in der Verfassung, die aber bisher stets an den Janitscharen hartnäckige Widersacher gefunden hatten. Er führte unter Anderm 1792 einen Staatsrath ein und wiederholte den schon unter Mahmud I. von dem franz. Renegaten Bonneval, unter Mustapha III. vom Baron Tott vergeblich gemachten Versuch der Umbildung des Heerwesens nach europ. Muster, welche er mit mehren Großen seines Reiches als wesentlich zur Behauptung der Stellung desselben erkannt hatte. Von franz. Offizieren ward zu dem Ende ein kleines Corps eingeübt, das den Namen Nisam Dschedid, d.i. nach der neuen Ordnung, bekam. Bonaparte's Zug nach Ägypten nöthigte indessen Selim III. 1798 an Frankreich den Krieg zu erklären und mit Rußland und England gemeine Sache zu machen. Doch wurde nach dem Abzuge der Franzosen der Friede 1802 hergestellt und der rasche Wechsel der Verhältnisse brachte die Pforte bald wieder in so feindliche Stellung gegen das schon mit Persien und Frankreich in Krieg verwickelte Rußland, daß dieses noch vor im Dec. 1806 erfolgter Kriegserklärung die Moldau und Walachei besetzte. Im Febr. 1807 drang auch eine engl. Flotte durch die Dardanellen (s.d.) bis vor Konstantinopel, mußte sich aber in Folge der unter Leitung des franz. Gesandten General Sebastiani gegen sie genommenen Vertheidigungsmaßregeln bald wieder entfernen. Dagegen errangen die Russen wesentliche Vortheile; die schon 1801 gegen ihre Bedrücker aufgestandenen Serbier fanden bei ihnen bereitwillige Unterstützung und nach fortgesetztem Kampfe konnte ihnen die Pforte 1815 unter Anerkennung ihrer Oberherrlichkeit die Verwaltung des Landes durch eigne Fürsten nicht mehr verweigern. (S. Serbien.) Aber auch die den eingeführten Neuerungen feindliche Partei der Janitscharen, in deren Interesse schon 1797 in Widdin durch Paßwan Oglu eine so mächtige Empörung ausbrach, daß der Sultan dem Haupte derselben die Herstellung der dortigen alten Einrichtungen und die Statthalterschaft selbst zugestehen mußte, erregte mit dem über die Unfälle der osman. Waffen unwilligen Volke in Konstantinopel selbst einen Aufruhr, der nach vielem Blutvergießen am 29. Mai 1807 die Absetzung Selim III. und die Erhebung [358] seines blödsinnigen Neffen Mustapha IV. auf den Thron zur Folge hatte, der alle neuen Einrichtungen abschaffte und mit Rußland im Aug. den Waffenstillstand von Slobodin abschloß. Die damit gewonnene Ruhe nach außen benutzte der tapferste und treueste Feldherr Selim III., Mustapha Bairaktar, Pascha von Rustschuk, im Jul. 1808 zu dem Versuche, mit Hülfe der von ihm errichteten regelmäßigen Truppen, Seimen genannt, die Herstellung Selim III. zu versuchen, den Mustapha IV. zwar sogleich umbringen ließ, allein doch entthront wurde, indem Bairaktar den noch regierenden Mahmud II. zum Großherrn ausrief. Zu dessen Großvezier ernannt, kostete ihm die Herstellung der neuen Einrichtungen im Nov. 1808 durch eine neue Empörung der Janitscharen das Leben, bei der auch Mustapha IV. umkam, sodaß Mahmud III., der während des Blutbades Konstantinopel verlassen und nachdem er später auch Mustapha's Nachkommenschaft hatte vertilgen lassen, der einzige noch übrige Fürst aus Osman's Stamme war. Seiner Beharrlichkeit in der Einführung neuer Einrichtungen (s. Mahmud II.) erlagen endlich nach blutigen Kämpfen 1826 auch die Janitscharen, allein wie vorher nicht in dem von 1809–12 mit den Russen geführten und durch den Frieden von Bukarescht beendigten Kriege, so wenig vermochten nachher in dem von 1828–29 und durch den Frieden von Adrianopel beschlossenen, die in Asien und Europa zugleich angegriffenen türk. Heere den Sieg zu gewinnen. Nicht minder unzureichend bewies sich oft Mahmud II. Macht zur Unterdrückung von Empörung und Züchtigung widerspenstiger Statthalter, und wurden auch die Mamluken, sowie die Wechabiten oder Wahabis (s.d.), welche Mekka und Medina eingenommen hatten, durch den ägypt. Statthalter Mohammed Ali (s.d.) dauernd überwunden, so benutzte dieser doch gleichzeitig seine Macht, um seine unabhängige Herrschaft über Ägypten und die von ihm damit verbundenen Provinzen Kandia und Syrien, sowie die in Arabien und Abyssinien gemachten Eroberungen vorzubereiten. In den Jahren 1831–33 kam es zwischen ihm und der Pforte zu offenen Feindseligkeiten und die letztere ward nur durch von Rußland erbetenen, bewaffneten Beistand und die Dazwischenkunft der Gesandten der europ. Großmächte vor einer gänzlichen Niederlage bewahrt. Allein noch steht Mohammed Ali dem Sultan gerüstet gegenüber und nur der Einfluß der europ. Mächte scheint ihn zu bewegen, dem Sultan wenigstens den jährlichen Tribut zu entrichten. Auch andere Statthalter und ganze Provinzen suchten zu verschiedener Zeit eine mehr oder weniger große Unabhängigkeit zu erlangen, so 1810 der Pascha von Bagdad und der nur durch List 1822 überwundene Ali (s.d.), Pascha von Janina, der Aufstand der Griechen aber im J. 1821 brachte nach vergeblichem Bemühen, ihn zu dämpfen, für die Pforte den Verlust des ganzen Gebiets des heutigen Königreichs Griechenland (s.d.) mit sich. Die Moldau und Walachei stehen in Folge der Kriege mit Rußland, an das auch in Asien große Gebiete am schwarzen Meere verloren gingen, blos noch unter der mit jenem getheilten Schutzherrschaft der Pforte, die jeden Anspruch auf Algier aufgeben muß, seitdem dies in Frankreichs Besitze ist, von dem auch das nachbarliche Tunis in besondern Schutz genommen wird. In Tripolis gelang es jedoch 1835 einer türk. Flotte, das Ansehen der Pforte wiederherzustellen, die aber auch in Albanien und Bosnien Empörungen zu bekämpfen hatte. Ein von ihr im Jul. 1833 mit Rußland zu Chunkiar-Iskelessi auf acht Jahre eingegangenes Angriffs- und Vertheidigungsbündniß, durch welches zunächst den Kriegsfahrzeugen aller Gegner Rußlands die Fahrt durch die Dardanellen ins schwarze Meer verboten wurde, gab zu heftigen Verhandlungen mit den westl. Seemächten Anlaß. In der neuesten Zeit scheint indessen die Pforte durch größere Annäherung an England und Frankreich, mit denen 1838 auch ein neuer Handelsvertrag abgeschlossen worden ist, für jenen nordischen Bundesgenossen ein Gegengewicht bilden zu wollen.

Die Verfassung des osman. Reiches ist völlig despotisch und das Oberhaupt desselben, der Großherr, Großsultan und Padischah, dem auch wol die Titel Alempenah oder »Zuflucht der Welt«, Zilullah oder »Schatten Gottes« und Hunkiar, d.i. »Todtschläger« gegeben werden, weil er über Leben und Tod seiner Unterthanen gebietet, besitzt die unumschränkteste weltliche und als Khalif oder Haupt der Gläubigen auch die höchste geistliche Würde und Macht. Anstatt der bei christlichen Fürsten üblichen Krönung wird er in der Moschee Eyub mit dem Schwerte Mohammed's umgürtet und beschwört beim Regierungsantritte blos die Erhaltung und weitere Verbreitung der mohammedanischen Religion. Nur die bestimmten Vorschriften des Koran (s.d.) können als Schranken seines Willens betrachtet werden, der außerdem alleiniges Gesetz ist, ohne jedoch für ihn selbst mit zu gelten; doch ist auch sein Wille durch Sitte und Herkommen gebunden, die er in vielen Punkten, besonders gegen die Mohammedaner, nicht überschreiten darf, ohne Aufruhr befürchten zu müssen. Die Verwaltungsordnung oder das Kanun-Name Soliman II., sowie die von Murad II. und Mohammed II. erlassenen Gesetze sind nur zum Theil noch gültig und namentlich von Mahmud II. in vielen Bestimmungen geändert worden. Außerdem ist die »Multeka« genannte Sammlung von Vorschriften der Khalifen und angesehener Lehrer das Hauptgesetzbuch der Türken. Stellvertreter des Sultans in weltlichen Dingen ist der Vezir-Azem oder Großvezier, in geistlichen der Scheik-ul-Islam oder Mufti (s.d.); der erste führte sonst im Divan oder Staatsrathe den Vorsitz, was aber Mahmud II. jetzt auch selbst thut. Mitglieder desselben sind die Minister des Innern (Kiaja Beg) und des Äußern (Reis Effendi), der Hof- und Reichsmarschall (Tschausch Baschi), Schatzminister (Defterdar Kapussi), Großadmiral (Kapudan Pascha) und andere hohe Reichsbeamte. Aber auch bei dem aus einer Unzahl von Weibern und ihren Sklavinnen, aus Verschnittenen, Garden und Beamten aller Art bestehenden Hofstaate des Sultans befinden sich durch ihre vertraute Stellung zu ihm einflußreiche Personen, wie z.B. der Kislar-Agassi oder das Haupt der schwarzen Verschnittenen, unter dem das Innere des Serails, die Wohnungen der Frauen, die Erziehung der Kinder u.s.w. stehen. Eine eigentliche Gemahlin hat der Sultan nicht und in seinen Harem darf nie eine freigeborene Türkin aufgenommen werden, indem das Staatsgesetz ihm die Vermählung mit Töchtern einflußreicher Familien verbietet, damit künftig keine derselben Ansprüche auf den Thron aus einer solchen Verbindung herleiten könne. Dieser vererbt jetzt auf den ältesten Sohn, sonst auch, um die Regierung eines Minderjährigen [359] zu vermeiden, auf den ältesten Prinzen des regierenden Hauses, was aber gewöhnlich von Aufruhr begleitet war. Sonst wuchsen die jungen Prinzen in dem Theile des Harems heran, welcher Kafes (Käfig) heißt und den sie nie verlassen durften, auch war das Lesen des Koran und die Geschichte des osman. Reiches, sowie nach Mohammed's Gesetz die Erlernung eines Handwerks Alles, wozu sie. Anleitung erhielten; der jetzige Sultan läßt jedoch seinen Söhnen eine mehr ihrer Bestimmung angemessene Erziehung geben. Die Rechtspflege haben in größern Städten Richter, welche Molla, in den kleinern Kadi heißen, täglich zu Gericht sitzen und nach sehr einfachen Formen entscheiden. Die Obergerichte in den Provinzen verwalten die Paschen, das höchste Gericht aber, der Diwan-Chaneh, hält unter dem Vorsitze des Großveziers seine Sitzungen; ferner hat der Sultan eine Art Berufung an seine Person hergestellt, indem er zu bestimmten Zeiten öffentliche Bittschriften annimmt, auch übrigens mancherlei Veränderungen im Rechtsgange angeordnet hat. Die Ulema bilden die Körperschaft der Gesetzverständigen, gehören aber, weil der Koran allen Gesetzen zum Grunde liegt, zugleich zum geistlichen Stande und waren zeither fast allein im Besitz der Gelehrsamkeit. Eigentliche Diener der mohammedan. Religion sind die Scheichs oder gewöhnlichen Prediger in den Moscheen, die Khatibs, welche an den Freitagen das Gebet für den Sultan verrichten, die Imams, welche vorbeten und die Geschäfte bei Verheirathungen, Beschneidungen und Begräbnissen besorgen, die Muessins oder Ausrufer von den Minarets und die Kaszims oder Aufwärter in den Moscheen; sonst gehören auch hierher die Derwische (s.d.). Alle übrigen Religionsbekenntnisse werden von den Osmanen verachtet, dürfen aber in ihren Tempeln jetzt frei ausgeübt werden und stehen unter Patriarchen, Bischöfen u.s.w. Mohammedanische Schulen befinden sich fast immer bei den Moscheen und es gibt deren höhere, wo Sprachlehre, Logik und Philosophie, Rechtswissenschaft, Auslegung des Koran, Geschichte, Geographie und einige andere Lehrgegenstände nach alten Lehrbüchern getrieben werden; in den niedern wird blos dürftiger Unterricht im Lesen und Schreiben gegeben und ein Theil des Korans auswendig gelernt. Geschmack für die Künste geht den Osmanen eigentlich ab, doch besitzen sie mehre Dichter und in Konstantinopel besteht eine Gesellschaft der Dichtkunst. Auch in der Baukunst haben sie Einiges geleistet, Malerei und Bildhauerei werden aber zufolge eines Verbots Mohammed's, Menschen abzubilden, nicht getrieben; indessen hat neuerdings der Sultan selbst, indem er sich vielfach malen ließ und sein Bildniß verschenkte, das Beispiel zur Hintansetzung jenes Verbots gegeben. Ihre bisherige Musik war mehr betäubend als wohltönend, allein sie sind leidenschaftliche Freunde dieser Kunst, die jedoch bei ihnen auch durch die Unvollkommenheit der Instrumente in ihrer Ausbildung gehemmt war. Neuerdings hat aber europ. Militairmusik und Geschmack am Schauspiel in Konstantinopel Eingang gefunden. Das Arabische ist Hof-, Kirchen- und gelehrte Sprache und der türk. Literatur und Gelehrsamkeit liegt auch hauptsächlich die arab. und die pers. zum Grunde, die aber von ihr nicht überflügelt worden sind; in neuester Zeit ist jedoch Vieles zur Belebung der in der Blüte des osman. Reiches von ihren Herrschern keineswegs vernachlässigten Wissenschaften geschehen und die zwar seit 1727 eingeführte, aber ziemlich unbenutzt gelassene Buchdruckerkunst wird vielleicht auch dort der Hebel des Geistes werden.

Mit Ausnahme der Nachkommen Mohammed's (s. Emir) und der Veziere Ibrahim Khan Oglu und Köprili, welche einige Bevorzugungen genießen, kennt man in der Türkei keine Geburtsvorzüge und nur Verdienste oder Gunst bahnen den Weg zu Amt und Ehren, welche selbst Sklaven, wenn sie die Freiheit erlangt haben, sämmtlich erreichbar sind; doch kann ein Türke nie Sklave sein oder werden. Die sehr mannichfaltige Bevölkerung des osman. Reiches wird nach den vorzüglichen Stämmen eingetheilt in Osmanen, von denen im Vorhergehenden schon viel gesagt ist und die zu den stattlichsten Volksstämmen gehören; eine gewisse ernste Würde des Benehmens ist allen eigen und am Volke im Ganzen Redlichkeit, Mäßigkeit und Sittenreinheit zu rühmen, wozu sich aber ungemessene Verachtung aller andern Völker, häufig Geiz und eine alle Schranken überspringende Leidenschaftlichkeit gesellen. Bei denen aber, die Ämter bekleiden und nach der Gunst des Hofes streben, pflegen Heuchelei, Habsucht, sklavische Unterwürfigkeit gegen Vorgesetzte und Härte gegen Untergebene nicht selten zu sein. Die Frauen sind durchaus in geselliger Hinsicht auf den Verkehr mit ihrem Geschlecht beschränkt und jeder Moslem kann sich vier rechtmäßige Gattinnen, außerdem aber so viele Beischläferinnen nehmen als er erhalten kann. Ihr Aufenthalt ist der Harem (s.d.) und eine gewisse Wohlbeleibtheit wird als wesentlich zur Schönheit angesehen. Bei den Griechen, den zahlreichsten Bekennern des Christenthums im osman. Reiche, haben unter dem Drucke ihrer Beherrscher die edlen Eigenschaften ihrer Vorfahren freilich sehr verloren und verrätherische Feigheit ist an die Stelle der Tapferkeit, Verstellung und List an die der Gewandtheit getreten; am liebsten beschäftigen sie sich daher mit Handel und nichts kommt dabei ihrer Verschlagenheit gleich. Einige Freiheitsliebe blieb jedoch besonders in Morea und auf den Inseln heimisch, im Ganzen aber sind die Griechen ein geistig bewegliches, fröhliches Volk, für Tanz und Gesang leidenschaftlich eingenommen, stehen aber an Sittlichkeit den Türken meist nach, von denen sie in Tracht und Lebensweise viel angenommen haben. Die Armenier (s. Armenien) leben zahlreich in Konstantinopel, sowie außerdem in der ganzen Türkei zerstreut und sind bei ihrer ernsten, blos nach Gewinn trachtenden Betriebsamkeit zufrieden, wenn man sie ruhig ihre Handelsgeschäfte machen und des Vortheils sich freuen läßt; übrigens hat die auch die Muselmänner nicht hintansetzende Wohlthätigkeit dieses Volkes ihm von den Ulema den Namen »der Perle der Ungläubigen« eingebracht. Zu den slaw. Völkern gehören die Bosnier, Serbier, Bulgaren, Montenegriner; für Abkömmlinge der alten Macedonier wollen die Bewohner Albaniens (s.d.) gehalten sein, die Wlachen nennen sich gern Rumini oder Römer. Dazu kommen Juden und Zigeuner, Turkmanen, Tataren, Kurden, Drusen, Araber und Angehörige aller europ. Nationen, welche vorzüglich der Handel zu den Osmanen führt und die sämmtlich unter der Benennung Franken begriffen werden.

Die Landesproducte anlangend, ist es bei der den Ackerbau bedrückenden Einrichtung des osman. Reiches vorzüglich als eine Folge des herrlichen Klimas und der großen [360] Fruchtbarkeit des Bodens anzusehen, daß der Handel noch einige wichtige Ausfuhrartikel hier findet, wie Seide, Baumwolle, Wein und Südfrüchte von den Inseln und aus Kleinasien, sowie Öl, Taback, Rosinen, Krapp, Galläpfel, Mastix, Safran und einige andere Farbestoffe. Der Kunstfleiß der Osmanen ist gering und beschränkt sich auf einige der gewöhnlichern Handwerke und Gewerbe, während die meisten andern, sowie der Betrieb von Fabriken und größerer Handelsgeschäfte meist den Christen überlassen bleibt. Ausgezeichnetes leisten blos die Saffian- und Corduanarbeiter, die Waffenschmiede und die Färbereien; vorzüglich berühmt und erst seit nicht lange auch in Deutschland in gleicher Güte gefärbt, ist das als türkisches bekannte, rothe baumwollene Garn. Die bisher wenig benutzten Schätze des Mineralreichs sollen jetzt durch europ. Bergbauverständige ausgebeutet werden. Die Staatseinkünfte betragen nach den sehr abweichenden Schätzungen 12–18 Mill. Thlr., rühren vom Ertrage des Charadsch oder der Kopfsteuer der Ungläubigen und der Abgaben von ihren Grundstücken, vom Zehent der Muselmänner, von Pachtgeldern, Zöllen und dem Tribut der Schutzländer her und fließen in den Miri oder Reichsschatz, der ganz verschieden von dem kais. Schatze (Chasim Odassi) ist, zu dem die Einkünfte von den Domainen, das eingezogene Vermögen abgesetzter Staatsbeamten, Geschenke u.s.w. kommen. Das Landheer wird nach der neuen Organisation durch Mahmud II. auf 70,000 M. europ. eingeübtes oder regulaires und 25,000 M. irregulaires Fußvolk und 124,000 M. Reiterei geschätzt, auch ist seit 1834 noch eine Miliz oder Art von Landwehr eingerichtet. Die Seemacht er litt in der Schlacht bei Navarin (s.d.) einen noch nicht ersetzten Verlust und besteht aus etwa 10 Linienschiffen und 24 Fregatten.

Das osman. Reich pflegt zunächst in zwei Haupttheile, den europ. und den asiat., geschieden zu werden und der erste, die europ. Türkei, 8720 ! M. mit 12 Mill. Einw., von, denen über zwei Drittheile Christen sind, gehört im Allgemeinen zu den Gebirgsländern. Aus Kroatien geht ein Zweig der dinarischen Alpen in südöstl. Richtung auf türk. Gebiet, vereinigt sich in der Nähe des Zusammenflusses der beiden Drina mit dem Tschar-Dagh, den Hauptgebirgsknoten der osman. Gebirge und führt, wie dieses, in seinen zahlreichen Fortsetzungen eine Menge Specialnamen. Vom Tschar-Dagh südl. erstreckt sich das hellenische Gebirge, zu dem auch das Mezzowogebirge oder Pindus gehört; der östl. Theil des Hauptgebirgszuges endlich heißt der Hämus oder Balkan (s.d.). Messungen ausgezeichneter Höhen dieser zum Theil äußerst zerklüfteten, schroffen und rauhen Gebirge sind nur wenige bekannt, da jedoch keine derselben das ganze Jahr hindurch mit Schnee bedeckt ist, läßt sich annehmen, daß sie sich nicht über 8–9000 F. erheben. Die Abhänge sind zum Theil mit dichten Waldungen bedeckt, wo zahlreiches Wild und Bäre, Wölfe, Luchse und ähnliche Raubthiere hausen, doch mangelt in einigen Gegenden auch das Holz gänzlich und getrockneter Kuhmist muß als Brennmaterial dienen. Von den Flüssen entspringt keiner von einiger Wichtigkeit auf der ganzen Halbinsel, aber zahlreiche kleinere Gewässer strömen theils der im N. am osman. Gebiete entlang und in das schwarze Meer fließenden Donau (s.d.) zu, theils in die angrenzenden Meere. Landseen sind viele, aber auch meist unbedeutende vorhanden und der Dorohe in der Moldau, der Babada und Rasem an der Donaumündung, die Seen von Ochrida und Janina gehören zu den ansehnlichsten. Die nicht mehr unmittelbar unter der osman. Herrschaft stehenden Länder Serbien, Moldau und Walachei (s.d.) abgerechnet, wird das ganze Gebiet von den Türken in die beiden Hauptstädte Konstantinopel, Adrianopel und die vier Ejalets oder Landschaften Rumili oder Romanien, Bosna, Dschesair oder der Inseln und Kirid abgetheilt. Die Europäer pflegen sich jedoch an die Eintheilungen nach den alten Landschaften zu halten und hiernach begreift das Ejalet Rumili, außer den Haupt- und Residenzstädten Konstantinopel und Adrianopel (s.d.), die Landschaften Bulgarien oder die Bulgarei (s.d.), Arnaut oder Albanien (s.d.), nebst Theilen von Macedonien (s.d.), dessen Hauptstadt Salonichi mit 70000 Einw. an der östl. Bucht des danach benannten Meerbusens liegt; Thessalien (s.d.) mit den Städten Trikola mit 10,000, Jenischehr mit 25,000 Einw., in dessen Nähe das im Alterthume berühmte Thal Tempe liegt, wo sich jetzt die vorzüglichsten türk. Rothgarnfärbereien befinden; Epirus (s.d.) und Thracien (s.d.). Das Ejalet Bosna umfaßt die Landschaft Bosnien, Theile von Dalmatien und Kroatien und Hersek oder die Herzegowina. (S. Bosnien.) Das Ejalet Dschesair oder der Inseln wird von Küstenlandschaften Macedoniens und Thraciens, allen türk. Inseln des Archipels mit Ausnahme von Kandia und auch einigen Gebieten in Natolien gebildet; namentlich gehört dazu in Europa: die Halbinsel Galipoli mit der festen Stadt Galipoli, dem Sitze des Kapudan Pascha, mit 17,000 Einw. am Ausgange der Dardanellenstraße ins Meer von Marmara, an welchem Rodosto mit 6000 Einw., Silivri mit 8000 Einw. und einem Hafen, und Erekli liegen. Keschan hat 10,000, das wegen seines wichtigen Baumwollenhandels bekannte Seres am Egrisu und Stronza 30,000 Einw., Keßrje 16,000, Betaglia oder Bitoglia 15,000 Einw. Ferner die Inseln Taso oder Taschos, 34/5 ! M. und 6000 Einw.; Samothraki, 11/2 M. und 2000 Einw.; Imbro 4 ! M. und 4000 Einw.; Limije, Stalimene oder Lemnos 12 ! M. und 8000 Einw., wo die im Alterthume und noch in der Türkei als bewährtes Mittel gegen Schlangenbisse und Gift geltende Siegelerde, lemnische Erde genannt, jährlich nur einmal unter feierlichen Gebräuchen gegraben wird. Von asiat. Landschaften und Inseln gehören zu diesem Ejalet die Statthalterschaft Kodscha Ili am Marmarameere mit den Städten Isnikmid (Nicomedia) 3500 Einw.; Skutari mit 40,000 Einw., was als Vorstadt von Konstantinopel (s.d.) gilt; Isnik mit 4000 Einw., das alte Nicäa, wo in der jetzigen Moschee Orkhans im I. 325 eine berühmte Kirchenversammlung stattfand, und die Demonnesi- oder Prinkiposinseln im Marmarameere. Die Statthalterschaft Bigha mit den asiat. Dardanellen (s.d.), den Städten Bigha, Baba und den Inseln: Marmara mit 4000 Einw., Kutali und andern im Marmara-, und Tenedos, dem Schlüssel der Dardanellenstraße, mit 7000 Einw., im ägäischen Meere. Die Statthalterschaft Sighla enthält die wichtigste Handelsstadt der Levante, Smyrna (s. Natolien), den Hafenplatz Tschesme und unter mehren Inseln Samos mit 32,000 griech. [361] Einw., Patmo oder Patmos mit 2900 Einw., zur Römerzeit ein Verbannungsort, wo auch der h. Johannes eine Zeit lang war, Kalymnos mit 9000 Einw. Zur Statthalterschaft Midillii gehörten die Insel Mitylene (Lesbos) 121/2 ! M. und 50,000 Einw., mit der Hauptstadt Kastro, und die bis auf eine unbewohnten Musconisi- oder Miosconisiinseln, zur Statthalterschaft Saki die Insel Scios oder Saki 181/2 ! M. mit 20,000 meist griech. Einw., deren sie aber vor dem griech. Freiheitskriege, welchem die Insel sich anschloß und deshalb von den Türken auf das gräßlichste verheert wurde, 120,000 durch Öl-, Wein- und Mastixbau (s. Mastixbaum) sehr wohlhabender Einw. zählte. Gleiches Geschick hatte 1824 die benachbarte Felseninsel Psara oder Ipsara, damals mit 20,000, jetzt kaum 1000 Einw. Auch die Statthalterschaft Rhodos besteht nur aus Inseln, von denen der ehemalige Sitz der Johanniterritter Rhodus (s.d.), 21 ! M. mit 30,000 Einw., die wichtigste ist. Das letzte europ. Ejalet Kirid endlich oder die Insel Kandia (s.d.) gehört jetzt unter die von Mohammed Ali von Ägypten verwalteten Provinzen.

Die asiat. Türkei, 21,000 ! M. mit ungefähr 11 Mill. Einw., von denen sich gegen 31/2 Mill. zum Christenthume bekennen, begreift die vier Haupttheile Kleinasien, Mesopotamien, türk. Georgien und Turkomanien, d.h. türk. Armenien mit Irak-Arabi und Kurdistan; außerdem gehört dazu der oben schon erwähnte, asiat. Theil des Ejalats Dschesair und das jetzt unter der Herrschaft Mohammed Ali's von Ägypten stehende Syrien (s.d.), der sich auch das Ejalet Yemen an der arab. Westküste unterworfen hat. Boden und Klima sind außerordentlich verschieden in diesem ausgedehnten Gebiete, das sich von den Gebirgen und Hochebenen Armeniens (s.d.), wo der Euphrat oder Frat und der Tigris entspringen, allmälig gegen O. und W., schneller gegen S. abdacht. Das wilde Karduchangebirge, westl. der Karadscha-Dagh, bilden den Südrand Armeniens und das letztere, vom Tigris durchbrochen, zieht sich unter vielerlei Namen nach Mesopotamien (s.d.) hinein. Gegen W. setzt sich das armen. Hochland in nördl. und westl. sich senkenden Hochebenen fort, welche zwischen 3–5000 F. über das Meer aufsteigen, von zahlreichen Bergzügen durchschnitten werden und bald baumlose Grastriften, bald öde Flächen mit salzigen Seen, bald fruchtbare Ackerländer sind. Den minder hohen Nordrand der kleinasiat. Hochebenen endlich bildet der von den armen. Hochgebirgen ausgehende, überall wild und schroff und mit dichten Nadelholzwäldern bedeckt, zum schwarzen Meere abfallende Antitaurus oder Hassan-Dagh, den höhern Südrand aber der zum Theil schneebedeckte Taurus, der unter vielerlei örtlichen Benennungen sich durch die Halbinsel bis ans ägäische Meer erstreckt, mit seinen südl. Ausläufern die meist schroffe und mit Wald bedeckte Küste des Mittelmeeres bildet und dessen höchster Gipfel der mit ewigem Schnee bedeckte Ardschisch in Karamanien ist. Östl. von der syr.-arab. Wüste begrenzt, dehnt sich als ein schmaler Streifen am Mittelmeer Syrien hin, wo der Libanon (s.d.) und Antilibanon sich erheben. Da, wo Tigris und Euphrat die hohen Grenzgebirge Armeniens durchbrechen, gelangen sie zunächst in das theils gebirgige, theils ebene und fruchtbare Mesopotamien, ihr südl. Bett aber liegt in Irak-Arabi, dessen fetter Boden häufig Überschwemmungen ausgesetzt und von zahlreichen Kanälen durchschnitten ist. Andere bemerkenswerthe Flüsse sind der Jeschil Irmak und der Kisil Irmak oder Halys der Alten, welche ins schwarze Meer münden; der Sarabat und Bujuk Mindar oder Mäander (s.d.) ergießen sich ins ägäische Meer, der Duden, der Karasu oder Cydnus der Alten, in dem Friedrich Barbarossa ertrank, der Dschihan und Sihan und der Aasi in Syrien münden ins Mittelmeer. Der Jordan verliert sich im todten Meere oder Bahr Lud, d.i. Loth's Meer, welches mit dem See von Wan oder Ardschisch, dem galiläischen Meere oder See von Genezareth, und dem See von Antakia oder Antiochien zu den wichtigsten der asiat. Türkei gehört. Das Klima dieser Gebiete ist sehr mannichfaltig, der Winter in den armen. Hochgebirgen sehr rauh und der Sommer selbst hat kalte Nächte und häufige Stürme; in Natolien bringt der Winter zwar auch Schnee in den Gebirgen, in den Ebenen aber nur Regen und kalte Nordwinde und geht schnell in den heißen Sommer über, wo Regen selten ist, sodaß, wo keine Bewässerung stattfindet, Alles vertrocknet. Die obern Gegenden am Euphrat und Tigris sind gemäßigt, südlicher bringt der Winter keinen Frost mehr und in der Nähe ihrer Mündungen ist der Sommer ausnehmend heiß. Zu den Landeserzeugnissen gehören die meisten der im mittlern und südl. Asien einheimischen wilden Thiere und selbst Löwen hausen in den Schilfdickichten am Euphrat und Tigris; vorzügliche Hausthiere sind Schafe mit Fettschwänzen, angorische Ziegen, Kameele, Pferde, Esel und Maulthiere. Das Pflanzenreich bietet Mais, Reis, Weizen, Datteln, Pisang, Kokospalmen, Südfrüchte, Aprikosen, Pflaumen und alles ähnliche Obst, vortreffliche Gemüse, Taback, Wein, Oliven, Kapern, Mohn zur Opiumgewinnung, Zuckerrohr, Safran, Indigo, Krapp, Cochenillepflanzen, Mastix, Storax, Sodapflanzen, Baumwolle, Flachs und Hanf; Tulpen, Hyacinthen, Ranunkeln, Lilien wachsen wild; unter den Waldbäumen sind die Cedern (s.d.) von Libanon berühmt und die in den nördl. Landschaften häufigen Eichen liefern auch vorzügliche Galläpfel. Wenig benutzt sind die meisten Producte des Mineralreichs, zu denen außer edeln Metallen und Edelsteinen, Kupfer, Eisen, Reißblei, Koch- und Steinsalz, der beste Meerschaum, Braun- und Steinkohlen, Porzellanerde u.a.m. gehören.

Nach der türk. Eintheilung des Landes zerfällt dasselbe in 17 Ejalets, wovon sechs auf Natolien (s.d.) kommen; das alte Cilicien und Pamphylien bildet jetzt großentheils das Ejalet Ischil, wo Tarfes, mit 30,000 Einw., ein bedeutender Handelsort und Geburtsstadt des Apostels Paulus, Itschil und Sis zu bemerken sind. Armen. Landschaften umfassen die Ejalete: Kars mit der durch den Handel nach Persien wichtigen Stadt Kars von 12,000 Einw.; Erzerum mit der festen Stadt Erzerum, die 100,000 Einw., wichtigen Handel nach dem Innern, Eisen- und Kupferwaarenfabriken besitzt; in Karahissar mit 3000 Einw. befinden sich Baumwollenwaaren- und Alaunfabriken. Das Ejalet Wan besteht aus Theilen von Armenien und Kurdistan und hier liegt am See Wan die meist von Armeniern bewohnte Stadt Wan mit 20,000 Einw.; andere bemerkenswerthe Orte sind Bidlis, Bajesid und Aklat. Ein Theil von Kurdistan (s.d.) ist das Ejalet Shehrsor mit der gleichnamigen Stadt, die an einem Felsen liegt, in welchem viele zu Wohnungen benutzte Höhlen ausgehauen [362] sind; die Stadt Arbil mit 4000 Einw. ist das durch Alexander's Sieg über Darius berühmte Arbela; zu Kerkuk befindet sich das angebliche Grab des h. Dionysius, auch gehören hierher mehre kurdische Fürstenthümer. Mesopotamien und Theile des alten Assyrien bilden die Ejalete: Bagdad mit den Städten Bagdad (s.d.), Imam-Hussein, Merdin, Nezibin; Basra mit der Stadt Basra von 60,000 Einw., die nur 4 M. vom pers. Meerbusen entfernt liegt und ein Hauptplatz für den Verkehr zwischen Indien, Persien und Konstantinopel ist; Mossul, wo die Stadt Mossul mit 60,000 Einw. am Tigris liegt, die durch Handel und Gewerbfleiß wichtig ist; Diarbekr mit der festen Stadt Kara Emid oder Diarbekr von 35,000 Einw. am Tigris; Rakka mit den Städten Rakka am Euphrat, Orsa oder Roha, dem alten Edessa und dem als Abraham's Aufenthaltsort in der Bibel genannten Haran oder Charan. Ein besonderes Ejalet bildet die Insel Cypern (s.d.) und von Syrien (s.d.), sowie von den unter die Herrschaft der Pforte gerechneten Ländern in Afrika ist in besondern Artikeln (s. Ägypten, Algier, Tripolis, Tunis) die Rede.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 3. Leipzig 1839., S. 356-363.
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