Ansteckende Krankheiten

[89] Ansteckende Krankheiten heißen die Krankheiten, bei welchen sich im Körper ein Stoff erzeugt, der, auf Gesunde übergetragen, in diesen die nämliche Krankheit hervorzubringen vermag, ohne daß deshalb die Krankheit, in Folge deren er sich entwickelt, selbst durch Ansteckung entstanden zu sein braucht. Da man diesen Ansteckungsstoff Contagium nennt, so haben auch die durch ihn erzeugten Krankheiten den Namen contagiöse erhalten. Das Contagium kann entweder durch unmittelbare Berührung oder durch den Gebrauch der Gegenstände, denen es anhängt, wie Kleidungsstücke, Wäsche, Geschirr u.s.w., oder auch auf eine gewisse Entfernung durch die den Kranken umgebende Luft auf Gesunde einwirken. Indessen nicht jede Einwirkung eines Ansteckungsstoffs hat, wenngleich auch die kleinste Menge desselben zur Ansteckung hinreicht, diese zur Folge, da zur Ansteckung nicht blos die Wirksamkeit eines Contagiums, sondern auch eine gewisse Empfänglichkeit des Körpers für dasselbe erfodert wird, die nicht bei Jedem und nicht zu jeder Zeit vorhanden ist. Daraus erklären sich auch die sehr zahlreichen Beispiele, daß Menschen, welche leichtsinnig oder ohne Vorwissen, oder auch aus Pflicht sich häufig der Gefahr aussetzen, angesteckt zu werden, dennoch gesund bleiben. Ansteckende Krankheiten, die sich nur durch unmittelbare oder mittelbare Berührung, nicht aber durch die Atmosphäre fortpflanzen, sind die Krätze, die Venerie, die Hundswuth, der Weichselzopf, die Kuhpocken u.s.w.; sie greifen daher auch nicht so schnell und allgemein um sich, als die, welche sich sowol durch Berührung, wie durch die Luft weiter verbreiten, wohin die Pest, die Menschenblattern, der Scharlachausschlag, die Masern und der sogenannte Typhus zu rechnen sind. Ob das gelbe Fieber und die asiat. Cholera zu den ansteckenden Krankheiten gehören, ist bis jetzt noch immer zweifelhaft.

Durch manche der ansteckenden Krankheiten wird die Empfänglichkeit des Körpers für ihren Ansteckungsstoff ein für allemal getilgt, sodaß Derjenige, der sie einmal überstanden hat, nur ausnahmsweise wieder von ihnen befallen wird; dies gilt insbesondere von den rasch verlaufenden, fieberhaften, z.B. den Menschenblattern, den Masern, dem Scharlach u.s.w.; andere dagegen können den Menschen wiederholt und sogar oft heimsuchen, wie Lustseuche, Krätze u.s.w. Ansteckende Krankheiten werden manchmal zu Epidemien, d.h. Krankheiten, welche eine sehr große Menge von Menschen gleichzeitig befallen, umgekehrt aber auch ursprünglich nur epidemische Krankheiten contagiös, die dann besonders, wenn Klima, Jahreszeit, Witterung, gesellschaftliche Einrichtungen, Vorurtheile, Mangel einer zweckmäßigen Gesundheitspolicei u.s.w. ihr Umsichgreifen begünstigen, oft furchtbare [89] Verheerungen anrichten. Zur Abhaltung oder Bezwingung aller der verschiedenen ansteckenden Krankheiten Schutzmittel zu finden, ist man noch gegenwärtig bemüht, und wenn auch in dieser Hinsicht Unwissenheit und Aberglaube zu manchen Thorheiten verleitet haben, so sind doch andererseits durch sorgsame Beobachtung der Vorgänge und Erscheinungen in der Natur und den Scharfsinn ausgezeichneter Männer höchst segensreiche Entdeckungen gemacht worden, wobei wir nur an die Kuhpockenimpfung als Schutzmittel gegen die Menschenblattern zu erinnern brauchen. Auch hat man die Erfahrung gemacht, daß im Allgemeinen Furchtlosigkeit, Gemüthsruhe, regelmäßige Lebensweise, Mäßigkeit, Reinlichkeit u.s.w. die Kraft eines Ansteckungsstoffes schwächen und oft sogar gegen die Ansteckung unempfänglich machen. Da indeß gänzliche Aufhebung jeden Verkehrs zwischen Gesunden und Kranken am meisten die Verbreitung ansteckender Krankheiten hindert, so errichtet man zu diesem Behufe, wenn ansteckende Krankheiten epidemisch werden, besondere Spitäler und Quarantaineanstalten und zieht Gesundheitscordons. – Wie unter den Menschen, so herrschen auch unter den Thieren ansteckende Krankheiten, die zum Theil auch für erstere gefährlich werden. Am häufigsten kommen vor Wuthkrankheit, Klauenseuche, Milzbrand, Rotz und Rinderpest.

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Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 1. Leipzig 1837., S. 89-90.
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