Epée

Epée

[672] Epée (Charles Michel, Abbé de l'), geb. 1712 zu Paris, der Begründer der franz., besonders auf die Geberden- oder Fingersprache (s.d.) berechneten Art des Unterrichts der Taubstummen, war der Sohn eines kön. Baumeisters und besaß von Jugend auf die entschiedenste Vorliebe für den geistlichen Stand, dem er sich auch mit Eifer widmete.

Da er jedoch bei den damaligen Jansenistischen Streitigkeiten der Meinung des päpstlichen Stuhls nicht beipflichtete und sich deshalb weigerte, die gefoderten und seinen Ansichten zuwiderlaufenden Erklärungen zu unterschreiben, ward ihm die Priesterweihe verweigert und die Bewerbung um geistliche Ämter untersagt. Er studirte daher noch die Rechte und trat als Parlamentsadvocat auf, wendete sich aber bei günstigern Umständen wieder zur Kirche und wurde durch den Bischof von Troyes daselbst Seelsorger und Kanonikus. Nach dessen Tode ward aber die Erneuerung der frühern Streitigkeiten durch den Bischof von Paris und E.'s Beharren in seinem Widerspruch die Veranlassung, daß er sein Amt verlor und ihm sogar der Religionsunterricht [672] verboten wurde. Er führte nun ein zurückgezogenes Leben in Paris und lernte hier zufällig zwei taubstumme Mädchen kennen, die ihren bisherigen Lehrer plötzlich durch den Tod verloren hatten und deren Unterricht E. übernahm, ohne vorher mit diesem damals wenig angebauten Fache bekannt gewesen zu sein. Der Erfolg entsprach seinen Bemühungen und E. beschloß, den Unterricht Taubstummer zu seinem Berufe zu machen. Ohne alle fremde Unterstützung legte er eine Anstalt für diesen Zweck an und erhielt sie blos mittels einer Rente von 12,000 Livres, indem er sich selbst zuweilen das Nöthigste versagte. Die franz. Regierung ließ aber dennoch seine wohlthätigen Bestrebungen, welche alles zeither Geleistete der Art weit übertrafen, ohne Unterstützung, und er fand überhaupt weit mehr Anerkennung im Auslande als in Frankreich. Dennoch lehnte E. die ihm von der russ. Kaiserin Katharina II. angebotene Beihülfe ab und erbat sich dafür Taubstumme zur Erziehung; dasselbe that E. gegen Kaiser Joseph II., der ihn während seiner Anwesenheit in Paris aufsuchte und nachher mehre Schüler zuschickte, die sich des Abbé Verfahren beim Unterricht aneignen und in Wien fortpflanzen sollten. Viel Unannehmlichkeiten hatte E. wegen eines taubstummen Jünglings, den er 1773 als Bettler auf der Straße fand und für den verstoßenen Sohn und Erben des Grafen von Solar hielt; nach einem langen Rechtsstreite wurde auch 1781 der Taubstumme als Graf Solar anerkannt und in dessen Erbe eingesetzt, was den Stoff zu einem franz., von Kotzebue auch für das deutsche Theater bearbeiteten, beliebten Drama geliefert hat. Nach dem im Dec. 1789 erfolgten Tode des Abbé ward aber das Urtheil umgestoßen, und der plötzlich reich gewordene junge Mann wieder seinem frühern Elende preisgegeben. E. gab auch mehre Schriften über seine Art des Unterrichts der Taubstummen heraus und bildete viele Lehrer, welche dieselbe fast in alle civilisirten Länder verbreiteten und zum Theil verbesserten.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 1. Leipzig 1837., S. 672-673.
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