[12] Fastnacht ist der Tag vor Aschermittwoch, in dessen Nacht die großen Fasten der katholischen Kirche ihren Anfang nehmen.
Es war der letzte Tag, an welchem der Genuß der Fleischspeisen und weltliche Vergnügungen erlaubt waren. Daher wurde es Sitte, an ihm und während der vorhergehenden Tage gleichsam von dem Fleische Abschied zu nehmen, welches in dem ital. Worte Carneval (aus carne und vale, d.h. leb wohl, Fleisch!) ausgedrückt ist. Der Carneval oder Fasching, wie er im südl. Deutschland heißt, wurde daher ein Fest der größten Ausgelassenheit, und nicht ungegründet ist die Vermuthung, daß dieses Fest, wie mancher andere Brauch, aus dem röm. Heidenthume in die röm.-christliche Kirche übergegangen sei. [12] Wir finden nämlich bei den alten Römern das Fest der Saturnalien, an welchem ähnliche Thorheiten getrieben wurden, wie sie zur Carnevalszeit in den großen Städten Italiens noch gegenwärtig üblich sind. Besonders ausgezeichnet durch Pracht, Muthwillen und Volksjubel sind der Carneval zu Venedig und der zu Rom. Diese Feste werden durch den großen Zusammenfluß von reichen Fremden, die aus allen Gegenden am liebsten zu dieser Zeit nach Italien reisen sowie durch die Lebhaftigkeit des Charakters der Italiener erhöht. Jung und Alt, Männer und Weiber werfen sich in allerlei, zum Theil prächtige, zum Theil komische Verkleidungen, und indem sie irgend einen wirklichen oder fingirten Charakter, Männer in Weiberkleidern und umgekehrt, mit der größten Lebhaftigkeit durchführen, suchen sie die Thorheit, welche Alle ergriffen, auszudrücken, zu erhalten und nach Kräften zu steigern. Unsere Maskenbälle, welche auch vor Beginn der Fastenzeit abgehalten werden, können nur ein schwaches Bild von einem röm. Carneval geben. Dieser wird nicht in engen Zimmern, sondern unter dem freien heitern ital. Himmel gefeiert; es haben nicht nur die Gebildeten Zutritt zu ihm, sondern Jeder, weß Namens und Standes er auch sein mag. Daher wird der Muthwille durch keine Bande des gesellschaftlichen Zwangs, ja nicht einmal der Sittlichkeit in Zügel gehalten. Die Thorheit wird nicht an einem Abende angenommen und abgethan, sondern Tage lang fortgesetzt und die Policei nimmt nicht den ruhigen, ernsten Bürger in Schutz, der die Angriffe der Thorheit von sich abhalten will, sondern die Thoren sind die unantastbaren Personen, denen kein, wenn auch etwas derber Scherz, übelgenommen werden darf. Außer den Masken der Pulcinells, der Quacqueri, Bettler, Domino u.a. (s. Masken) haben die ital. Carnevals in den verschiedenen Städten noch besondere Eigenthümlichkeiten. In Rom wird her Carneval auf der langen Straße Corso abgehalten. Zu beiden Seiten sind Erhöhungen für die Fußgänger, auf denen Stühle vermiethet werden, und zwei Reihen von Wagen mit bunten Masken gefüllt ziehen auf der einen Seite hin, auf der andern her. Zwischen diesen Wagen wimmelt[13] es von Masken. Es ist ein Gedränge und Geschrei, von dessen Verwirrung wir keine Vorstellung haben. Alle Häuser sind überdies mit reichen Teppichen verziert und aus allen Fenstern schauen Masken auf das Gewirr der Straße. Zu der Erhöhung der allgemeinen Lebendigkeit trägt nicht wenig die allgemeine Sitte bei, sich gegenseitig mit Confetti zu bewerfen. Ursprünglich waren dies überzuckerte Körner, mit denen man sich im Scherz bewarf, jetzt bepudert einer den andern mit Gypskörnern, die von Krämern geschäftig verkauft werden, und jede Maske führt diese Waffe zur Vertheidigung und zum Angriffe bei sich. Jeder Tag des Carnevals wird durch ein Pferderennen beschlossen, welches dem Jubel des Volkes die Krone aufsetzt. Soldaten entfernen aus der Mitte zwischen beiden Wagenreihen die Menschen und darauf werden nach einem gegebenen Zeichen muthige Rosse ohne Zügel und Reiter an dem einen Ende des Corso losgelassen, welche mit einer pfeilschnellen Geschwindigkeit die lange Straße herunterrennen. Der Besitzer des zuerst am Ziele anlangenden Rosses erhält ein Stück Gold- oder Silberstoff. Nachdem am letzten Tage das letzte Pferderennen gehalten, nimmt mit der einbrechenden Nacht die allgemeine Luft den gewaltigsten Aufschwung, um dann in die stille Fastenzeit sich aufzulösen. Lichter (Moccoli) erscheinen immer mehr und mehr, bald hat jede Maske ihr Licht, ja oft ganze Aufsätze von Lichtern. Alle Wagen und Häuser sind gleichfalls mit Lichtern besetzt. Die Luft besteht darin, daß einer dem andern ohne Unterlaß das Licht auszulöschen versucht, daß eine hier zum Scherz gewordene Verwünschung Jeden trifft, dem sein Licht ausgelöscht wurde. »Sia ammazzato!« (werde ermordet!) ist das allgemeine Losungswort, das Alle einander zurufen, womit Keiner verschont wird, während Alle im lustigen Kampfe um die Lichter begriffen sind. Erst nachdem das Gedränge und Geschrei einen Grad erreicht, der an den tollsten Wahnsinn grenzt, nachdem sich die Mehrzahl müde geschrieen und gedrängt, tritt allmälig Beruhigung ein, die Masken schleichen sich, sowie der Menschenknäuel sich allmälig lockert und auflöst, nach Hause, um dort mit einem Schmause zu beschließen, oder ins Theater, und so endet das Fest. – Mit dem ital. Carneval hat in Deutschland nur der kölnische einige Ähnlichkeit, welcher ebenfalls öffentlich auf den Straßen und in Sälen abgehalten wird. Aber auch dieser, sowie der pariser Carneval, welcher ebenfalls öffentlich ist, steht dem ital. an Lebhaftigkeit nach. – Der Fastnachtsfeier in Deutschland verdanken die lustigen Fastnachtsspiele ihren Ursprung, an denen die wohlhabenden Bürger der Reichsstädte ein großes Wohlgefallen fanden. Sie waren Komödien voll derber Späße und kernigen Witzes.