Galizien

[135] Galizien. Das Königreich Galizien und Lodomerien mit der Bukowina, dessen größter Theil seit 1772 schon dem Kaiser von Östreich als König von Ungarn unterthan ist, hat einen Flächeninhalt von 1548 ! M. mit 4,560,000 Einw. und wird im S. von Siebenbürgen und Ungarn, im O. und N. vom russ. Polen und Krakau, im W. von östr. Schlesien begrenzt. Der südl. Theil ist Gebirgsland der Karpaten, die hier insgemein Czernagora oder schwarze Berge heißen und sich an einigen Stellen bis zu etwa 6000 F. erheben. Die zahlreichen von ihnen herabfallenden Flüsse werden entweder durch die Weichsel (San mit Wisloka, Dunajec, Bug u.a.) nach der Ostsee, oder (wie der Pruth) durch die Donau nach dem schwarzen Meere geführt. In dasselbe ergießt sich auch der Dniester, welcher die Podhara, den Sered, Stry und die Lomnica aufnimmt. Der größte Theil G.'s gehört dem nordeurop. Flachlande an und hat, weil es wegen seiner nördl. Abdachung dem Vorherrschen der Nordostwinde ausgesetzt ist, ein strenges Klima. Der Boden ist vielfach sandig und morastig, doch fehlt es keineswegs an fruchtbaren Fluren; namentlich liefert das Land im Osten von Lemberg vortreffliches Getreide in Menge; es gedeihen Hanf, Flachs, Taback, Rhabarber u.s.w. Einen Hauptnahrungszweig bildet neben dem Ackerbau die Viehzucht; die Pferderace ist in neuern Zeiten, namentlich in der Bukowina, sehr veredelt worden; das Rindvieh wird zu vielen Tausenden außer Landes geführt. In den dichten Wäldern leben noch Bären und Wölfe, und am Bug Bibercolonien. Die vielen Teiche sind sehr fischreich; die Bienenzucht ist bedeutend. An Mineralien liefert das Land vortreffliches Eisen, etwas Kupfer und Silber; die Bistritza führt Gold mit sich; in den Karpaten werden häufig Steinölquellen gefunden. Ein besonders wichtiges Product aber ist das Salz, woran G. einen unerschöpflichen Reichthum hat. Die Steinsalzwerke von Bochnia und Wieliczka (s.d.) sind weltberühmt.

Seit dem Jahre 1772 hat das Land an Volksmenge und Wohlstand zugenommen; zahlreiche deutsche Colonisten (etwa 80–90,000) haben sich angesiedelt und dem Ackerbaue Aufschwung gegeben. Doch ist der poln. und rußniakische Bauer noch immer im Allgemeinen unwissend und träge. Der Gewerbfleiß ist im Steigen, namentlich in den an Schlesien grenzenden Theilen, wo seit einiger Zeit Leinwand- und Baumwollenwaaren fabricirt werden. Die Eisenwerke und Wachslichterfabriken sind von Bedeutung.

G. hatte im Mittelalter einheimische Herzoge, unter denen die von Halicz (von dem das ganze Land den Namen) die bedeutendsten waren. Ungarn und Polen stritten sich um die Herrschaft und Polen behauptete es seit 1340. Doch fielen immer aufs Neue Einfälle der Tataren, Türken und Kosacken vor. Das jetzige Königreich G. ward 1772 in Folge der ersten poln. Theilung aus dem vormaligen Rothpreußen und einem Theile Kleinpolens gebildet. Seit 1786 gehört auch die Bukowina zu G., das 1795 nach der letzten Theilung noch mit Westgalizien und Krakau vergrößert ward. Diese letztere Stadt ist jedoch späterhin mit ihrem kleinen Gebiete für unabhängig erklärt worden; sowie ein Theil G.'s, worin Zamosc liegt, dem russ. Königreiche Polen einverleibt worden ist. Das Königreich G. ist gegenwärtig in 19 Kreise getheilt; höchste Behörde ist die Hofkanzlei in Wien, unter welcher das Landesgubernium steht, das in der Hauptstadt Lemberg seinen Sitz hat, wo sich auch ein Appellationsgericht befindet. Seit 1775 hat G. Postulatlandstände, die aus Abgeordneten des Herren- und Ritterstandes und der Städte bestehen. Die Mehrzahl der Bevölkerung besteht in den mittlern und östl. Kreisen, in denen eine aus Russisch und Polnisch gemischte Sprache geredet wird, aus Rußniaken (Rothreußen) und Polen; in den Karpatengegenden wohnen in der Ebene die sogenannten Mazuraken, im Gebirge die Gorallen, d.h. Bergbewohner, ein Volksstamm, der seine alte Eigenthümlichkeit und einfache Lebensweise bis auf den heutigen Tag bewahrt und sich mit seinen Nachbaren nicht vermischt. Manche Gorallen gehen alljährlich ins Tiefland, arbeiten dort um Lohn und kehren mit dem Erworbenen wieder heim. Alle wissen vortrefflich mit der Axt umzugehen, die in ihren Händen eine furchtbare Waffe bildet. Sodann leben in G. etwa 90,000 [135] Deutsche; mehr als 150,000 Moldwenen (ein walachischer Stamm) in der Bukowina, und 300,000 Juden, die überall zerstreut sind. Mehr als 21/2 Mill. in G. bekennen sich zur unirten griech. Kirche; über 100,000 zur nicht-unirten, 500,000 sind Katholiken. In der Bukowina leben auch Philippowanen, eine altgläubige Sekte der griech. Kirche. Sie siedelten sich dort an, weil sie in ihrer alten Heimat, der Krim, intolerant behandelt wurden.

Die wichtigsten Städte in G. außer Lemberg (s.d.) sind: Przemysl am San, mit 7000 Einw.; Jaroslaw am San, mit 10,000 Einw., wichtigem Handel und einer berühmten Messe, auf der oft binnen wenigen Tagen 20,000 Pferde und 40,000 Stück Rindvieh verkauft werden; Sambor am Dniestr, mit 9000 Einw., in dessen Umgegend eine Pfälzer-Colonie sich besonders mit Rhabarberbau beschäftigt; Brody, eine bekannte Handelsstadt mit etwa 24,000 Einw., wovon drei Viertheile Mosaischer Religion; Tarnopol am Sereth, mit 10,000 Einw., und die kleine Stadt Halicz am Dniestr.

Die Bukowina, d.h. Buchenwald, ein höchst fruchtbares und anmuthiges Land, das früher zur Moldau gehörte, hat nahe an 150 ! M. und 270,000 Einw. Die Hauptstadt Tschernowitz, mit mehr als 8000 Einw., liegt unweit vom Pruth und treibt starken Handel.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 2. Leipzig 1838., S. 135-136.
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