Heimat

[360] Heimat nennt man das Land, wo man geboren ist. Jeder Mensch fühlt in seiner Brust ein mächtiges Gefühl, welches ihn zu dem Lande hinzieht, in welchem er seine Kindheit und Jugendzeit verlebte. Dieses Gefühl ist bei einzelnen Menschen und unter einzelnen Völkern, namentlich Gebirgsbewohnern, zuweilen so stark, daß aus der unbefriedigten Sehnsucht nach dem theuern Heimatslande ein krankhafter Zustand entsteht, den man Heimweh nennt. Diese Liebe zur Heimat, welche sich auch bei den rohesten Völkern findet, wird bei dem gebildeten und mündigen Staatsbürger zur Vaterlandsliebe, welche sich nicht blos auf ein dunkles Gefühl stützt, sondern auf eine bestimmte Überzeugung von der Tüchtigkeit vaterländischer Einrichtungen und von der Möglichkeit, mittels derselben seine Zwecke als vernünftiger Mensch und als Staatsbürger erreichen zu können. In rechtlicher und staatswirthschaftlicher Beziehung wird der Begriff der Heimat besonders dadurch wichtig, weil aus ihm für die Angehörigen derselben gewisse Rechte und Verbindlichkeiten erwachsen. Die überhandnehmende Armuth und das Verfallen mancher in frühern Zeiten bestandener wohlthätiger Institute macht eine Norm und einen Begriff dringend nothwendig, aus welchem sich die Verpflichtung, nahrungslose und arme Staatsangehörige zu ernähren, herleiten läßt. Nächst der Familie scheint nun hierzu die Heimat des Verarmten die meiste Verbindlichkeit zu haben, und diese Verbindlichkeit ist deshalb auch in den meisten Ländern gesetzlich ausgesprochen und die Gemeinde, welcher der Hülfsbedürftige durch Geburt oder ausdrückliche Aufnahme angehört, als derjenige Verband, welcher für seine Ernährung nöthigenfalls zu sorgen hat, bezeichnet worden. Den Inbegriff der Rechte und Verbindlichkeiten, welche für eine Person aus der Heimatsangehörigkeit erwachsen, nennt man das Heimatsrecht. Vermöge desselben hat der Heimatsangehörige nicht blos das Recht, im Verarmungsfalle Unterstützung von der Gemeinde zu verlangen, sondern auch das Recht, in derselben sich aufzuhalten, Grundbesitz zu erwerben und Gewerbe zu betreiben; wogegen ihm aber auch die Verpflichtung obliegt, zu den Lasten der Gemeinde beizutragen. Der aus der Ertheilung des Heimatsrechts für die Gemeinde erwachsenden Verbindlichkeiten wegen pflegt man mit der Aufnahme in den Gemeindeverband sehr vorsichtig zu Werke zu [360] gehen, auch sind in den meisten Staaten in neuern Zeiten eigne Heimatsgesetze erschienen, welche die Bedingungen der Aufnahme und die aus ihr erwachsenden Rechte näher feststellen. Allein alle Gesetze der Art werden stets zwischen den beiden Klippen schwanken: entweder die Freizügigkeit und Erwerbsthätigkeit zum Nachtheil des Ganzen und des Einzelnen zu sehr zu beschränken oder die Verarmenden später an Orte zu verweisen, zu denen sie nicht ihr eignes Interesse zieht und in denen sie sehr ungern gesehen werden. Das beste Mittel, diesen Übelständen. abzuhelfen, dürfte vielleicht sein, wenn der Staat die Kosten der Armenpflege über sich nähme und nach der Einwohnerzahl jedes Orts die nothwendigen Beiträge selbst erhöbe.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 2. Leipzig 1838., S. 360-361.
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