[666] Kreuzotter (die) oder gemeine Viper, auch Otter, Adder, Feuerotter, Kupferotter und fälschlich Natter genannt, ist die einzige in Deutschland und hier fast in allen Gegenden, wiewol nicht häufig vorkommende giftige Schlange, aus der Gattung der Vipern.
Das Männchen wird 2 F., das Weibchen 2 F. 6 Zoll lang. Die Färbung ist nach Geschlecht und Alter verschieden, aber stets kann man die Kreuzotter an der dunkeln Zickzacklinie erkennen, welche über den ganzen Rücken hin bis zur Schwanzspitze läuft und in deren Ausbuchtungen auf jeder Seite des Körpers kleine dunkele, eine Reihe bildende Flecke stehen. Diese Viper hat ferner ein die Augen ganz deckendes Schild und gleich dahinter zwei andere große Schilder, übrigens aber auf dem Kopfe lauter kleine Schuppen. Von der Mitte des Oberkopfs läuft nach jeder Seite des Hinterkopfs eine sichelförmige Linie und beide Linien vereinigen sich zuweilen, indem zwischen ihnen die beschriebene Zickzacklinie beginnt. Die Grundfarbe des Männchens, welches sich nur wenig verändert, ist weiß. Bei den jungen Männchen geht sie ins Graue oder Hellbraune über. Die Linien und Punkte sind stets schwarz, sowie der Bauch. Das Weibchen ist von der Geburt bis zum ersten Winter hellgrün oder röthlichgrau mit brauner Zeichnung, vom zweiten bis zum vierten Jahre schön hellrothbraun mit dunkelrothbrauner Zeichnung; später wird es am Kopfe grau und endlich am ganzen Körper schmuzig oder grünlichgrau mit schmuzig schwarzbrauner Zeichnung. Der Unterleib der jüngern Weibchen ist roth oder gelbbraun, der ältern schwarz. Die Augen haben eine schön feuerrothe Iris, welche bei dem Männchen unten schwarz ist. Ein senkrechter Spalt bildet die Pupille. Das Maul ist groß und beinahe bis zum Ende des Kopfs gespalten; die Zunge endet in zwei überaus seine Spitzen. Die Giftdrüsen liegen auf beiden Seiten des Hinterkopfs und sind bei ausgewachsenen Vipern 31/2 Linien lang und 2 Linien breit. Von jeder führt ein seiner Kanal unter dem Auge hin bis zu dem durchbohrten Giftzahn. In jeder Kinnlade hat die Schlange einen oder zwei größere Giftzähne, hinter diesen aber noch 1–6 kleinere. Wenn die großen ausfallen, so treten die kleinen an die Stelle von jenen. Die Giftzähne sind 1–13/4 Linien lang und äußerst spitz und mit einer offenen Hautscheide überzogen, die sich beim Bisse zurückzieht. Sie sitzen in einem eignen Kieferknochen, welchen die Viper, wenn sie ruht, zurücklegen kann, wenn sie den Rachen öffnet aber so stellt, daß die Giftzähne senkrecht zu stehen kommen. Das Gift der Kreuzotter stellt eine wasserhelle gelbliche Feuchtigkeit dar. Auf jeder Seite des Gaumens hat diese Viper noch eine Reihe sehr kleiner, feiner nach hinten gebogener Zähne, und ebenso ist die Unterkinnlade bewaffnet. Alljährlich pflegt sie sich fünfmal zu häuten. Man findet die Kreuzotter am häufigsten in Laubwäldern, besonders wo es Haselbüsche gibt, sowie in jungen Nadelholzanlagen; auch liebt sie hohe Haide und Heidelbeerbüsche. Sie legt sich gern in den Sonnenschein, während sie bei kaltem, feuchtem und nassem Wetter ihre Höhle aufsucht. Im Winter erstarrt sie, wacht aber mit dem Sommer wieder auf. Sie nährt sich von Mäusen, jungen Maulwürfen, jungen Vögeln, Fröschen und Eidechsen, welche sie durch schnelles Zufahren fängt, mit einem Bisse tödtet und langsam hinunterwürgt. Wenn sie gereizt ist, so pflegt sie sich zusammenzuringeln, sodaß ihr Körper die Form eines Tellers annimmt; der Kopf liegt in der Mitte und schnell schleudert sie denselben beim Biß 1/4–1/2 F. vorwärts. Sie fällt den Menschen nur an, wenn er sie willentlich oder aus Versehen reizt, auf sie tritt u. dgl. Der Biß ist anfangs mit bloßen Augen kaum zu bemerken, läuft aber bald stark an und wird sehr schmerzlich, bis Gefühllosigkeit oder Lähmung eintritt. Dies geschieht oft schon nach fünf Minuten und dann erfolgt Übelkeit und Erbrechen. Nach Verlauf von 1–2 Tagen ist eine ansehnliche Geschwulst zu sehen, welche gewöhnlich gelb gefärbt ist und von heftigem Fieber begleitet wird. Ist die Schlange beim Biß sehr wüthend gewesen und hat sie ihren Feind gut getroffen, so pflegt in kurzer Zeit der Tod desselben zu erfolgen. Man weiß eine große Anzahl von Beispielen, in denen der Tod nach kurzer Zeit erfolgte. Das beste Mittel gegen den Biß der Kreuzotter ist, die Wunde alsbald auszuschneiden, wobei man wegen der Kleinheit der Giftzähne nur etwa zwei Linien tief zu gehen nöthig hat. Kann das Ausschneiden nicht sogleich geschehen und ein Arzt herbeigerufen werden, so wasche und reibe man die Wunde sogleich mit Wasser und seinem Sande aus, meide erhitzende Getränke, reibe den verletzten Theil oft mit süßem Baumöl ein und mache um ihn Umschläge von gekochtem Mehlbrei. Auch kann man schweißtreibenden Thee trinken und den Schweiß gehörig abwarten. Wasser, Milch und dünne Suppen dienen dem Kranken zur Nahrung. Auch Chlorwasser, täglich etwa zwei Loth innerlich eingenommen, hat man als Gegengift empfohlen. Man will beobachtet haben, daß der Biß der Kreuzotter oft erst nach vielen Jahren seine bösartigen Folgen geäußert habe. Bussarde, Krähen, Störche, Iltisse, Marder, Igel, Schweine fressen die Kreuzotter ohne Gefahr.