[154] Geburt, Niederkunft, Entbindung bezeichnet die Verrichtung des weiblichen Menschen oder Thieres, durch welche ein Kind oder ein Junges zur Welt gebracht wird. Die Geburt erfolgt, wie jede andere Verrichtung des thierischen Körpers, nach gewissen Gesetzen und Bedingungen, und sie verläuft regelwidrig oder gar nicht, wenn eine oder mehre dieser Bedingungen unerfüllt bleiben. Soll sie ungestört von Statten gehen, so muß die Schwangerschaft glücklich verlaufen sein und ihr naturgemäßes Ende erreicht haben, die Gebärende im Allgemeinen sich wohlbefinden und örtlich gut gebildet sein; ferner das Kind nebst den zu ihm gehörigen Anhängen, den Eihäuten und dem Mutterkuchen, die bisher zu seiner Erhaltung gedient haben, so beschaffen sein, wie sie sein sollen, und von Seiten der Gebärenden, sowie der Hülfe leistenden Personen das rechte Benehmen beobachtet werden. Das Hauptgeburtsorgan des weiblichen Körpers ist die Gebärmutter oder der Fruchthalter. Dieses [154] Organ, welches die Frucht nebst allen zu ihr gehörigen Gebilden enthält, zieht sich während des Gebärens satzweise, d.h. mit längere oder kürzere Zeit anhaltenden Pausen zusammen und treibt durch diese Zusammenziehungen, denen man wegen des mit ihnen verbundenen Schmerzes den Namen Wehen beigelegt hat, die Frucht und ihre Anhänge aus. Die Erscheinungen, welche eine regelmäßig verlaufende Geburt darbietet, sind nun folgende: Zu Ende der vierzigsten Schwangerschaftswoche wird die Schwangere unruhig, klagt über Bangigkeit, Schauer, Schmerzen im Unterleibe und öftern Drang zum Urinlassen, oder sie empfindet eine allgemeine Unbehaglichkeit, ohne ein bestimmtes Leiden angeben zu können, bis sich der erwähnte Unterleibsschmerz einstellt. Diese Schmerzen, welche Erstgebärende gewöhnlich als Schneiden beschreiben, kehren wieder und werden nach und nach immer heftiger. Dies sind die sogenannten vorhersagenden Wehen, d.h. solche, welche dem Weibe den Anfang der Geburt ankündigen sollen, haben von Hebammen und gemeinen Leuten den Namen Rupfer oder Kneiper erhalten und stellen sich oft schon 8 oder 14 Tage vor dem eigentlichen Beginn der Geburt ein. Indessen werden die Zusammenziehungen der Gebärmutter immer kräftiger, anhaltender und häufiger und heißen, weil sie die nöthige Vorbereitung zu dem eigentlichen Gebären bewirken, vorbereitende Wehen. Der mit ihnen verbundene Schmerz erstreckt sich von dem Kreuze und der Lendengegend aus nach dem Schoose und den Schenkeln. Die Schwangere wird immer ängstlicher und unruhiger, treibt sich im Zimmer umher (sie kreist), erbricht sich u.s.w. Während dessen öffnet sich der Muttermund, die Eihäute mit dem in ihnen enthaltenen Fruchtwasser werden durch denselben in Gestalt einer Halbkugel hervorgedrängt (die Blase stellt sich) und endlich so angespannt, daß sie zu zerreißen drohen (die Blase ist springfertig), gleichzeitig geht mit einer größern oder geringern Menge Schleimes etwas Blut ab (es zeichnet). Hierauf erfolgt der sogenannte Wassersprung, indem durch die immer stärker werdenden Wehen die Eihäute zerrissen werden und das Fruchtwasser abfließt. Nach dem Abflusse des Fruchtwassers tritt für einige Zeit Ruhe ein. Bald aber beginnen die Wehen von Neuem und sind jetzt noch kräftiger, andauernder und häufiger als bisher. Die Anstrengung für die Gebärende wird nun so stark, daß sie nicht mehr zu stehen vermag, zumal ein unwiderstehlicher Drang sie nöthigt, die Wehen durch gewaltsames Drücken und Pressen nach unten in ihrer Wirksamkeit zu unterstützen. Sie zittert am ganzen Körper, schwitzt über und über, bekommt überhaupt ein erhitztes Ansehen und einen stürmischern Pulsschlag. Mittlerweile tritt der Kindeskopf aus seinen bisherigen Hüllen, den Eihäuten, welche sich zurückziehen, hervor, durch den Muttermund und rückt, indem er sich gewissermaßen durch die Beckenhöhle dreht, dem Beckenausgange immer näher. Am Beckenausgange angelangt, findet er neuen Widerstand, der nur durch die kräftigsten Wehen überwunden werden kann, während welcher der Schmerz den höchsten Grad erreicht. Ist der Kopf geboren, so folgt eine kurze und behagliche Ruhe, während welcher die Gebärende sich etwas wieder erholt. Bald jedoch zieht sich die Gebärmutter abermals zusammen und treibt nun auch den Körper des Kindes aus, dessen Geburt indeß weniger Kraftaufwand von Seiten der Gebärenden erfodert, als die des Kopfes. Befindet sich noch ein zweites Kind in der Gebärmutter, so beginnt nach einer kurzen Pause die Geburtsarbeit wieder, wie zur Geburt des ersten Kindes, nur daß sich bei dem zweiten Kinde gewöhnlich keine Blase stellt und kein Wasser abgeht. Nach dem Austritte des Kindes an die Außenwelt ruht die Gebärmutter einige Zeit, dann aber treten wieder Zusammenziehungen ein und bewirken nicht nur, daß sich jetzt nach Ausstoßung des Kindes das Organ beträchtlich verkleinert, sondern auch, daß sich der noch in ihm befindliche Mutterkuchen löst. Weil aber durch das Lösen des Mutterkuchens die innere Gebärmutteroberfläche verwundet wird, beginnt nun Blut in größerer oder geringerer Menge auszufließen. Indeß läßt diese Blutung bald nach und die sich fortwährend zusammenziehende Gebärmutter entledigt sich nun auch des bis jetzt zurückgebliebenen Mutterkuchens, sowie der Eihäute, die gemeinschaftlich durch die Benennung Nachgeburt bezeichnet werden. Nach dem Abgange der Nachgeburt nimmt das Wochenbette, als die letzte Geburtsperiode, seinen Anfang. Dieses hat hauptsächlich die Aufgabe, Das, was etwa von den Gebilden des Eies in dem Fruchthalter noch zurückgeblieben sein könnte, vollends zu entfernen, diesen selbst aber allmälig zu dem Zustande zurückzuführen, in welchem er sich vor der Befruchtung befand. Soll dieses gelingen, so darf die wohlthuende Ruhe, welche in der Regel auf die Austreibung des Kindes und der Nachgeburt zu folgen pflegt, gar nicht oder wenigstens nicht zu oft und zu anhaltend unterbrochen werden, wie dies bei Weibern, welche schon oft oder sehr schnell geboren haben, durch fernere, meist sehr schmerzhafte Zusammenziehungen der Gebärmutter geschieht, welche Nachwehen genannt werden; außerdem muß die Haut thätiger werden als bisher, namentlich die ersten 5–7 Tage nach der Ausstoßung des Kindes mehr als gewöhnlich schwitzen und zugleich in den Brüsten Milch abgesondert werden.
Der eben beschriebene ist der naturgemäße Hergang der Geburt. Indeß bietet sie, abgesehen von den zahlreichen Regelwidrigkeiten, die sie erschweren oder ohne die Dazwischenkunft künstlicher Hülfe auch wol ganz unmöglich machen können, noch einige Verschiedenheiten dar, die noch innerhalb der Grenzen der Gesundheit liegen. Dergleichen Verschiedenheiten werden unter Anderm durch die verschiedenartigen Kindeslagen bestimmt, die jedoch sämmtlich, wenn sie die Geburt nicht gradezu regelwidrig machen sollen, stets so beschaffen sein müssen, daß das Kind der Länge nach in der Gebärmutter liegt. Der am gewöhnlichsten vorausgehende Theil des Kindeskörpers ist der Kopf, und zwar das Hinterhaupt, allein nicht nur kann dieser in verschiedenen Stellungen zu Tage kommen, wie z.B. mit dem Scheitel, dem Gesichte voraus, sondern das Kind wird oft auch mit dem Hintern oder mit den Füßen zuerst geboren. Die Ursachen, welche die Geburt regelwidrig machen können, sind hauptsächlich Regelwidrigkeiten der vorausgegangenen Schwangerschaft, Misbildung oder abweichende Beschaffenheit der bei der Geburt vorzüglich mitwirkenden Theile des Körpers u.s.w. Je nach der Zeit, in welche die Geburt des Kindes fällt, unterscheidet man zu frühzeitige, zeitige und verspätete Geburten. Kommt die Geburt durch die Naturkräfte allein zu Stande, so nennt man sie eine [155] natürliche. Diese kann wieder leicht oder schwer, schnell oder langsam von Statten gehen. Bei Erstgebärenden geht sie in der Regel langsamer und mit größern Schwierigkeiten vor sich, als bei solchen, die schon öfter geboren haben. Kann die Geburt nur unter Beistand eines Geburtshelfers (s.d.) zu Stande kommen, so heißt die Geburt eine widernatürliche oder künstliche. Zum Troste aller Schwangern sei ausdrücklich bemerkt, daß unter 50 Entbindungen kaum eine schwere vorkommt, und unter tausend, nach sichern Berechnungen, nur eine den Tod unmittelbar herbeiführt, endlich, daß grade die Geburtshülfe zu denjenigen Zweigen der Heilkunst gehört, welche die meiste Zuversicht auf Hülfe in regelwidrigen Fällen gewähren.
Geburt in rechtlicher Beziehung. Die Vortheile ehelichgeborener, d.h. in vollgültiger Ehe erzeugter Kinder bestehen hauptsächlich darin, daß sie sowol ihren Vater als ihre Mutter vor allen andern Verwandten derselben beerben, außerdem auch die Standesvorrechte, welche nicht rein persönlich sind, mit ihren Ältern theilen, z.B. den Adel (s.d.); uneheliche Kinder dagegen sind nach den Grundsätzen des deutschen Rechts von der Erbfolge in die väterliche Verlassenschaft gänzlich ausgeschlossen und beerben nur ihre Mutter. Sie gehörten keiner Familie an und wurden, weil der König ihr natürlicher Vormund war, in dieser Beziehung Vaterstelle bei ihnen vertrat und sie sogar beerbte, Königskinder genannt. Außerdem waren die unehelichen Kinder in frühern Zeiten wegen des ihnen anklebenden Geburtsmakels von dem Eintritte in öffentliche Ämter und Würden ausgeschlossen, durften nicht einmal in Zünfte aufgenommen werden u.s.w. und hatten in diesen Beziehungen gleiches Schicksal mit den unehrli chen Kindern, d.h. den Kindern solcher Ältern, welche ein nach den Begriffen früherer Jahrhunderte verunehrendes Gewerbe trieben. Alle diese Vorurtheile sind jetzt größtentheils beseitigt und wol in keinem civilisirten Staate wird heut zu Tage Jemand durch seine Geburt von Erlangung öffentlicher Ämter und von dem Eintritte in Zünfte mehr ausgeschlossen. Uneheliche Kinder werden übrigens nach dem Namen ihres Vaters, und nur, wenn dieser nicht zu ermitteln ist, nach dem Familiennamen ihrer Mutter getauft. – Wenn von mehren Geschwistern eins oder mehre nicht von einem und demselben noch lebenden und ehelich verbundenen Älternpaare abstammen, sondern von einem Theile des letztern dem andern bei der Verheirathung zugebracht worden sind, so nennt man diese zugebrachten Kinder im Verhältniß zu ihrem jetzigen neuen Vater oder Mutter halbbürtige, Stiefkinder, und umgekehrt ihre jetzigen Ältern Stiefvater, Stiefmutter, denen man in der Sprache des gewöhnlichen Lebens den rechten Vater, die rechte Mutter entgegensetzt. Solche zugebrachte Kinder heißen, im Gegensatz zu ihren vollbürtigen (d.h. von einem und demselben Älternpaare abstammenden) Geschwistern halbbürtige, Halb- oder Stiefgeschwister. Nach den strengen Grundsätzen des röm. Rechts, sowie auch nach einigen neuern Gesetzgebungen haben halbbürtige Kinder und Verwandte, so lange vollbürtige noch vorhanden sind, gar kein gesetzliches Erbrecht an die Verlassenschaft ihrer Stiefältern oder Verwandten. Nach den mildern Grundsätzen mehrer neuerer Gesetzgebungen ist in manchen Staaten, z.B. in Sachsen, den halbbürtigen Geschwistern ein mit den vollbürtigen gleichzeitig auszuübendes Erbrecht, jedoch nur ein beschränktes, gestattet. Sie erhalten nämlich die Hälfte des auf jene kommenden Erbtheils.
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