[246] Naturrecht ist das Recht aus reinen Vernunftbegriffen oder die Lehre von den allgemeinen und nothwendigen Bedingungen, unter denen ein freies und rechtliches Nebeneinanderleben der Menschen im Staate möglich ist. Es wird dem positiven Rechte als der Wissenschaft von den in einem bestimmten Staate wirklich bestehenden Gesetzen, welche [246] keineswegs immer mit den Foderungen des Naturrechts übereinstimmen, entgegengesetzt, während das Naturrecht bei allen Nationen dasselbe sein und die Grundlage jedes positiven Rechts ausmachen muß. Man kann diese Wissenschaft Naturrecht nennen, weil ihre Principien aus der menschlichen Natur hergeleitet werden müssen; doch wird dabei der Mensch als Mitglied einer bürgerlichen Gesellschaft und keineswegs als im rohen Naturzustande lebend gedacht, da in letzterm blos die Gewalt herrscht und von keinen Rechtsgrundsätzen die Rede sein kann. Zur Vermeidung dieses Irrthums würde man das Naturrecht daher passender Vernunftrecht oder philosophische Rechtslehre nennen. Seit man anfing, das Naturrecht als eigne Wissenschaft zu behandeln, sind die verschiedensten Systeme darüber aufgestellt und ist dasselbe demgemäß auch mit verschiedenen Namen belegt worden. Als den wissenschaftlichen Begründer desselben kann man Hugo Grotius betrachten, der erste Lehrstuhl des Natur- und Völkerrechts wurde aber für Samuel Puffendorf in Heidelberg 1661 gestiftet; von neuern Gelehrten haben sich um die Bearbeitung dieser Wissenschaft unter Andern Fichte, Wolf, Fries, Hugo, Marezoll, Warnkönig und Rotteck verdient gemacht.