[752] Rotteck (Karl von), ein nicht blos durch seine wissenschaftlichen Leistungen auf dem Felde der Geschichte und der Staatswissenschaften, sondern auch durch seine politische Wirksamkeit als Deputirter der bad. Kammer berühmter Mann, wurde am 18. Jul. 1775 zu Freiburg im Breisgau geboren, wo sein Vater Director der medicinischen Facultät war. Nach dessen frühem Tode widmete sich seine mit den edelsten Vorzügen ausgestattete Mutter mit zärllicher Liebe und Eifer R.'s erster Ausbildung, der seine Studien sämmtlich in seiner Vaterstadt machte, dort 1797 die juristische Doctorwürde erwarb und sich dem Berufe des Sachwalters widmen wollte. Seinen Talenten eröffnete sich jedoch seit 1798 auf dem Lehrstuhl der Geschichte an der Universität Freiburg eine weit größere Wirksamkeit, und seine unmittelbare Anschauung des Lebens ward durch den Besuch von Wien, Paris, der Schweiz und Italien bereichert. Er verheirathete sich im J. 1804 mit Katharina Mors aus Donaueschingen, welche ihn zum glücklichen Gatten und Vater einer zahlreichen Familie machte, während seine Wirksamkeit als akademischer Lehrer immer erfolgreicher wurde. Obwol sein Organ nicht das günstigste und seine leise Stimme oft kaum vernehmbar war, hingen die wißbegierigen Jünglinge nur mit um so größerer Aufmerksamkeit on seinem Munde und auch außer den Lehrstunden wirkte er vortheilhaft und zum Edlern anregend auf die Jugend und war stets ein ebenso entschiedener Freund einer heilsamen akademischen Freiheit, als er mit Ernst gegen alle Misbräuche derselben auftrat und väterlich abmahnte. Während Napoleon in Deutschland gebot, wirkte R. auf dem einzigen damals möglichen Wege, durch die Darstellung der Vergangenheit und die großen Beispiele der Geschichte auf die Gegenwart. Er schrieb mit edler Wärme in neun Bänden seine »Allgemeine Geschichte vom Anfange der historischen Kenntniß bis auf unsere Zeiten«, welche, und nachdem im J. 1830 das öffentliche Leben einen neuen Aufschwung genommen und R. auch durch sein politisches Wirken als Abgeordneter Celebrität erlangt hatte, die größte Ausbreitung unter allen Classen erhielt und seitdem 13 Auflagen erlebte. Außer diesem größern Werke erschien noch eine Anzahl kleinerer historisch-biographischer, durch Erscheinungen der Zeit bedingter Aufsätze, welche auch im Auslande große Theilnahme fanden. Nach den Freiheitskriegen suchte R. zu einer würdigern Gestaltung der öffentlichen deutschen Verhältnisse beizutragen, und auch die 1818 angetretene Professur des Vernunftrechts und der Staatswissenschaften foderte noch mehr zu einer politischen Thätigkeit auf. Zu seinem Deputirtenberufe legitimirte er sich durch seine Abhandlungen: »Über den Begriff und die Natur der Gesellschaft und des gesellschaftlichen Gesammtwillens« und die, »Ideen über Landstände«, eine Art Katechismus für Wähler und Gewählte, welcher auch im Auslande solche Anerkennung fand, daß der große Staatsmann Benjamin Constant sie selbst ins Französische übersetzte. Mit gespannter Erwartung sahen daher Aller Augen auf das erste Auftreten ihres Verfassers bei der Zusammenberufung des ersten badischen Landtags im J. 1819, wo er im Interesse der Wissenschaften und der bedrohten akademischen Lehrfreiheit, einem Sitze in der ersten Kammer den Vorzug gab und nicht selten über Standesvorurtheil und Standesinteresse triumphirte. Indessen wurde für den Landtag von 1825 R.'s Wiedererwählung hintertrieben, vermehrte aber mittlerweile seine Wirksamkeit als akademischer Lehrer und Schriftsteller. Er unternahm eine Fortsetzung von Aretin's »Handbuch des Staatsrechts der constitutionnellen Monarchie« (2. Aufl., Lpz. 1838–39), schrieb ein »Handbuch des Vernunftrechts«, führte die Redaction der »Politischen Annalen« und war Mitarbeiter an mehren andern historisch-politischen Zeitschriften. Auf dem in der Geschichte des constitutionnellen Lebens in Deutschland zu den erfolgreichsten Erscheinungen gehörenden bad. Landtage von 1831 war R. Vicepräsident der Volkskammer. Für Baden half R. seinen Freunden Duttlinger, Welcker, Itzstein, Mittermaier und Andern die Abschaffung der Staatsfrohnen, eine auf Selbständigkeit der Gemeinden basirte liberale Gemeindeordnung, eine bürgerliche Proceßordnung mit dem Grundsatze der Öffentlichkeit und Mündlichkeit, Collegialität auch bei den Untergerichten und Trennung der Justiz von der Verwaltung, die Wiederherstellung einiger im J. 1825 im reactionnairen Sinne abgeänderten Hauptartikel der Verfassung, Abschaffung [752] der Herrenfrohnen gegen mäßige und zum Theil aus Staatsmitteln zu bestreitende Entschädigung der Berechtigten, Aufhebung der Blut-und Neubruchszehnten, als Anfang der von R. beantragten, aber erst auf einem spätern Landtage zum Gesetz erhobenen gänzlichen Zehntfreiheit, und endlich die von Welcker beantragte, oft versprochene und langersehnte Preßfreiheit erringen. Mit Welcker und Duttlinger vereinigte er sich nun zur Herausgabe des »Freisinnigen«, eines politischen Zeitblattes, von dem die öffentlichen Angelegenheiten unsers Vaterlandes mit bisher nicht gekanntem Nachdrucke besprochen wurden, das aber, wie das ganze badische Preßgesetz, den Bundesgesetzen nicht entsprach und mit diesem vom deutschen Bunde unterdrückt ward. Die Universität Freiburg selbst wurde auf einige Tage aufgehoben und bei der Reorganisation derselben die Professoren R. und Welcker nicht wieder angestellt. Diese und andere Maßregeln mußten zwar R. aufs tiefste verletzen, doch ließ er sich dadurch weder seine Überzeugungen rauben, noch auf den Pfad der Ungesetzlichkeit hindrängen. Mannichfache und höchst ehrenvolle Beweise der Anerkennung und Liebe, welche er von seinen Mitbürgern und von nahen und fernen Vaterlandsfreunden erhielt, trösteten ihn über unwürdige Angriffe, deren Ziel er war; seine Vaterstadt Freiburg wählte ihn wiederholt zum Bürgermeister und übertrug dieses Amt, nachdem R. sich die Wiedererwählung zum dritten Male, nach versagter Bestätigung der Regierung, verbeten, auf seinen Neffen, einen noch sehr jungen Mann. Dankadressen Kränze, Bürgerkronen und Ehrenpokale liefen aus allen Theilen Deutschlands an ihn ein. R. blieb sich übrigens treu und sprach mit gewohntem Freimuthe und derselben Unerschrockenheit auf den spätern badischen Landtagen, zu welchen er jedesmal trotz aller Gegenbestrebungen wieder gewählt wurde, und war auch sein Wirken nicht vom frühern Erfolge gekrönt und beschränkte sich meistens auf Rechtsverwahrungen und Protestationen, so fanden doch seine Worte, soweit sie zur Offentlichkeit gelangten, bei allen Vaterlandsfreunden stets den lebhaftesten Anklang. So erhob er sich gegen die Bundestagsbeschlüsse von 1832, gegen die Aufhebung der Preßfreiheit, welche er sowol als sein College Welcker mit der Beharrlichkeit eines Cato (s.d.) auf jedem Landtage zurückverlangte. Er trug auf Untersuchung des Zustandes des deutschen Vaterlandes an und sprach sich noch auf dem letzten badischen Landtage mit ungeschwächter Kraft gegen die Aufhebung der hanov. Verfassung aus. Seiner schriftstellerischen Thätigkeit der letzten. Jahre verdanken wir ein »Lehrbuch der ökonomischen Politik« (Stuttg. 1835) und das in Gemeinschaft mit seinem treuen Kampf- und Leidensgenossen Welcker herausgegebene »Staatslexikon« (Altona 1834 fg.), das durch Verbreitung einer dem deutschen Volke so nothwendigen gediegenen politischen Bildung wesentlichen Nutzen stiften wird.