Solon

[218] Solon, der weise Gesetzgeber Athens und einer der berühmtesten unter den sieben Weisen Griechenlands, war ein Nachkomme der alten athenischen Könige und lebte um 600 v. Chr. Er machte als Kaufmann weite Reisen, auf denen er ausgezeichnete Kenntnisse sammelte. Seine gebildeten Sitten, sein freundliches, wohlwollendes Wesen, seine Sittlichkeit und seine bei vielen Gelegenheiten an den Tag gelegte Klugheit verschafften ihm in seiner Vaterstadt Athen ansehnliche Ämter, und er übte bald auf die Staatsangelegenheiten wesentlichen Einfluß aus. So drang er auf Bestrafung der Einwohner von Kirrha wegen eines von ihnen an dem delphischen Tempel begangenen Verbrechens, sowie darauf, daß Epimenides, ein mit priesterlichem Ansehen herumziehender Weiser, zur Sühnung der Stadt aus Kreta berufen wurde. Salamis, einst den Athenern gehörig, war von den Bewohnern Megaras genommen worden, und die Athener hatten vergebliche Versuche zur Wiedereroberung gemacht. Da geboten sie endlich aus Unmuth durch einen Volksbeschluß, daß Der des Todes sterben sollte, welcher noch einmal die Wiedereroberung von Salamis in Vorschlag brächte. Sie wollten lieber die Schmach der Besiegten tragen. Aber S. schrieb ein Gedicht, in welchem er auf die ergreifendste Weise diese Schmach den Athenern vorhielt, und las es dem versammelten Volke vor, indem er die Geberden eines Wahnsinnigen annahm. Pisistratos, der nachmalige Tyrann von Athen, unterstützte lebhaft den Wunsch des S., und die Athener beschlossen einen nochmaligen Versuch auf Salamis und übergaben dem S. und dem Pisistratos den Oberbefehl, den Jener nach Eroberung von Salamis ruhmvoll niederlegte. Athen befand sich damals in Folge der Roheit und Sittenlosigkeit seiner Bürger in dem traurigsten Zustande und zerfiel in einzelne sich gegenseitig anfeindende Parteien. Es herrschte eine drückende Geldaristokratie, indem der verschuldete große Hause ganz der Willkür der Reichen preisgegeben war. Drakon's furchtbar strenge Gesetzgebung hatte das Übel eher schlimmer als besser gemacht. Unter solchen Verhältnissen wurde dem allgemein verehrten S. 594 v. Chr. die Würde eines Archonten (welche mit fast königl. Ansehen ausgestattet war) übertragen und er aufgefodert, Athen neue Gesetze zu geben. Sein Bestreben war zunächst darauf gerichtet, die drückende Schuldenlast von dem Volke abzuwälzen, ohne doch die Reichen in ungerechte Verluste zu bringen. Die Mittel, welche er zu diesem Zwecke ergriff, genügten allerdings weder den Reichen noch den Armen, erwiesen sich aber durch die Folge als segensreich. Die blutigen Gesetze des Drakon wurden gemildert. Das gesammte Volk wurde von ihm als allein befähigt erklärt, Krieg und Frieden zu schließen, Bündnisse einzugehen, Magistratspersonen zu wählen und Gesetze zu geben wie aufzuheben. Auch die Gerichtsführung wurde von ihm neu und weise geordnet. Sämmtliche Bürger theilte er in vier Classen nach dem Vermögen, und zwar gehörten alle völlig unbemittelten in die vierte Classe. Dieselben wurden zu den allgemeinen Volksversammlungen zwar zugelassen, von öffentlichen Ämtern jedoch ausgeschlossen. Damit die Staatsämter uneigennützig verwaltet würden, verband er mit ihnen keine Einkünfte, sondern machte dieselben nur zum Gegenstand eines edlen Ehrgeizes. Besonders war er gegen den Müßiggang, als das Verderben jedes Staats, sodaß er nicht nur die Gewerbsthätigkeit zu heben bemüht war, sondern auch überdies gesetzlich feststellte, daß der Müßiggänger bestraft werden sollte. Um ein Gegengewicht gegen den leicht sich dahinreißenlassenden Volkswillen zu haben, bekleidete er den Areopag und den hohen Rath mit großem Ansehen. Jener, der oberste Gerichtshof, entschied über Leben und Tod und wachte über die Sitten und die Gerechtigkeit; dieser war die höchste Regierungsbehörde. Streng waren die Gesetze, welche die Aufrechthaltung der Sittlichkeit bezweckten, sodaß unsittliche Personen von allen Ehrenämtern ausgeschlossen und überdies einzelne Unsittlichkeiten noch hart bestraft wurden, z.B. Ehebruch, Kuppelei, Verführung einer freien Person mit dem Tode. Auch auf die Erziehung der Jugend war S. vorzugsweise bedacht, indem er sie unter Aufsicht und Leitung des Staats stellte. Seine Gesetze ließ S. in hölzerne Cylinder graben und dann nahm er den Athenern einen Eid ab, daß sie dieselben zehn Jahre unverändert beibehalten wollten, und damit man nicht ihn zwinge, selbst eine Anderung derselben vorzunehmen, so verließ er Athen und machte eine Reise durch fast alle damals gebildeten Länder. Auf dieser Reise lernte er den König der Lydier Krösus (s.d.) kennen. Als S. nach zehn Jahren wieder nach Athen zurückkehrte, wurde er mit großer Auszeichnung empfangen, fand aber den Staat in Parteien zerfallen, von denen die mächtigste den klugen Pisistratus zum Oberhaupte hatte. S. liebte diesen, aber trat ihm entgegen, als er dessen Absicht, sich zum Staatsoberhaupte zu erheben, bemerkte. Er verließ Athen abermals und starb in hohem Alter im Auslande, wahrscheinlich 561 v. Chr.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1841., S. 218.
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