Tell

Tell

[381] Tell (Wilhelm) ist der bekannte Mann, welchem die Befreiung der Schweiz zugeschrieben wird, indem er durch sein Benehmen und durch seine That, die Ermordung eines Landvogts, das Zeichen zum allgemeinen Aufstande gab.

Die Schweiz bestand nämlich noch zu Anfange des 14. Jahrh. theils aus dem Hause Habsburg erbunterthänigen, theils aus zum deutschen Reiche sich zählenden Gebieten. Der ländersüchtige Kaiser Albrecht I. foderte die Schweizer auf, insgesammt vom deutschen Reiche abzufallen und sich ihm als unmittelbare Unterthanen zu ergeben, und nachdem die Schweizer dieses Anmuthen zurückgewiesen hatten, wurden sie von den östreich. Landvögten auf alle Art gedrückt und in ihren Freiheiten gekränkt. Männer aus Uri, Schwyz und Unterwalden schlossen daher 1307 einen Bund, welcher die Aufrechthaltung ihrer Gerechtsame zum Zwecke hatte. Auch Tell, ein Landmann zu Bürgeln bei Altorf, wußte um dieses Bündniß, aber ein Angriff gegen ihn selbst brachte ihn erst zum Handeln. Der Landvogt Geßler zu Küßnacht hatte nämlich den Übermuth so weit getrieben, daß er zu Altorf einen östreich. Hut auf einer Stange hatte ausstellen lassen, und befohlen, daß jeder Vorübergehende zum Zeichen seiner Unterthänigkeit vor demselben das Haupt entblößen sollte. Tell, bewaffnet mit Pfeil und Bogen, kam vorüber und ließ den Hut unbeachtet. Tell war als guter Schütze bekannt und Geßler befahl ihm zur Strafe, von dem Haupte des eignen Kindes einen Apfel herunterzuschießen. Vergebens waren alle Bitten, da schoß Tell und traf den Apfel. Nun wäre er frei gewesen, aber der Landvogt hatte bemerkt, daß Tell einen zweiten Pfeil in sein Wams verbarg, ehe er mit dem ersten nach dem Apfel zielte, und Tell gestand auf Geßler's Frage: dieser zweite Pfeil wäre für den Landvogt bestimmt gewesen, wenn er statt des Apfels seinen Sohn getroffen hätte. Der erbitterte Landvogt ließ nun Tell gebunden nach dem Fahrzeuge tragen, auf dem er über den waldstädter See fahren wollte. Als sie mitten auf dem See waren, erhob [381] sich ein Sturm und keine Mittel wußten die Schiffenden mehr, als daß man dem Tell, welcher ein ebenso guter Schiffsmann wie Bogenschütze war, das Steuerruder übergab. Glücklich hatte Tell das Schiffchen bis in die Nähe des Ufers gebracht, als er eine Felsplatte ersah, sein Geschoß ergreifend hinübersprang und zugleich den Kahn mit dem Fuße wieder in den tobenden See zurückschleuderte. Der Landvogt rettete sich zwar noch ans Land, aber auf dem Wege nach Küßnacht lauerte nun Tell mit seinem zweiten Pfeile und bald hatte dieser sein Ziel erreicht, das Herz des Landvogts. Der Fall desselben ward das Zeichen zum allgemeinen Aufstande und in einem langen hartnäckigen Kriege errangen die Schweizer durch unerhörte Tapferkeit und Todesverachtung endlich die vollkommene Freiheit, die sie noch gegenwärtig behaupten. Tell soll noch in der glorreichen Schlacht bei Morgarten mitgekämpft, endlich aber bei einer Überschwemmung im Schächerflusse den Tod gefunden haben. Tell's Verdienst ward bald allgemein von seinen Landsleuten anerkannt, man wallfahrtete nach Vertreibung der Landvögte alljährlich zu der Felsplatte, auf welche Tell aus dem Kahne gesprungen war, nannte sie nach ihm die Tellenplatte und erbaute auf ihr 1388 die hier abgebildete Tellskapelle, in welcher Tell's Andenken alljährlich durch eine Lobrede auf ihn gefeiert wurde. Trotz dieser historischen Zeugnisse hat man doch daran gezweifelt, daß Tell wirklich jemals existirt habe, und hat ihn für eine durchaus mythische Person erklärt. Als Grand führt man besonders die Aehnlichkeit der Tellsage mit ähnlichen Sagen anderer Völker an. Das Schweizervolk hat indeß das beste Recht, wenn es sich seinen Tell niemals nehmen läßt, und auch im Andenken der Deutschen wird der Name Tell nimmer erlöschen, seitdem ihn Schiller durch seine Tragödie »Wilhelm Tell« gefeiert hat. Der persönliche Muth, die Besonnenheit bei der größten Tollkühnheit, der biedere Freiheitssinn, welche Tell charakterisiren, machen ihn für alle Zeiten zum Vorbilde jedes der Freiheit würdigen und nach ihr ringenden unterdrückten Volks.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1841., S. 381-382.
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