Tell [1]

[346] Tell, Wilhelm, ein gefeierter Held der schweizerischen Sage, nach der gewöhnlichen Erzählung geb. in Bürgeln im Canton Uri u. Meier daselbst, nach And. einer der Frauenmünsterabtei in Zürich; Schwiegersohn von Walter Fürst. An dem Zusammentritt der freien Landleute auf dem Rütli, um unter Leitung Walter Fürsts, Stauffachers u. Arnolds von Melchthal der fremden Zwingherrschaft zu widerstehen, nahm er nicht Theil; nach Ein. war er aber selbst statt Walter Fürst bei der Bundschließung auf dem Rütli. Als 1307 der Landvoigt Geßler zu Altorf einen Hut auf einer Stange als Sinnbild der Herzogsgewalt aufrichtete u. befahl, daß jeder Vorübergehende sich vor demselben verneige, weigerte sich T. dessen (18. Nov. 1307); Geßler ließ ihn deshalb hart an u. legte ihm als Buße auf einen Apfel vom Kopfe seines Sohnes herabzuschießen. Dies vollbrachte T. glücklich, bekannte aber nach der That, daß er beim Mißlingen den Tod des Kindes an ihm gerächt haben würde. Aus Furcht, daß T. die Rache noch an ihm nehmen möchte, ließ Geßler ihn in Fesseln schlagen u. wollte ihn selbst zu Schiffe über den Vierwaldstätter See nach seinem Schlosse Küßnacht führen. Auf dem See vom Föhn überfallen u. in großer Gefahr, gebot Geßler den T., welcher wie als Armbrustschütze so auch als trefflicher Schiffer bekannt war, zu entfesseln u. ihm die Leitung des Schiffs zu übergeben. T. leitete nun das Schiff glücklich durch die empörte Fluth; als sie aber an den Axenberg kamen, ergriff T. seine Armbrust u. sprang auf eine Felsenplatte aus dem Schiff, dasselbe den Wellen überlassend. Nur mit Mühe entkam der Landvoigt dem Ertrinken u. landete bei Küßnacht. T. erwartete ihn aber dort an der sogenannten Hohlen Gasse u. erschoß ihn mit seiner Armbrust. Später soll er bei Morgarten mit gestritten haben (1315) u. erst 1354 im Schächenbach od. in der Reuß, bei dem Versuch einen Knaben aus den Fluthen zu retten, umgekommen sein (diesen Tod feiert ein Lied von Uhland). T. gilt als der Heros der schweizerischen Freiheit; noch zeigt man den Platz zu Altorf, wo der Hut aufgerichtet war, den Thurm, an welchem beim Schuß der Knabe T., u. den Ort, wo der Vater stand (Tellbrunnen) ferner die Platte (T-s Platte), wo er aus dem Schiff sprang u. wo eine Kapelle steht, u. die Hohle Gasse, wo er Geßlern den Tod gab u. wo eine Kapelle (T-s Kapelle) errichtet ist. Dessenungeachtet bezweifeln neuere Geschichtsforscher seit Winmann zu Ende des 16. Jahrh. T-s historische Existenz u. geben ihn für eine poetische Fiction der Schweizer aus. Man führt für diese Meinung an, daß die ganze Geschichterzählung von T. ebenso wenig als ein Landvoigt Geßler von einem gleichzeitigen Schriftsteller erwähnt, sondern daß dieselbe erst von Melch. Rueß in der 2. Hälfte des 15. Jahrh. in kurzen Umrissen, in der jetzigen Ausschmückung aber erst von Tschudi im 16. Jahrh. erzählt wird, welcher sie wohl nach einer ähnlichen Geschichte von einem gewissen Toko bei Saxo Grammaticus gedichtet haben möchte. Indeß da sich 1388114 Personen im Canton Uri urkundlich an T. erinnerten u. 1684 der Mannsstamm T. mit Johannes Martin T. von Attinghausen (ob T. schon Güter vor Attinghausen besessen od. sie erst später durch Heirath an T-s Familie gekommen seien, ist ungewiß), die weibliche Nachkommenschaft aber erst 1720 mit Veronica erlosch, auch T. im 14. u. 15. Jahrh. allgemein bekannt war, so kann man mit I. von Müller annehmen, daß T. 1307 gelebt u. an den nach ihm genannten Orten Thaten gegen die Unterdrücker der Waldstätte gethan hat, durch welche seinem Vaterlande Vortheile erwachsen sind. Am schönsten ist die Tellsage durch Schillers Schauspiel W. T. gefeiert worden, Rossini hat dieselbe zu einer Oper benutzt. Vgl. U. Freudenberger, Guillaume T., fable danoise, Bern 1760; G. I. von Haller, Wilhelm T., eine Vorlesung, ebd. 1772; Vertheidigung des Wilh. T., Fluel 1814; I. O. Hisely, De Guilelmo T., Gröning. 1824; Derselbe, Recherches crit. sur l'hist. de Guill. T., Lauf. 1843; Ideler, Die Sage vom Schusse des T., Berl. 1839; L. Häusser, Die Sage vom T., Heidelb. 1840.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 17. Altenburg 1863, S. 346.
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