Tinte

[436] Tinte nennt man verschieden gefärbte Flüssigkeiten, deren man sich zum Schreiben bedient. Sie müssen sich mit Leichtigkeit mittels der Feder auftragen lassen (gewöhnlich auf Papier), lesbar, also stark gefärbt, und dauerhaft sein, d.h. mit der Zeit weder verbleichen noch ihre Farbe verändern. Am gebräuchlichsten ist die schwarze Tinte, weil sich diese am besten lesen läßt, von dem mehr oder weniger weißen Papier scharf absticht und doch die Augen beim Lesen am wenigsten angreift. Man hat sehr viele Recepte zur Verfertigung schwarzer Tinten, der Hauptbestandtheil ist immer Extract von Galläpfeln. Nach Lewis soll man drei Unzen Galläpfel, eine Unze Blauholz und eine Unze grünen Vitriol eine halbe Stunde lang in drei Nöseln weißen Weins oder Weinessigs kochen, dann anderthalb Unzen arab. Gummi zusetzen und nachdem dieses vollständig aufgelöst ist, die Mischung durch ein Haarsieb gießen, um die festen Bestandtheile von der fertigen Tinte abzusondern. Van Mons gibt folgendes Recept: In ein preuß. Quart Wasser bringe man vier Unzen Galläpfel, drittehalb Unzen bis zur Weiße calcinirtes schwefelsaures Eisen und lasse dieses Gemisch 24 Stunden lang in der Kälte stehen, dann setze man 11/4 Unze arab. Gummi zu und bewahre die Flüssigkeit in einer Flasche, deren Mündung man nur mit Papier leicht verstopft. Die auf heißem Wege bereiteten Tinten pflegen leichter zu schimmeln als die auf kaltem Wege gewonnenen. Man verhindert das Schimmeln durch einen Zusatz von etwas ätherischem Öl oder Gewürznägeln. In neuerer Zeit bereitet und verkauft man auch Tintenpulver, welche zum Gebrauch mit Wasser aufgelöst werden. Unter den neuern zum Verkauf ausgebotenen Tinten zeichnet sich die lyoner Encre incorruptible von Joly aus. Schwarze Tinte zum Zeichnen der Wäsche gewinnt man durch Auflösung des Höllensteins. Die zu beschreibende Stelle wird vor dem Beschreiben mit einer Auflösung von kohlensaurem Natron und arabischem Gummi bestrichen, getrocknet und geglättet. – Nach der schwarzen Tinte ist am gebräuchlichsten die rothe. Man bereitet sie, indem man ein Viertelpfund gutes Fernambukholz, zwei Loth gestoßenen Alaun und ebenso viel Weinsteinrahm in ein Maß Wasser bringt, dieses bis zur Hälfte einkochen läßt und dann darin noch zwei Loth Zucker und ebenso viel arabischen Gummi auflöst. – Grüne Tinte bereitet man aus einem Quentchen krystallisirten Grünspan, einem halben Quentchen Cremor tartari, 10 Gran Gummi Guttä, welche gepulvert und in einem porzellanenen Gefäß mit 8 Loth Wasser zur Hälfte eingekocht werden. Auch kann man krystallisirtes braunschweigisches Grün in Wasser auflösen. – Zu allen bekannten Zeiten hat man sich vorzugsweise der schwarzen Tinte bedient. Die röm. Kaiser unterzeichneten ihre schriftlichen Erlasse vorzugsweise mit rother Tinte, welche aus der Purpurschnecke bereitet wurde. Der Gebrauch dieser Tinte war ein kais. Vorrecht, und selbst die Kaiser durften erst mit derselben unterzeichnen, wenn sie mündig waren, bis dahin bedienten sie sich grüner Tinte. Privatpersonen war unter dem Kaiser Leo der Gebrauch der rothen Tinte verboten. Im Mittelalter, wo man große Sorgfalt auf Herstellung schöner Handschriften verwandte, erfand man Gold- und Silbertinten, mit denen man gewöhnlich nur die Anfangsbuchstaben schrieb. Ganze Bücher wurden selten mit dieser kostbaren Tinte geschrieben, z.B. die Handschrift der Bibelübersetzung des Ulfilas zu Upsala, welche daher der silberne Codex genannt wird. Bei der Wichtigkeit der Handschriften, namentlich bei Documenten, hat man sich viele Mühe gegeben, eine unauslöschliche Tinte zu erfinden, doch ohne besondern Erfolg. Aus andern Rücksichten hat man sogenannte sympathetische Tinten hergestellt, welche nur unter gewissen Bedingungen sichtbar werden. Schreibt man z.B. mit einer Abkochung von Stärke auf Papier, so verschwindet die Schrift nach dem Austrocknen. Bestreicht man jedoch das Blatt mit schwacher Jodtinctur, so wird die Schrift purpurfarbig oder blau sichtbar. Sie verschwindet nach einiger Zeit wieder und kann durch dasselbe Mittel aufs neue lesbar gemacht werden. Eine andere sympathetische Tinte gibt eine Auflösung von grünem Vitriol in Wasser, zu welchem etwas Alaun gesetzt wird, damit sich kein gelblicher Niederschlag bilde. Schreibt man mit dieser Tinte, so ist sie unsichtbar, zeigt sich aber alsbald in schöner Schwärze, wenn man sie mit einem gesättigten Galläpfelaufguß befeuchtet. Mischt man der gewöhnlichen schwarzen Tinte Salpetersäure zu, so verliert sie ihre Farbe; doch wird die auf diese Art verfertigte Schrift sichtbar, wenn man sie mit aufgelöstem flüssigen Alkali befeuchtet. Eine Tinte, welche in der Kälte unsichtbar ist und in der Wärme sichtbar wird, erhält man, wenn man Zaffer (s. Kobalt) in Königswasser digerirt und die Auflösung mit Wasser verdünnt. Wird die Schrift mit dieser Flüssigkeit erwärmt, so erscheint sie und verschwindet in der Kälte wieder, wenn die Erhitzung nicht zu stark war. Da diese Tinte sich grün darstellt, so braucht man sie zu einer artigen Spielerei. Man zeichnet Landschaften, an denen man die Gräser und das Laub des Baumes mit dieser sympathetischen Tinte aufträgt. Für gewöhnlich erscheinen diese Bilder als Winterlandschaften, erwärmt man sie aber, so bedecken sich die Bäume und die Erde mit dem Grün des Frühlings.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1841., S. 436.
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