Zeichnen

[785] Zeichnen (das) und die Zeichnenkunst bewirken die anschauliche Darstellung von Gegenständen auf ebenem Grunde in ihren einfachsten Umrissen durch Linien bis zur vollendetsten Ausführung und Abbildung der großartigsten Gegenstände unter Benutzung von Licht und Schatten, und Beobachtung der Foderungen der Perspective. Was durch solche Mittel auf Papier, Pergament, Holz, Stein oder einer andern Fläche hervorgebracht wurde, heißt eine Zeichnung und bildet mit der Farbengebung oder dem Colorit (s. Farben) verbunden die Malerei (s.d.). Den Übergang vom Zeichnen zum Malen bildet das Tuschen. (S. Tusche.) Abgesehen von der höhern, künstlerischen Anwendung, ist das Zeichnen für viele Berufsarten unentbehrlich; der Unterricht darin bildet Hand und Auge, schärft das Anschauungsvermögen, den Ordnungs- und Schönheitssinn und sollte daher kaum in der gewöhnlichsten, auf das Unerläßlichste beschränkten Volksschule unberücksichtigt gelassen werden. Nach der Anwendung erscheint das Zeichnen als technisches, wo es dann nur gilt, die Umrisse der Gegenstände (z.B. Maschinen, Hausgeräthe, Fuhrwerke, Werkzeuge) zu liefern, und als Perspectiv- und Situations- oder Planzeichnen (s. Perspective, Plan, Situation), oder als rein künstlerische Thätigkeit, wo es gleich der Malerei bestimmte, in der Natur oder nur in der Idee vorhandene Gegenstände zur Anschauung zu bringen strebt. Nach den dazu angewendeten Mitteln unterscheidet man Zeichnungen mit der Feder, mit Bleistift und Silberstift und mit Kreide. Federzeichnungen behalten stets etwas Hartes, verhelfen aber der Hand zu Sicherheit und Leichtigkeit. Die Schatten werden darin entweder durch Schraffiren (s.d.) angegeben oder hinein. getuscht, was sich für historische Skizzen und architektonische Zeichnungen vorzüglich eignet. Die Bleistift- (Silberstift-) Zeichnungen erlauben besonders die zarte Ausführung kleinerer Darstellung und heißen auch nach dem Französischen crayonnirte Zeichnungen. Kreidezeichnungen passen vorzüglich für Anfänger, weil sich Fehler darin leicht verwischen oder verdecken lassen, und werden mit schwarzer oder mit rother Kreide ausgeführt; hat man einen farbigen Grund (graues, grünes, blaues Papier) dazu gewählt, so werden die Lichter noch mit weißer Kreide erhöht. Man trägt die Kreide auch geschabt auf und verwischt sie dann mit kleinen Rollen von Papier oder Leder, welche Wischer heißen, wovon diese Manier nach dem franz. Namen des Wischers auch à l'estompe genannt wird. Es geht solcher Zeichnung zwar die strengere Bestimmtheit ab, sie haben aber dafür ein sehr ansprechendes, weiches Ansehen und eignen sich vornehmlich zur Darstellung breiter Massen von Schatten und Helldunkel und für harmonische Lichteffecte. Zuweilen und besonders bei Portraits, werden in Kreidezeichnungen die Hauptfarben der dargestellten Gegenstände mit bunten Stiften angedeutet, was aber schon an Pastellmalerei (s.d.) streift. Mit Rücksicht auf die Art der Ausführung, die dargestellten Gegenstände und den Zweck der künstlichen Zeichnungen pflegt man sie in fünf Classen einzutheilen: 1) Croquis, Skizzen, toquirle Zeichnungen, erste Entwürfe, franz. dessins heurtés, welche nur den Zweck haben, einen Gedanken des Künstlers fest zu halten, also nur die ersten allgemeinen Umrisse geben, ohne auf strenge Richtigkeit oder Zartheit Anspruch zu machen, aber wenn sie von Meisterhand herrühren, durch das in solchen Entwürfen sich eigenthümlich aussprechende Geistreiche und Kühne der Auffassung von Werth sind. 2) Ausgeführte Zeichnungen, welche bis auf alle Kleinigkeiten sorgfältig vollendet sind. 3) Studien oder Zeichnungen nach dem Leben und der Natur, oder nach dem Runden, z.B. nach Büsten, nach Modellen von Armen, Füßen u.s.w.; Zeichnungen nach Skeletten, Muskeln, von Gewändern und andern Gegenständen, die zur weitern Ausbildung, Selbstbelehrung und Vorbereitung des Zeichners für größere Werke dienen sollen. 4) Acte oder Akademien, die einen dem der vorigen verwandten Zweck haben und in den Malerakademien nach dem lebendigen Modell (s.d.) gezeichnet werden. Um Faltenwurf und Bekleidung zu studiren, werden Gewänder auf den Gliedermann (Mannequin), eine hölzerne Puppe mit beweglichen Gliedern, gelegt. 5) Die Cartons (s.d.), welche in der Größe des danach zu arbeitenden Gemäldes ausgeführt sind. Um eine Zeichnung in ihren Umrissen vollständig genau auf eine Fäche überzutragen, muß eine Calque davon gemacht werden. (S. Calquiren.) Die eigenhändigen Zeichnungen (Handzeichnungen) großer Meister [785] werden vorzüglich deshalb geschätzt, weil sich darin das erste Feuer, mit dem sie eine Idee auffaßten, am genialsten und deutlichsten ausspricht. Auch unterscheiden sich die großen Malerschulen ebenso bestimmt schon in der Zeichnung, wie in der Malerei und der Geübte wird auch in jener die vorzüglichsten Meister erkennen. Die Geschichte der Zeichnenkunst fällt mit jener der Malerei zusammen. Für den Unterricht im Zeichnen ist der Anfang in früher Jugend darum vortheilhaft, weil die Hand dann noch am geschmeidigsten ist und sich leicht in alle dabei erfoderliche Bewegungen findet. Die gewöhnliche Methode besteht auch hier im Fortschreiten vom Einfachen zum Zusammengesetzten, also vom Geraden zum Gebrochenen und Gerundeten, vom Gleichliegenden zur Perspective u.s.w. Dem entgegensetzt ist der nach I. Jacotot's (s.d.) Grundsätzen ertheilte, welcher mit Dem anfängt, wo jene Methode zuletzt hingelangt, nämlich mit Nachzeichnen eines wirklichen Gegenstandes, eines Kopfes in erhabener Arbeit, wobei nicht einmal das Messen der einzelnen Theile gestattet ist. Beliebte Lehr- und Musterbücher der Zeichnenkunst sind: Ramsauer's »Zeichnungslehre« (2 Bde., Stuttg. 1821); Francke's »Methodische Anleitung für den Unterricht im Zeichnen« (Berl. 1833); Brückner, »Erster Unterricht im freien Handzeichnen in Umrissen« (8 Hfte. Goth. 1830); Tappe »Allgemeine Übungen im freien Zeichnen« (4. Aufl., mit 104 Steindrucktafeln, Essen 1839); Peter Schmid »Das Naturzeichnen« (4 Thle., Berl. 1833). – Zeichnende Künste werden alle die Künste genannt, welche bei ihrer Ausübung Zeichnungen von sichtbaren Formen zum Grunde legen, wie die Zeichnenkunst, Malerei, Kupferstech-und Formschneidekunst, die Bildhauerkunst, Baukunst, Dreh- und Schnitzkunst u.s.w. – Zeichnentinte werden zum Zeichnen der Wäsche und Leinwand dienende Flüssigkeiten genannt, welche auch durch das Waschen in starker Lauge nicht aus dem damit bezeichneten Zeuche ausgehen. Eine rothe Zeichnentinte geben Eisenvitriol und seiner Zinnober, welche mit Leinölfirniß auf einem Steine bis zur möglichsten Feinheit zu Farbe gerieben und mit einem Pinsel auf das geglättete Leinen aufgetragen wird. Eine der haltbarsten erhält man durch eine Auflösung von mineralischem Chamäleon in Wasser, was eine braune Farbe gibt.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1841., S. 785-786.
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