[612] Vision. Unter diesem aus dem Lateinischen abgeleiteten und im Deutschen durch Gesicht und Erscheinung übersetzten Ausdrucke wird gewöhnlich ein inneres Sehen ohne Vermittelung der äußern Sinne verstanden, wie es während von einer lebhaften Einbildungskraft erhöhter Gemüthszustände mit einer solchen täuschenden Lebendigkeit vorkommt, daß der Mensch sie äußerlich wahrgenommen zu haben meint. Leute, die solche innere Gesichte für äußere Erscheinungen halten, werden davon Visionairs genannt. Von den Phantasmen (s. Phantasie), mit welchen die Visionen große Ähnlichkeit besitzen, unterscheiden sie sich durch ihre ursächliche Verbindung mit den Vorstellungen, welche das Gemüth des Visionairs im gewöhnlichen Leben erfüllen, und stattfinden. Jene sind immer Täuschungen, die Visionen dagegen können vielleicht in manchen Fällen Wahrheit enthalten. Zuweilen sind sie Vorläufer größerer Seelenstörungen und dies berechtigt um so mehr zu der auch sonst verständigen Annahme, daß denselben noch unbekannte Gesetze der physischen und psychischen Organisation des Menschen zum Grunde liegen, während eine mystischere und zum Aberglauben geneigte Meinung die Erklärung derselben in einem wirklich angenommenen, sogenannten Hereinragen der Geisterwelt in die sinnliche und in einem Besessensein der Visionairs von guten und bösen Dämonen sucht.